Christiane Kaess: Man einigte sich vor einem Parteitag auf einen oder eine neue Vorsitzende und der oder die wurde dann auch gewählt. So war das immer bei der CDU, bis auf eine historische Ausnahme. 1971 traten der damalige Unions-Fraktionschef im Bundestag Rainer Barzel und der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl gegeneinander an. Barzel gewann damals.
Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn, die drei prominenten Kandidaten, die heute für das Amt des Parteivorsitzenden gegeneinander antreten, haben sich und ihre Ideen in den vergangenen Wochen der Parteibasis auf mehreren Regionalkonferenzen vorgestellt. Wer aber das Rennen heute macht, darüber entscheiden 1001 Delegierte. Davor allerdings hat die bisherige CDU-Vorsitzende ihre Abschiedsrede gehalten.
Ebenfalls auf dem Parteitag erreichen wir den Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte.
Karl-Rudolf Korte: Ja, guten Tag!
Kaess: Kurz der Rückblick auf die Rede von Angela Merkel. War das das, was Sie erwartet hatten?
Korte: Ja. Es war sicherlich eine sehr schwere Rede, weil Frau Merkel nicht zu Pathos neigt, das heute aber durchaus angebracht gewesen wäre. Es war insofern etwas abweichend, weil sie Humor hat durchblicken lassen, den sie privat zeigt, in kleinen Runden, aber nie in großen. Aber grundsätzlich über Reden hätte Frau Merkel die 18 Jahre nicht bis heute so erreicht, wie sie sie erreicht hat. Sie ist nach wie vor keine große Rhetorikerin, die einen Saal sofort hinter sich bringt.
"Empfehlung für die jetzige Generalsekretärin"
Kaess: Und Pathos haben Sie nicht herausgehört?
Korte: Nein! Es ist diese machtbewusste Bescheidenheit, dieses Dehnende, auch durchaus Protestantische, was sie so ausmacht, dieses Ruheregiment, was sie groß gemacht hat, diese Empörungsverweigerung, immer erklärungsarm, pragmatisch unterwegs zu sein, für uns Probleme zu lösen in einer beeindruckenden Art, sich von niemandem in irgendeiner Weise hineinreden zu lassen oder aufregen zu lassen. Das macht so schnell ihr keiner nach und das war ihr Stil, der keine Ecken und Kanten hat und der auch manchmal inhaltlich nicht klar erkennbar war, wo ihre Handschrift konkret war bei bestimmten Entscheidungen. Aber das war das Abwartende und nicht das Vorpreschende, und das hat sie, glaube ich, in dieser Rede heute noch mal gut zum Ausdruck gebracht.
Kaess: Haben Sie eine versteckte Empfehlung für die Kandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer herausgehört?
Korte: Ja, das habe ich schon. Denn sie hat die Erfolgsgeschichte der CDU der letzten 18 Jahre durch alle Unruhepole dieser Welt, auch der nationalen damit begründet, dass der innere Kern, der innere Kompass auf diese Begleitung des gesellschaftlichen Wandels ausgerichtet ist, ihn leise mitzugestalten und Leute zusammenzuführen. Und das ist natürlich eine Empfehlung für die jetzige Generalsekretärin, die diesen dialogorientierten Moderationsstil auch hat, die durchaus Risikoentscheidungen ja mitgetragen hat, aber die zuversichtlich viel Empathie in ihre Arbeit einbringt und sich damit deutlich abhebt von dieser Selbstgewissheit, die der Kandidat Merz mitbringt, diese Selbstgewissheit, die sich komplett davon unterscheidet.
"Unterschiedliche Stile werden gewählt"
Kaess: Jetzt wissen wir aus den Umfragen, dass Kramp-Karrenbauer auch bei den Wählern vorne liegt. Beeinflusst das die Delegierten auf dem Parteitag?
Korte: Nein, weil die Projektionen sind ja das, was hier wirkt: Welche Erwartungshaltung hat man für die oder den neuen Vorsitzenden. Nicht die Umfragen. Die Projektionen lösen Euphorie aus, auch Unterhaltungswert in den letzten Wochen. Nicht der Richtungsstreit steht hier an, sondern unterschiedliche Stile werden gewählt, und das ist insofern für die Delegierten als Funktionäre hier wichtig: Welche Karrierewege sind für mich als Funktionär unter welchem Vorsitzenden eher zu erreichen? Das ist die zentrale Frage. Und nicht unterschätzen würde ich nach wie vor diesen Regionalproporz. Zu viel NRW – hat man auch in den letzten Stunden noch mal gehört – ist, glaube ich, nicht gewünscht.
Kaess: Das heißt, welche Tendenz würden Sie daraus ableiten?
Korte: Die Wissenschaft ist auch mit hoher Irrtumswahrscheinlichkeit konfrontiert. Ich bin seit vielen Jahren immer auf Bundesparteitagen der CDU und auch bei der SPD dabei und kann deshalb auch die Unterschiede gut beurteilen. Hier sind Stars immer Frau Klöckner oder Herr Bouffier und auch Frau Kramp-Karrenbauer. Warum sollte sie dieses Kapital verspielen, was sie in den letzten Jahren angehäuft hat. Ich sehe da doch sie deutlicher vorne, als man vielleicht das im Moment so erwarten kann. Ich sehe aber auch sehr viele im ersten Wahlgang, die durchaus (auch jüngere) für Spahn als einen Zukunftskandidaten votieren.
"Keine grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem Kurs"
Kaess: Jens Spahn gilt ja schon seit Wochen eigentlich als Außenseiter. Was hat er falsch gemacht?
Korte: Gar nichts! Er ist zum richtigen Moment als Rebell auch angetreten. Er ist einer, der professionell diskutieren möchte und das Debattieren eigentlich zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Er hat ein, zwei größere Erfolge auf Bundesparteitagen auch erzielt, auch wenn er nicht der eigentliche Liebling der Parteitage hier immer war. Aber er hat nichts falsch gemacht, sondern er hat natürlich mit Merz einen - seine Kandidatur wäre erfolgreicher gewesen, wenn nur er hätte gegen Kramp-Karrenbauer antreten müssen. Zweimal NRW hat auch im Blick auf seine wirtschaftspolitische Einstellung, glaube ich, vieles etwas durcheinandergebracht, um die Einheitlichkeit der Lager zu wahren.
Kaess: Dann schauen wir mal auf diese beiden Favoriten Kramp-Karrenbauer und Merz. Die werden ja in der öffentlichen oder in der äußeren Wahrnehmung doch als recht unterschiedlich gesehen und stehen für unterschiedliche Tendenzen. Was würde das denn jeweils für die Entwicklung der Partei bedeuten?
Korte: Nur einen unterschiedlichen Stil. Ich sehe wie gesagt keinen Richtungsstreit heute auf uns zukommen. Die Partei projiziert bestimmte Erwartungshaltungen, aber wir wissen, Euphorisieren tut die Aussicht auf Veränderung, nicht die Veränderung. Wähler wollen nicht die Veränderung, sondern die Aussicht. Das ist auch hier auf diesem Parteitag erkennbar. Denn es gibt keine grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem Kurs dieser Partei. Es gibt Einzelentscheidungen, die man anders sieht. Insofern kann man auch die Regionalkonferenzen genauso interpretieren, dass Herr Merz ja nicht sein erwartbares wirtschaftsliberales Profil schärfer gemacht hat, sondern im Gegenteil auch konservativere Themen angeschlagen hat, auch gesellschaftspolitisch andere, auf die Frauenkarte stärker gesetzt hat. Und bei Kramp-Karrenbauer ist es nicht nur das Westdeutsche, auch katholische Arbeitnehmerfreundliche. Sie hat auch andere Töne angeschlagen.
Kanzlerin Merkel "dient bis 2021 weiter"
Kaess: Aber, Herr Korte, auch der Stil kann ja unterschiedliche Auswirkungen haben, und wäre ein Friedrich Merz nicht einfach polarisierender für die Partei, würde vielleicht mehr Gräben aufreißen als eine Annegret Kramp-Karrenbauer, die doch eher als vereinend gilt.
Korte: Ja, denn der Stil, der polarisierenden Kantigkeit, diese schneidige Selbstgewissheit, weckt natürlich auch Gegenmobilisierung. Es polarisiert innerhalb der eigenen Partei und es weckt die Gegenmobilisierung. Es wirkt das linke Lager sofort ein, während der Moderationsstil von Frau Kramp-Karrenbauer das erst mal nicht provoziert. Aber es gibt eine Sehnsucht nach starker Führung. Die ist bundesweit messbar auch in dieser Partei.
Kaess: Ganz kurz noch zum Schluss. Was passiert mit der Bundeskanzlerin unter einem neuen Vorsitzenden oder einer neuen Vorsitzenden?
Korte: Gar nichts. Sie dient bis 2021 weiter. Davon wird sie sich nicht abbringen lassen. Die Partei muss neu lernen.
Kaess: Auch nicht unter einem Friedrich Merz?
Korte: Nein, das wird weiter so gehen. Ich sehe im Bundestag überhaupt keine Mehrheit, um den Bundestag aufzulösen. Da hat jeder eine Vier-Jahre-Karriereplanung und keine kürzere.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.