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Politikwissenschaftler von Lucke
"Die AfD hat ein veritables Antisemitismus-Problem"

Eines werde mit den Turbulenzen innerhalb der AfD in Baden-Württemberg deutlich: Die Partei gäre rechtes Gedankengut aus bis zum Antisemitismus, sagte der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke im DLF. Die Partei habe "Leute angezogen, die ersichtlich nicht auf dem Boden dieser Grundordnung stehen und keine Demokraten sind".

Albrecht von Lucke im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Albrecht von Lucke
    Albrecht von Lucke (dpa/picture alliance/Horst Galuschka)
    Sarah Zerback: Noch im März hat die AfD in Baden-Württemberg ihren Wahlerfolg gefeiert, ist dort mit 23 Abgeordneten in den Landtag eingezogen, und jetzt, nur drei Monate später, kämpft die Landtagsfraktion der Partei darum, sich nicht komplett selbst zu zerlegen. Nachdem heute 13 der 23 Abgeordneten angekündigt haben, die Fraktion mit sofortiger Wirkung zu verlassen, weil sie sich nicht damit durchsetzen konnten, Wolfgang Gedeon auszuschließen.
    Über diese Turbulenzen der AfD habe ich vor dieser Sendung gesprochen mit Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und Redakteur von den Blättern für deutsche und internationale Politik, und habe ihn zuerst gefragt, ob die Spaltung der Fraktion nun der Anfang vom Ende der AfD in Baden-Württemberg wäre.
    Albrecht von Lucke: Der Anfang vom Ende ist es meines Erachtens sicherlich nicht. Aber was wir beobachten müssen ist zunächst einmal der Faktor, dass eine 23-köpfige Fraktion nicht in der Lage ist, nach den normalen Modalitäten eine Person, die ersichtlich antisemitisch sich geäußert hat, ein Antisemit ist, wie seine schriftlichen Bekundungen es klar machen, diese Person nach den notwendigen Mehrheiten, nämlich einer Zwei-Drittel-Mehrheit aus ihren Reihen auszuschließen. Das ist schon mal ein sehr bemerkenswerter Vorgang und das führt dazu, das ist noch bemerkenswerter, dass hier jetzt vom Bundesvorstand der andere abgängige Teil als der eigentlich zuständige Teil anerkannt wird. Auch das ist rechtlich höchst zweifelhaft und das ist kein normaler Vorgang. Nein, das zeigt, dass die AfD ein veritables Antisemitismus-Problem hat.
    Zerback: Kann man Ihrer Ansicht nach in der AfD keine Diskussion um Antisemitismus zu einem ordentlichen Ende führen? Muss es da gleich eine Trennung sein?
    von Lucke: Na ja. Der normale Vorgang - erinnern wir uns beispielsweise an den Fall Martin Hohmann vor jetzt 13 Jahren. Die CDU/CSU hat den ganz normalen Vorgang gewählt, dass ein Mann, der ersichtlich uneinsichtig war, was eine hoch problematische Rede anbelangte, in der er relativierend über das jüdische Volk und den Holocaust gesprochen hat, diesen Mann hat die CDU/CSU-Fraktion dann mit klarer Zwei-Drittel-Mehrheit ausgeschlossen und damit auch klar gemacht, das dulden wir nicht in unseren Reihen. Dazu ist die AfD ersichtlich nicht in der Lage und das ist natürlich schon beredt. Es zeigt, dass wir es hier mit einer echten Problematik innerhalb dieser Partei zu tun haben, die sich offensichtlich von solchen Personen nicht trennen will, und damit macht sie nicht klar, ob der Vorwurf denn nicht doch zutrifft, dass auch Herr Meuthen Leute angezogen hat, die ersichtlich nicht auf dem Boden dieser Grundordnung stehen, keine Demokraten sind, und das ist ein veritables Problem.
    "Sie alle distanzieren sich nicht von Herrn Gedeon"
    Zerback: Hat Fraktionschef Meuthen den Antisemitismus da vorher zu lange in seiner Fraktion toleriert?
    von Lucke: Er war ersichtlich nicht in der Lage, die Partei einzustimmen. Er hat auch davor, wie es ja gleich schon unter dem Fall Bernd Luckes der Fall war, Leute angezogen, die ersichtlich nicht klar sind in ihren Positionen. Er hätte ja Herrn Gedeon viel früher prüfen können. Sie hätten feststellen können, dass in seinem Schrifttum, denn er hat ja Bücher geschrieben, die klar antisemitischen Inhalts sind, er hätte feststellen können, dass es sich um einen Menschen handelt, der höchst zweifelhafte Positionen vertritt. Das ist alles nicht der Fall gewesen. Insofern trifft diese Partei von Herrn Meuthen jetzt der Vorwurf, dass sie nicht genau hingeguckt hat, und offensichtlich - und das ist das eigentliche Problem - ist das ja mit fast der Hälfte der Fraktion nicht hinreichend klar. Sie alle distanzieren sich nicht von Herrn Gedeon und das ist das eigentliche Problem.
    Zerback: Jetzt sagen Sie gerade, von ihm distanziert sich keiner, von ihm trennt man sich auch nicht. Die Trennung findet jetzt auf einer anderen Ebene statt. Fraktionschef Meuthen will jetzt eine neue Fraktion aufbauen. Und Sie haben das Stichwort Lucke gerade schon genannt. Wie sind denn da die Chancen?
    von Lucke: Es ist ja zunächst einmal tatsächlich ein rechtliches Problem. Es ist ja nicht ohne Grund so, dass die Vorschriften für Parteiausschüsse ein hohes Quorum, eine hohe Mehrheit vorschreiben. Wäre es die einfache Mehrheit, wäre Herr Gedeon bereits ausgeschlossen, denn wir haben ja ein Abstimmungsergebnis von 13:10. Aber es gibt gute Gründe, denn Herr Gedeon ist gewählt. Das heißt, normalerweise muss eine zwei-Drittel-Mehrheit vorliegen. Und genauso zweifelhaft ist es, dass die AfD jetzt qua Bundesvorstandsentschluss entscheidet, jetzt soll in Zukunft nur noch die Fraktion Meuthen für die AfD sprechen können. Das ist höchst zweifelhaft. Wir haben es hier also mit einer rechtlich hoch problematischen Situation zu tun, denn man kann nicht ohne weiteres den zehn Gewählten einfach das Recht absprechen, für die AfD zu sprechen. Das muss rechtlich geklärt werden. Und das zeigt die Problematik. Das heißt, jetzt fällt gewissermaßen auf die AfD zurück, dass sie davor keine Klärung in ihren Positionen zu Wege gebracht hat, und das macht es so problematisch.
    "Stellvertreterkrieg auf der Bundesvorstandsebene"
    Zerback: Sie sprechen jetzt die rechtliche Ebene an. Wieweit ist denn die Abspaltung gedeckt durch den AfD-Vorstand?
    von Lucke: Nein! Das ist natürlich in der Hinsicht nicht klar rechtlich gedeckt und das macht das zweite Problem ja aus. Auch im Vorstand haben wir zwar jetzt einen Mehrheitsbeschluss, aber auch da sehen wir ja eine zweite Ebene. Wir haben so etwas wie einen Stellvertreterkrieg auf der politischen, auf der Bundesvorstandsebene. Es steht dort ersichtlich die Fraktion Meuthen und interessanterweise mit den Herren Gauland und Höcke, die ja keineswegs normalerweise die moderateren Kräfte sind. Sie stehen gegenüber der kleineren Fraktion Petry und Albrecht Glaser. Das heißt, hier wird zwischen den beiden Co-Vorsitzenden Meuthen und Petry ein Machtkampf ausgefochten, und dort stellt sich jetzt ersichtlich der Großteil des Vorstandes, also auch durchaus die radikaleren Kräfte um Björn Höcke und Herrn Poggenburg und Herrn Gauland, hinter Herrn Meuthen. Das heißt, hier geht es darum, auch gewissermaßen die Fronten schon mit Blick auf den nächsten Bundestagswahlkampf zu begradigen.
    Frauke Petry kämpft weiter um ihr Überleben und das ist die zweite, die politische Ebene dieser Auseinandersetzung. Die spannende Frage wird sein, ob wir bereits im September, wo die Frage ja zum Schwur kommt - wir haben die nächsten Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern -, ob die Bevölkerung klar sagt, wir möchten mit einer solchen Partei, der AfD, die sich ersichtlich auch im antisemitischen Bereich bewegt, nichts mehr zu tun haben. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass die Wähler hinreichend abgestumpft sind und sich daran gar nicht mehr stören.
    "Rechtes Gedankengut bis zum Antisemitismus"
    Zerback: Und in Baden-Württemberg haben viele die AfD gewählt. Jetzt gäbe es, wenn es dann zu dieser Abspaltung kommt, zwei politische Strömungen im baden-württembergischen Landtag. Weiß man denn, wofür die genau stehen könnten? Wie ist da Ihre Einschätzung?
    von Lucke: Nun, da müsste man sich jetzt die jeweiligen Gewählten genauer angucken. Ich vermute, dass auch da die Trennung quer durch alle Lager geht. Bisher galt die AfD in Baden-Württemberg ja ersichtlich als eine eher wirtschaftsfreundliche, liberalere Fraktion. Wir merken aber auch an diesem Vorfall, dass sich zehn Personen hinter einen erwiesenen Antisemiten stellen. Das heißt, wir haben es hier offensichtlich mit einer ziemlich klaren Rechtsauslegerpartei zu tun, denn man hätte keine Schwierigkeit gehabt, sich über die Position von Herrn Gedeon ein klares Bild zu verschaffen. Nein! Diese vermeintlich so liberale AfD in Baden-Württemberg ist offensichtlich klar rechts kontaminiert, und das ist ein Problem. Das zeigt auch, dass wir es mit einer Sammlungsbewegung höchst unterschiedlicher Fraktionen zu tun haben. Herr Gauland hat ja den bemerkenswerten Satz geprägt: Die AfD ist ein gäriger Haufen. Und das zeigt sich, wie sie gärt. Sie gärt alles aus. Sie gärt rechtes Gedankengut aus bis zum Antisemitismus.
    Zerback: Und fängt die AfD jetzt an, sich selbst zu kannibalisieren, jetzt wo sie Erfolg hat? Das haben wir ja bei anderen Protestparteien auch schon beobachtet.
    von Lucke: Es ist immer so, dass die Rechtsparteien klassischerweise in Deutschland daran gescheitert sind, dass sie diesen alten braunen Sumpf und antisemitischen Grundcharakter nicht haben verleugnen können, dass er wieder zu Tage getreten ist. Bei der AfD meines Erachtens gab es und gibt es nach wie vor die Chance dieser Partei, einen anderen Anfang zu machen, denn wir dürfen eines nicht vergessen: Bisher ist die Wählerschaft aufgrund ganz anderer Gründe hinter diese Partei getreten. Ich befürchte, dass die Wähler sich auch in dieser Frage nicht hinreichend abschrecken lassen werden. Sie werden weiterhin die AfD aus anderen Gründen wählen, und das halte ich für das allergrößte Problem und die größte Gefahr. Die AfD könnte den Beweis antreten in diesem Lande, dass eine rechtspopulistische Partei gewählt wird, obwohl sie klare antisemitische Mitglieder in ihren Reihen hat, und das halte ich für ziemlich verheerend.
    Zerback: … sagt der Politikwissenschaftler und Jurist Albrecht von Lucke im Interview, das wir - Sie haben es gemerkt - kurz vor dem Rücktritt Wolfgang Gedeons aufzeichnen mussten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.