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Politikwissenschaftler Holtmann
"Seehofer positioniert sich als Störenfried"

Der Streit innerhalb der Union ergebe sich durch die Doppelrolle der CSU im Bund und in Bayern, sagte der Parteienforscher Everhard Holtmann im DLF. Die CSU verfüge in der Großen Koalition über kein klassisches Ressort wie Finanzen, Inneres, Wirtschaft oder Verteidigung mehr. Horst Seehofer könne sich also weniger politische Außenwirkung auf die Fahnen schreiben - und reagiere mit ständigen Seitenhieben.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg.
    Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg. (imago / Steffen Schellhorn)
    Martin Zagatta: Die Große Koalition wirkt zerstritten und uneins. Der Riss geht mitten durch die Union. Ich habe Everhard Holtmann, den Politikwissenschaftler von der Uni Halle-Wittenberg gefragt, ob das, was wir da in diesen Tagen erleben, noch politisches Alltagsgeschäft ist, oder ob diese Regierung schon gelähmt ist.
    Everhard Holtmann: Es ist in jedem Fall politisches Alltagsgeschäft, wenn auch unter deutlicher gespannten Vorzeichen zwischen den beiden Unions-Schwestern. Ich denke, da kommt einiges zusammen, was sich gar nicht mal so sehr durch persönliche Animositäten erklären lässt, sondern was zum einen in der Handlungslogik einer Beteiligung der CSU an einer Bundesregierung steckt. Es ist ja schon in früheren Zeiten immer wieder zurecht darauf hingewiesen worden: Die CSU muss, um in Bayern und im Bund wechselseitig erfolgreich zu sein bei Wahlen, im Grunde genommen erfolgreich diese Doppelrolle spielen. Das heißt, nachdrücklich in Bayern die Bundespolitik repräsentieren, deutlich zu machen, dass man in Berlin auch Erfolge in die Scheuer einfährt, und zum anderen umgekehrt in Berlin die bayerische Karte betont und selbstbewusst zu ziehen. Ich denke, auch vieles von dem, was da verkörpert durch Horst Seehofers Äußerungen zumal die Atmosphäre zwischen den Unions-Parteien spannungsreich erscheinen lässt, kann man darauf zurückführen, und es hat vielleicht auch damit zu tun, dass gerade Horst Seehofer als Exponent, als sogenannter Störenfried auch innerhalb der beiden Unions-Schwestern sich positioniert, dass die CSU in dieser Großen Koalition ja über kein sogenanntes klassisches Ressort mehr verfügt, also Finanzen, Inneres, Wirtschaft, Verteidigung. All dieses wird nicht mehr von ihr besetzt und das hat natürlich dann auch zur Folge, dass weniger politische Außenwirkung dann sich auf die Fahnen der CSU schreiben lässt.
    Zagatta: Bedient die Union jetzt mit dieser Auseinandersetzung einfach ein breites Wählerspektrum, oder ist das jetzt auch eine neue Dimension, dass sich beispielsweise Finanzminister Schäuble so öffentlich empört über Horst Seehofer?
    Holtmann: Nun, da mag auch viel an Verdruss inzwischen gewachsen sein, weil ja im Grunde genommen trotz wiederholter, nach außen hin auch so geäußerter Verständigungen, auch zwischen den Spitzen der beiden Parteien, dass im Grunde genommen diese Seitenhiebe oder Querschüsse kein Ende nehmen. Ich denke, das erklärt auch dieses Monitum eines ansonsten ja doch auch durchaus zurückhaltend agierenden und maßvoll argumentierenden Mannes wie Schäuble.
    "Politik mutet als undurchsichtig an"
    Zagatta: Die CSU scheint ja von diesem Konfrontationskurs immerhin noch zu profitieren nach Umfragen. Wie ist das mit der Großen Koalition insgesamt? Wieso stürzt die da so ab in Umfragen?
    Holtmann: Nun, das hat ganz verschiedene Gründe. Das derzeit lavierende psychologische und auch politische Oberflächenphänomen macht sich am Thema Flüchtlinge und Asyl fest, erklärt umgekehrt ja diesen rapiden Aufwuchs der AfD in Umfragen, aber auch bei Wahlen. Da gibt es eine sehr breite diffuse Angst in eher wachsenden Teilen der Bevölkerung, die sich an dem Thema Flüchtlinge festmacht. Das schlägt sich in den zurückgehenden Zahlen sowohl für Union als auch die SPD im Bund nieder und das ist eine der Erklärungen. Darunter gibt es sicherlich auch noch eine andere, wiederum psychologisch manifeste oder latent vorhandene Schicht in der öffentlichen Wahrnehmung vieler Menschen, die sich auch unter dem Vorzeichen Besorgnis definieren lässt. Das heißt, Politik mutet für viele zumal unter globalen, zum Teil ja auch krisenhaft wahrgenommenen Zusammenhängen als undurchschaubar, als undurchsichtig an, und im Umkehrschluss wird auch den handelnden Akteuren, den Politikern und Parteien und auch den Parlamenten, ein eher sinkendes Vertrauen entgegengebracht, und das ist im Grunde genommen für eine repräsentative Demokratie, die ja durch Wahlen immer auch Vertrauensvorschuss an ihre Akteure geben muss, sicherlich ein handfestes Problem.
    Zagatta: Kann denn die Große Koalition in dieser Situation jetzt so ein gutes Jahr vor der Wahl dagegen überhaupt ernsthaft angehen?
    Holtmann: Das ist schwierig. Da gibt es auch kein Patentrezept. Aber man darf sich sicherlich nicht von den rechtspopulistischen Parolen der AfD vor sich hertreiben lassen, sondern man muss und sollte umgekehrt mit Augenmaß, aber auch mit großer Konsequenz die inneren Widersprüchlichkeiten etwa im Programm der AfD und auch in den Äußerungen der Repräsentanten der AfD herausarbeiten, die sich ja ihrerseits durchaus nicht scheut, die Reputation, das Ansehen und auch die entsprechende Würde der sogenannten etablierten Politik infrage zu stellen. Wenn überhaupt, dann wird man nur durch entsprechende Erklärungen der eigenen Politik in den zentralen Politikfeldern, Innenpolitik, Finanzpolitik, Flüchtlingspolitik nicht zuletzt, aber auch innere Sicherheit, das zu erklären und umgekehrt deutlich zu machen, weshalb man und welche Gründe man hat, das als die bessere, überzeugende und sachgerechte Alternative zu präsentieren.
    Zagatta: Aber dennoch ist ja zumindest davon auszugehen, dass die AfD in den Bundestag einzieht. Welche Konsequenzen hat das für Deutschland? Gibt es da mittelfristig überhaupt eine Alternative zu der im Moment so ungeliebten Großen Koalition?
    Holtmann: Ich stimme Ihnen zu. Die Prognose, dass die AfD in den nächsten Bundestag einziehen dürfte, die hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, selbst wenn man unterstellt, dass sich in einem guten Jahr bis dahin noch das eine oder andere ändern kann. Es hat in verschiedener Weise Konsequenzen. Zum einen werden die Koalitionsmöglichkeiten, die ja in einem fragmentierten Parlament geringer werden, weiter eingeschränkt und möglicherweise bleibt zum Schluss dann vielleicht auch nichts weiter übrig, als die von vielen ungeliebte und selbst von den Beteiligten nicht mehr so unbedingte favorisierte Große Koalition. Und das könnte dazu führen, dass an den Rändern links und rechts die zentrifugalen Kräfte weiter stärken. Und zum anderen: Es könnte sein, dass sich auch der innenpolitische Diskurs insofern nach rechts verschiebt, als bestimmte Meinungen, Positionen, die bisher aus guten Gründen tabuisiert waren, wie beispielsweise Rassismus und entsprechende Fremdenfeindlichkeit, dass das unter Umständen in einem gewissen Maße stärker salonfähig wird. Das wäre eine Tendenz einer sogenannten Normalisierung, die man sich sicherlich nicht wünschen kann, die aber dann, wenn eine solche Partei auch die Bühne der Parlamente betritt, nicht ausgeschlossen werden kann.
    Zagatta: Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.