Christiane Kaess: Am Telefon ist Joachim Krause. Er ist Politikwissenschaftler und Professor für internationale Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Guten Abend.
Joachim Krause: Guten Abend, Frau Kaess.
Kaess: Herr Krause, haben die Anschläge von Paris bei der internationalen Terrorbekämpfung jetzt alles verändert, oder bleibt eigentlich alles beim Alten?
Krause: Na ja, es wird sich schon etwas verändern, weil erkennbar geworden ist, dass jetzt auch Europa Gegenstand von größeren und koordinierten Anschlägen geworden ist oder weiterhin sein wird. Bisher hatte man sich immer damit getröstet, dass die eigentliche Gefahr irgendwo im Mittleren Osten ist und dass wir bestenfalls peripher davon berührt sein werden, und diese Vorstellung ist jetzt ad acta gelegt. Das heißt, wir werden damit leben müssen, dass es auch mehr solche großen Anschläge hier gibt.
Kaess: Jetzt ist die Strategie des französischen Präsidenten Hollande weitere Luftschläge gegen den IS. Was sollen die bringen, mehr als bisher?
Krause: Hollande hat gesagt, dies ist ein Krieg, und er wird erst dann Ruhe haben, wenn der Islamische Staat nicht mehr besteht. Das heißt im Grunde genommen, dass er sich zum Ziel gesetzt hat, den Islamischen Staat zu zerstören, und das will er mit Hilfe der Vereinten Nationen machen. Ob das von Erfolg sein wird, weiß ich im Augenblick nicht. Ich bezweifle das, weil die Reaktionen, die aus Washington kamen, doch eher zurückhaltend waren.
Kaess: Zurückhaltend heißt, der Westen beziehungsweise Washington vor allem ist nach wie vor dagegen, Bodentruppen zu schicken, und bisher war die Meinung von Analysten, um den IS zu besiegen, wären Bodentruppen notwendig?
Krause: Das ist richtig. Man kann den IS zwar schwächen mit Luftangriffen, aber man wird diesen Staat nicht ausmerzen können oder dieses sogenannte Kalifat. Dazu braucht es eine große Operation und da müssen sich viele Staaten beteiligen. Da brauchen wir Hunderttausende von Soldaten. Solange die USA das nicht mitmachen, ist das ziemlich ohne Aussicht, und der amerikanische Präsident sagt sehr klar, das ist ein Problem der dortigen regionalen Mächte und der dortigen Menschen dort und wir können das als USA militärisch nicht lösen. Wir können bestenfalls lokalen Kräften wie den Kurden helfen, aber es müssen die dortigen Mächte dieses Problem lösen.
"Russland ist Teil des Problems und nicht der Lösung"
Kaess: Und trotzdem möchte Hollande so etwas wie eine internationale Koalition bilden, mit den USA und mit Russland. Kann man das jetzt schon als geschlosseneres Vorgehen bezeichnen?
Krause: Nein. Wie gesagt: Die USA oder zumindest der amerikanische Präsident ist massiv dagegen. Wie das in einem Jahr aussehen wird, wenn es in den USA eine Wahl gegeben hat, das mag dann anders sein, aber für den gegenwärtigen Zeitpunkt sehe ich diese Chance nicht. Auch die deutsche Bundesregierung kommt mit ihrem Standard-Mantra, dass militärische Mittel diese Probleme nicht lösen können. Im Augenblick hätte Hollande bestenfalls Russland auf seiner Seite und das ist ein sehr dubioser Verbündeter, weil Russland ist eigentlich Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
Kaess: Was wird sich denn überhaupt ändern?
Krause: Das werden wir sehen. Die Franzosen werden jetzt versuchen, die Europäische Union stärker in diesem Sinne zu aktivieren, und die Frage ist, ob sie auch die NATO in diesem Sinne um Beistand bitten werden. Beides könnte sein und die NATO wird sich schwer tun, eine solche Sache nicht als Artikel-fünf-Verletzung zu bezeichnen. Aber jeder NATO-Staat kann ja selber entscheiden, wie er auf einen Artikel-fünf-Fall reagiert, und insofern können die Franzosen, wenn sie den NATO-Vertrag oder auch den EU-Vertrag aktivieren, nicht unbedingt darauf setzen, dass jetzt eine große Streitmacht bereitsteht, der Europäer oder des Westens, um den Islamischen Staat zu zerstören.
Kaess: Bisher ist es ja so, dass man aus Frankreich dieses Wort Bündnisfall explizit noch nicht gehört hat. Was macht Sie da so sicher, dass das noch kommen wird?
Krause: Frankreich hat bereits schon gesagt, dass sie auf einen bestimmten Artikel des EU-Vertrages verweisen, in dem ja durchaus so etwas angedeutet ist wie eine Bündnispflicht.
Kaess: Der Artikel 42.7 ist das.
Krause: Ja. Aber die Frage ist auch hier, wie werden die anderen Staaten reagieren, in erster Linie, wie wird die Bundesrepublik reagieren, und ich befürchte, dass es darüber doch eine deutsch-französische Verwerfung geben wird. Ich kann die Franzosen sehr gut verstehen. Sie haben eigentlich Recht: Dieses Gebilde muss ausgemerzt werden. Aber ich sehe im Augenblick nicht, wie sie die politische Unterstützung sowohl in Europa wie in den USA dazu finden können. Und wenn sie zum Schluss nur gemeinsam mit den Russen dastehen, dann haben die Franzosen eigentlich eher ein Problem.
Kaess: Auch hier, Herr Krause, müssen wir sagen, letztendlich wird sich unterm Strich nichts ändern. Heißt also, der IS kann weiter ungehindert auch Kämpfer rekrutieren, auch aus Europa?
Krause: Ja, ob er das ungehindert machen kann, weiß ich nicht, weil das ist natürlich auch für den IS immer schwieriger und unsere Behörden versuchen ja, dieses Problem immer mehr in den Griff zu bekommen. Aber solange der IS besteht, hat er eine Anziehungskraft für Leute, die aus irgendeinem Grund in dieser Gesellschaft ihren Platz nicht finden, die zu einer radikalen Interpretation des Islam neigen, und das Ganze ist eine furchtbare Mischung, vor allen Dingen, wenn es junge Migranten, Kinder oder Jugendliche, erwischt. Da haben wir ein Problem. Aber das eigentliche Problem ist tatsächlich der Islamische Staat, der sich mehr und mehr konsolidiert, und je mehr er sich konsolidiert, desto mehr militärische Machtmittel hat er, desto mehr Propaganda-Machtmittel kann er aufbieten und umso mehr Anschläge kann er auch bei uns machen.
"Der Islamische Staat erstarkt"
Kaess: Sie rechnen mit einem Erstarken des Islamischen Staates in der absehbaren Zukunft?
Krause: Ja, er erstarkt. Ungefähr jeden Monat kommen tausend ausländische Kämpfer dort an, um sich diesem Staat anzuschließen, und das ist nicht wenig. Das sind im Jahr 10, 12, 13, 14.000 Leute und die sind alle entschlossen, dort am Aufbau des Kalifates mitzuwirken, und dieses Kalifat, es ist zumindest robust. Es hat sich gehalten, trotz der vielen Luftangriffe, trotz der vielen ökonomischen Sanktionen und Maßnahmen. Und wenn der sich dauerhaft hält und vielleicht eines Tages auch in der Lage ist, Luftabwehr-Einheiten aufzubauen, die dann die Flugzeuge unter eine Gefahr setzen, die dort Angriffe machen, dann könnte es durchaus auch sein, dass er sich noch viel tiefergehend etabliert.
Kaess: Dann schauen wir mal kurz zum Schluss noch über die EU-Ebene hinaus. Die G20-Staaten wollen sich ja auch besser koordinieren bei der Terrorismusbekämpfung. Sind das auch wiederum leere Worte, oder kann das eventuell Veränderungen bringen? Es wurde ja zum Beispiel auch gesprochen davon, die Geldströme an den IS zu kappen.
Krause: Ja wissen Sie, wenn immer solche Anschläge da sind, dann finden Sie in allen internationalen Kommuniqués - ob das Sicherheitsrat oder ob das G20 oder G7 sind - große Versprechungen. Aber G20 ist eigentlich bekannt dafür, dass am Ende nicht viel dabei herauskommt. Die einzigen, die schon relativ effektiv sind, sind die G7. Die G7 sind bisher die einzige internationale Organisation, wenn man so will, oder Abmachung, die effektiv wirksame Maßnahmen gegen den Zufluss von illegalen Geldströmen gemacht haben. Aber ob die G20 das hinkriegen, das wage ich zu bezweifeln.
Kaess: Die Einschätzung von Joachim Krause. Er ist Professor für internationale Politik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Danke für dieses Gespräch.
Krause: Gern geschehen! Wiederschauen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.