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Politikwissenschaftler Korte
"Merkel ist nicht mehr unantastbar"

Mit dem Streit in der Union über die Flüchtlingspolitik seien Kanzlermacht und Parteimacht an diesem Wochenende auseinandergegangen, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im DLF. Wenn sich diese Kluft vergrößere, könne Angela Merkel nicht mehr machtvoll regieren. Deshalb müsse sie alles daran setzen, "innerhalb der CDU die Flanken zu schließen".

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte
    Karl-Rudolf Korte sieht Merkels Macht durch die Flüchtlingsdikussionen angekratzt. (imago stock&people)
    Ann-Kathrin Büüsker: Um Viertel vor zwölf ist der Zug von Professor Karl-Rudolf Korte in Duisburg angekommen. Mit dem Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen möchte ich über den aktuellen Disput in der Großen Koalition sprechen, oder besser vor allem den in der Union. Guten Abend, Herr Korte!
    Karl-Rudolf Korte: Ja, guten Abend!
    Büüsker: Herr Korte, so mancher Kollege aus den Medien schreibt bereits von einem Putsch gegen Angela Merkel. Erleben wir tatsächlich gerade einen Putsch gegen sie?
    Korte: Nein, aber sie ist nicht mehr unantastbar. Das merkt man. Kanzlermacht ist immer auch Parteimacht und was sich da in den letzten Stunden abgespielt hat, war irritierend, weil es vielleicht dilettantisch war, oder es war Absicht. Das wissen wir im Moment noch nicht.
    Kanzlerin hat offenbar gerade keinen Plan
    Büüsker: Wie beurteilen Sie das denn? War es dilettantisch, oder war es Absicht?
    Korte: Die Partei ist geschlossen ganz offensichtlich. Partei und Präsidium haben sich einer Linie angeschlossen, die de Maizière eigentlich vorgegeben hatte. Auch die letzten Regionalkonferenzen an den verschiedenen Orten, zuletzt in Darmstadt, signalisierten durchaus Unterstützung für einen Flüchtlingskurs, der durchaus restriktiver geworden ist. Was in der Ministerriege der CDU sich abgespielt hat war eher so, dass man hier Reihen geschlossen hat um de Maizière herum, und das muss die Kanzlerin alarmieren.
    Büüsker: Heißt das, das Diktum der Kanzlerin "wir schaffen das" gilt innerhalb der CDU nicht mehr?
    Korte: Die CDU ist "wir schaffen das" und "wir schaffen das nicht", beides zusammen. Aber es fehlt im Moment an einer Zuversicht und einer Offensive, die von einer Kanzlerin, nicht von der Parteiführerin ausgehen musste. An so einem Tag kann man auch über ein Zehn-Punkte-Programm noch mal sprechen. Der 9. November, der war auch viel diffus und viel defensiver an Regierungspolitik, und da half der Ausweg, einen Plan zu haben. Den hat die Kanzlerin offenbar im Moment nicht. Sie hat den international im Blick auf die europäischen Kontexte ja. Das hat sie mehrfach erklärt. Aber auf die nationalen Zuhörerschafften eher nicht.
    Büüsker: Aus Ihrer Sicht, was musste die Kanzlerin jetzt tun?
    Korte: Ja! Sie hat alles in ihrer Kanzlerschaft erreicht. Sie hat eine ruhige Stärke, sie ist sehr souverän und könnte den Kompass, der sie im Sommer jetzt stark gemacht hat, praktisch den neuen Kompass erklären, Politik zu machen, und zwar auch für die Flüchtlinge, mit all den Problemen, die damit zusammenhängen, diesen Kompass durchsetzen. Das geht ganz offensiv mit einem Programm, bei dem sie sagt, wann sie was erreichen möchte, und dazu gehört sicherlich auch zu sagen, wann sie meint, bestimmte Belastungsgrenzen sind erreicht. Aber sich jetzt einfach vor einen Zug spannen zu lassen und alles einzukassieren, was sie mit ihrem Kompass auch entwickelt hat, das wirkt sehr wenig überzeugend.
    Büüsker: Das heißt, es fehlt ein Machtwort von ihr?
    Korte: Machtwort reicht nicht aus. Wer Machtworte ausspricht kann auch gleich Vertrauensfragen stellen im Parlament. Dafür ist sie noch zu machtvoll, um dieses sensible Instrument einzusetzen. Nein: Sie muss die Akteure, die bisher zu ihr standen, besser positionieren und muss versuchen, auch innerhalb der CDU ihre Flanken zu schließen.
    Altmaier war bisher "trouble shooter"
    Büüsker: Welche Rolle spielt dabei Kanzleramtschef Altmaier?
    Korte: Bisher war er Trouble Shooter. Er hatte sehr souverän auch die Rolle damals bei der Energiewende übernommen nach Röttgen. Er ist so ein beruhigender Typ, der sehr viel Gelassenheit ausstrahlt. Hinter den Kulissen hat er bisher sehr geräuschlos agiert. Aber das letzte Wochenende sprach nicht für ihn und wenn das ihm nicht mehr gelingt, die CDU-Minister zusammenzuhalten, dann zeigt das auch, dass da eine Absicht offenbar der CDU-Minister hinter ist, um ihre restriktivere Flüchtlingspolitik dominanter zu machen.
    "Parteimacht und Kanzlermacht scheinen auseinanderzugehen"
    Büüsker: Könnte man sagen, es gibt innerhalb der CDU eine Front gegen Kanzlerin Merkel?
    Korte: Front ist zu hart, aber Parteimacht und Kanzlermacht scheinen auseinanderzugehen an diesem Wochenende. Bis heute ist das erkennbar. Und wenn die Kluft weiter auseinandergeht, dann kann man auch nicht weiter machtvoll regieren, wie es bislang Angela Merkels Stil war.
    Büüsker: Wo bleibt bei all dem der Koalitionspartner, die SPD?
    Korte: Die ist eigentlich seit dem letzten Koalitionsfrieden auf einen Gemeinschaftskurs eingeschworen worden. Andererseits: Als Bürger erwarten wir einen großen Parteienstreit in diesen zentralen Fragen voller Leidenschaft, weil die Opposition in Zeiten der Großen Koalition so marginalisiert ist, dass wir uns wünschen müssen, dass die Parteien als Abbild der Gesellschaft sehr kontrovers, laut und heftig miteinander diskutieren und keinen Schmusekurs eingehen.
    Büüsker: Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte live hier im Deutschlandfunk-Interview. Herr Korte, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
    Korte: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.