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Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel
"Wir müssen uns mehr streiten"

Die Volkspartei sei ein Auslaufmodell. Das zeige sich in ganz Europa, sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel im Dlf. Es könne nicht der Sinn und Zweck einer Demokratie sein, Probleme nicht zu thematisieren und die Bürger zu sedieren, sondern man müsse um die besten Lösungen streiten.

Wolfgang Merkel im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Eine Fußgängerin läuft in Müden (Aller) (Niedersachsen) vorbei an Wahlplakaten von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und CDU-Spitzenkandidatin und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
    Wer schafft es ins Kanzleramt? Am 24. September 2017 findet die Wahl zum 19, Deutschen Bundestag statt. (picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa)
    Wolfgang Merkel, seit 2004 Direktor der Abteilung "Demokratie und Demokratisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, sieht eine Repolitisierung der politischen Landschaft und eine Intensivierung, welche die Politikverdrossenheit etwas in den Hintergrund schiebe.
    "Wir leben in einer Gesellschaft, die von Widersprüchen geprägt ist, da kann sich nicht wie ein Zuckerguss eine Konsenspolitik darüber ausbreiten. Das dient nicht dem demokratischen Streit", sagt Wolfgang Merkel im Dlf und fordert: "Wir müssen uns mehr streiten."
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    Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel sieht einen gegenläufigen Trend zur Politikverdrossenheit (Foto: WZB / David Ausserhofer)
    Aussitzen und schweigen
    Der "Anschlag auf die Demokratie"-Vorwurf von Martin Schulz gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe einen wahren Kern: "Es ist geradezu eine Strategie der Kanzlerin geworden, Probleme auszusitzen und nicht zu thematisieren. Der Polit-Speak hat einen neuen Begriff erfunden, der heißt asymmetrische Demobilisierung, also nicht die Bürgerinnen und Bürger in die Debatte und den demokratischen Streit einzuführen und hineinzuziehen, sondern sie eher zu sedieren", sagte Merkel.
    Kein Geschenk für die Demokratie
    Schweigen und Ausweichen könne nicht Sinn und Zweck einer Demokratie sein. Aber es sei eine taktische Versuchung für die CDU/CSU diese Strategie, die in der Vergangenheit geglückt sei, noch einmal auszuprobieren. "Für die Demokratie ist es aber kein Geschenk", betonte Wolfgang Merkel.
    Die Volkspartei als Auslaufmodell
    Für Wolfgang Merkel ist die Volkspartei ein Auslaufmodell im 21. Jahrhundert. Das zeige sich in ganz Europa. "Die Gesellschaft ist nicht mehr in große soziale Aggregate und Organisationen, wie die Gewerkschaften oder die großen Kirchen zerfallen. Sondern: Wir beziehen uns sehr stark auf uns selbst, und da ist es gar nicht so schlecht für die Demokratie, dass wir mehr Auswahl haben, unterschiedliche Parteien wählen können und nicht immer nur zwischen den beiden großen Parteien entscheiden müssen", sagte Merkel. Zumal die beiden großen Parteien im Wahlkampf "zu viel Konsens, zu viele Überschneidungen, und zu wenig Differenzen aufgezeigt haben".