Elke Durak: Wolfgang Gessenharter ist Politikwissenschaftler und Leiter der Arbeitsgruppe für Demokratieforschung an der Helmut-Schmidt-Universität, also der Universität der Bundeswehr. Herr Gessenharter, womit hat Heye Recht?
Wolfgang Gessenharter: Schönen guten Tag. Herr Heye hat in einem Punkt Recht: Dass wir tatsächlich Gewalttaten pro 100.000 Menschen, die in einem Land wohnen, in den östlichen Bundesländern mehr haben, als in den westlichen Bundesländern. Er hat nicht Recht, wenn er sagt, man könne sich dort nicht mehr aufhalten. Weil, Gott sei Dank, natürlich die Anzahl der Gewalttaten immer noch so gering ist, dass man nicht einfach sagen muss, man geht da hin und kriegt gleich eine über den Kopf.
Durak: Aber es gibt auch genügend Äußerungen von Brandenburgern, von Mecklenburg-Vorpommern, oder auch Sachsen, wenn man wirklich dort hingeht und sie fragt, die genau das bestätigen, was Heye ja gesagt hat: Für Nicht-Weiße gibt es gefährliche Gebiete in den neuen Bundesländern, mehr als anderswo. Weshalb in Ostdeutschland besonders?
Gessenharter: Die gibt es, das ist richtig. Und die gibt es auch in den ostdeutschen Ländern ganz besonders. Und ich glaube, da muss man genauer einmal hinkucken, wie das eigentlich überhaupt zustande kommt, dass wir zum Beispiel, auch in den neuen Bundesländern eben die rechtsextremen Parteien stärker vertreten haben als in den alten Bundesländern. Wir haben 1989 und die folgenden Jahre, haben wir damals feststellen können, dass sich die Rechten sofort mit ihren, ja doch insgesamt bescheidenen Mitteln, sehr stark auf die neuen Bundesländer hin orientiert haben und haben dort ganz schnell und in Windeseile Gruppen aufgebaut, ein subkulturelles Milieu aufgebaut, und dann sind die Parteien auch mitgegangen. Und dieses Ganze als eine rechte Bewegung zu sehen, und darauf kommt es mir an. Denn wir haben heute in der Tat, zum Beispiel in der Sächsischen Schweiz, Stadträte, wo über 20 Prozent NPD gewählt haben und wo die NPD manchmal stärker ist, als die SPD. Dafür gibt es Erklärungsgründe, die aber gar nicht so sehr in der Mentalität der ostdeutschen Bevölkerung liegen, sondern die schon sehr stark darin liegen, dass dort eben ein ganz intensives Aufbauprogramm des rechten Lagers betrieben wurde, das jetzt natürlich auch seine Früchte zeigt. Immerhin noch vergleichsweise, Gott sei Dank, bescheidene Früchte.
Durak: Ist es trotzdem falsch zu sagen, dass der Weg der jugendlichen Täter in die Gewalt und dann ins Rechtsextreme, durch die Köpfe der Eltern geht? Und immer wieder die Frage, wieso gerade ostdeutsche Eltern, oder auch Großeltern, versagen.
Gessenharter: Also an einem Punkt kann man ganz sicher sagen, dass sich hier eben auch ein Mentalitätsproblem insofern abspielt, als die Diskussionen um soziale Probleme eben doch in einer unglaublichen, wie soll man sagen, in einer unglaublichen Komplizität sich abspielen müssen. Und da sind natürlich dann, leichtere Antworten sind dann sehr gefährlich. Und Ich denke schon, dass man sagen kann, dass in den Köpfen der älteren Menschen, auch in den neuen Bundesländern, sich dieses Problem noch nicht so ganz deutlich gezeigt hat, dass wir eben bei Globalisierung und, und, und - bei diesen ganzen Themen - es mit einem unheimlich komplizierten System zu tun haben, insgesamt. Und dass man eben nicht sagen kann, früher war es der Kapitalismus, jetzt sind es die Ausländer, oder wie auch immer. Es gab dort schon sehr stark ein Entweder-oder, sozusagen ein bipolares Modell. Und die realen Probleme sind aber alles andere, als mit bipolaren Modellen zu lösen.
Durak: Viele Ostdeutsche, Herr Gessenharter, fühlen sich unter Generalverdacht gestellt, wenn so etwas passiert und man auf die DDR-Vergangenheit verweist. Wie kann man ein solches Problem besser angehen?
Gessenharter: Also ich denke, man wird es wirklich nur angehen können, indem man wirklich eine ganz klare und ganz offene Aufklärungspolitik betreibt, die die Probleme benennt. Die sie aber auf der anderen Seite auch in ihren Lösungsvorschlägen dahingehend benennt, dass sie nicht so einfach sind, dass man mal die Ausländer rausschmeißt und dann hat man die ganzen Arbeitsplätze wieder zur Verfügung, oder was auch immer da an Unfug betrieben wird. Und es zeigt sich natürlich auch auf der anderen Seite wieder, dass wir ein Ausländerproblem, oder ein Gewalttat-gegen-Ausländer-Problem, nicht unbedingt dort haben, wo wir auch viele Ausländer haben. Sondern, es gibt ja auch eben diesen Antisemitismus ohne Juden und es gibt auch das Ausländerproblem ohne Ausländer. Und das zeigt, dass hier in den Köpfen etwas falsch läuft und dass in den Köpfen sozusagen eine Wirklichkeit etabliert worden ist, an die dann demokratische Parteien nur mehr schwer andocken können. Wenn man sieht, wie im Alltag, sich zum Beispiel auch die NPD verkauft - indem sie genau das macht, dass sie an den Alltag anknüpft und dass sie diesen Alltag versucht, in diesen ganz einfachen Erklärungsschemata zu präsentieren - dann weiß man, wo die Gefahr ist. Und dass es da demokratische Parteien immer schwerer haben, weil das Komplexe immer schwieriger zu verstehen ist, als das Einfache, ich glaube, das versteht sich von selbst.
Durak: Der Appell an die Menschen. Wie lautet Ihr Appell an die Politik in dieser Sache?
Gessenharter: Also der Appell an die Politik kann überhaupt nur heißen: Nehmt dieses alles, was sich da im rechten Lager abspielt, nehmt dieses ernst. Und nehmt dieses ernst als einen Angriff, in erster Linie auf die Mitte. In der Mitte der Gesellschaft spielen sich die Dinge ab und wenn ich merke, wie da manchmal fahrlässig über Einwanderung, über, wir seien kein Einwanderungsland und so weiter, gesprochen wird und die Realitäten einfach ausgeblendet werden, dann denke ich, hier ist es Zeit, dass wir hier mit großem Realismus und auch mit einer ganz klaren Verpflichtung auf den Artikel 1 des Grundgesetzes, dass die Würde des einzelnen Menschen unantastbar ist, dass wir uns in diesem Punkt wieder vergewissern und an diesem Punkt weitermachen.
Wolfgang Gessenharter: Schönen guten Tag. Herr Heye hat in einem Punkt Recht: Dass wir tatsächlich Gewalttaten pro 100.000 Menschen, die in einem Land wohnen, in den östlichen Bundesländern mehr haben, als in den westlichen Bundesländern. Er hat nicht Recht, wenn er sagt, man könne sich dort nicht mehr aufhalten. Weil, Gott sei Dank, natürlich die Anzahl der Gewalttaten immer noch so gering ist, dass man nicht einfach sagen muss, man geht da hin und kriegt gleich eine über den Kopf.
Durak: Aber es gibt auch genügend Äußerungen von Brandenburgern, von Mecklenburg-Vorpommern, oder auch Sachsen, wenn man wirklich dort hingeht und sie fragt, die genau das bestätigen, was Heye ja gesagt hat: Für Nicht-Weiße gibt es gefährliche Gebiete in den neuen Bundesländern, mehr als anderswo. Weshalb in Ostdeutschland besonders?
Gessenharter: Die gibt es, das ist richtig. Und die gibt es auch in den ostdeutschen Ländern ganz besonders. Und ich glaube, da muss man genauer einmal hinkucken, wie das eigentlich überhaupt zustande kommt, dass wir zum Beispiel, auch in den neuen Bundesländern eben die rechtsextremen Parteien stärker vertreten haben als in den alten Bundesländern. Wir haben 1989 und die folgenden Jahre, haben wir damals feststellen können, dass sich die Rechten sofort mit ihren, ja doch insgesamt bescheidenen Mitteln, sehr stark auf die neuen Bundesländer hin orientiert haben und haben dort ganz schnell und in Windeseile Gruppen aufgebaut, ein subkulturelles Milieu aufgebaut, und dann sind die Parteien auch mitgegangen. Und dieses Ganze als eine rechte Bewegung zu sehen, und darauf kommt es mir an. Denn wir haben heute in der Tat, zum Beispiel in der Sächsischen Schweiz, Stadträte, wo über 20 Prozent NPD gewählt haben und wo die NPD manchmal stärker ist, als die SPD. Dafür gibt es Erklärungsgründe, die aber gar nicht so sehr in der Mentalität der ostdeutschen Bevölkerung liegen, sondern die schon sehr stark darin liegen, dass dort eben ein ganz intensives Aufbauprogramm des rechten Lagers betrieben wurde, das jetzt natürlich auch seine Früchte zeigt. Immerhin noch vergleichsweise, Gott sei Dank, bescheidene Früchte.
Durak: Ist es trotzdem falsch zu sagen, dass der Weg der jugendlichen Täter in die Gewalt und dann ins Rechtsextreme, durch die Köpfe der Eltern geht? Und immer wieder die Frage, wieso gerade ostdeutsche Eltern, oder auch Großeltern, versagen.
Gessenharter: Also an einem Punkt kann man ganz sicher sagen, dass sich hier eben auch ein Mentalitätsproblem insofern abspielt, als die Diskussionen um soziale Probleme eben doch in einer unglaublichen, wie soll man sagen, in einer unglaublichen Komplizität sich abspielen müssen. Und da sind natürlich dann, leichtere Antworten sind dann sehr gefährlich. Und Ich denke schon, dass man sagen kann, dass in den Köpfen der älteren Menschen, auch in den neuen Bundesländern, sich dieses Problem noch nicht so ganz deutlich gezeigt hat, dass wir eben bei Globalisierung und, und, und - bei diesen ganzen Themen - es mit einem unheimlich komplizierten System zu tun haben, insgesamt. Und dass man eben nicht sagen kann, früher war es der Kapitalismus, jetzt sind es die Ausländer, oder wie auch immer. Es gab dort schon sehr stark ein Entweder-oder, sozusagen ein bipolares Modell. Und die realen Probleme sind aber alles andere, als mit bipolaren Modellen zu lösen.
Durak: Viele Ostdeutsche, Herr Gessenharter, fühlen sich unter Generalverdacht gestellt, wenn so etwas passiert und man auf die DDR-Vergangenheit verweist. Wie kann man ein solches Problem besser angehen?
Gessenharter: Also ich denke, man wird es wirklich nur angehen können, indem man wirklich eine ganz klare und ganz offene Aufklärungspolitik betreibt, die die Probleme benennt. Die sie aber auf der anderen Seite auch in ihren Lösungsvorschlägen dahingehend benennt, dass sie nicht so einfach sind, dass man mal die Ausländer rausschmeißt und dann hat man die ganzen Arbeitsplätze wieder zur Verfügung, oder was auch immer da an Unfug betrieben wird. Und es zeigt sich natürlich auch auf der anderen Seite wieder, dass wir ein Ausländerproblem, oder ein Gewalttat-gegen-Ausländer-Problem, nicht unbedingt dort haben, wo wir auch viele Ausländer haben. Sondern, es gibt ja auch eben diesen Antisemitismus ohne Juden und es gibt auch das Ausländerproblem ohne Ausländer. Und das zeigt, dass hier in den Köpfen etwas falsch läuft und dass in den Köpfen sozusagen eine Wirklichkeit etabliert worden ist, an die dann demokratische Parteien nur mehr schwer andocken können. Wenn man sieht, wie im Alltag, sich zum Beispiel auch die NPD verkauft - indem sie genau das macht, dass sie an den Alltag anknüpft und dass sie diesen Alltag versucht, in diesen ganz einfachen Erklärungsschemata zu präsentieren - dann weiß man, wo die Gefahr ist. Und dass es da demokratische Parteien immer schwerer haben, weil das Komplexe immer schwieriger zu verstehen ist, als das Einfache, ich glaube, das versteht sich von selbst.
Durak: Der Appell an die Menschen. Wie lautet Ihr Appell an die Politik in dieser Sache?
Gessenharter: Also der Appell an die Politik kann überhaupt nur heißen: Nehmt dieses alles, was sich da im rechten Lager abspielt, nehmt dieses ernst. Und nehmt dieses ernst als einen Angriff, in erster Linie auf die Mitte. In der Mitte der Gesellschaft spielen sich die Dinge ab und wenn ich merke, wie da manchmal fahrlässig über Einwanderung, über, wir seien kein Einwanderungsland und so weiter, gesprochen wird und die Realitäten einfach ausgeblendet werden, dann denke ich, hier ist es Zeit, dass wir hier mit großem Realismus und auch mit einer ganz klaren Verpflichtung auf den Artikel 1 des Grundgesetzes, dass die Würde des einzelnen Menschen unantastbar ist, dass wir uns in diesem Punkt wieder vergewissern und an diesem Punkt weitermachen.