Tobias Armbrüster: Es ist ein entscheidendes Wochenende für die Union, für das Parteienbündnis von CDU und CSU und damit auch ein entscheidendes Wochenende für die gesamte Regierungskoalition in Berlin. Die Fronten sind nach wie vor verhärtet. Die CSU will Flüchtlinge schon an der Grenze zurückweisen lassen, die CDU, vor allem Angela Merkel, lehnt das ab, und mitten in diesen Konflikt platzt nun gestern noch eine wichtige Personalentscheidung, möglicherweise ein weiterer Schachzug aus der CSU. Gudula Geuther berichtet.
Und am Telefon ist jetzt Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler an der Universität Passau und einer der besten Kenner der Parteien in Deutschland. Schönen guten Tag, Herr Oberreuter!
Heinrich Oberreuter: Ja, ich grüße Sie!
Armbrüster: Herr Oberreuter, lässt es die CSU gerade wirklich drauf ankommen?
Oberreuter: Das hat den Anschein. Die CSU ist in einer Situation, in der sie die Landtagswahl vor Augen, das schlechte Bundestagswahlergebnis im Genick, das auf die Wackelstrategie in der Flüchtlingsfrage zurückzuführen ist, sie ist dabei, nur an sich selbst und an die Verteidigung der absoluten Mehrheit im bayrischen Landtag zu denken, und das ist eine ziemlich große Herausforderung für das Parteiensystem und die politische Kultur im Lande insgesamt.
Armbrüster: Das heißt, das Weiterbestehen der Koalition in Berlin, das ist für die CSU nur zweitrangig.
Oberreuter: Also man hat bei all dem, was man gegenwärtig beobachtet, den Eindruck, dass es in der Tat zweitrangig ist in der gegenwärtigen Situation, wobei vielleicht der Trugschluss dabei eine Rolle spielt, dass das Ganze auch in einem halben oder dreiviertel Jahr wieder korrigiert werden könnte, aber ich glaube, wenn man es auf die Spaltung ankommen lässt, dann sind die Wunden so tief, dass das Parteiensystem in der Bundesrepublik eine scharfe Veränderung erfährt.
"Die Stimmung könnte sich wandeln"
Armbrüster: Aber was könnte denn da wieder korrigiert werden in einem halben Jahr?
Oberreuter: Na ja, also die Stimmung könnte sich wandeln. Das ist vielleicht die Spekulation, die die CSU hat oder ihre Führungskräfte haben. Ich glaube es aber nicht. Die entscheidende Frage ist jetzt, gibt es eine Lösung, gibt es einen Kompromiss oder gibt es keinen, und wenn es keinen gibt, spielt man das Szenario durch, das im Grunde die Notwendigkeit in sich birgt, den Innenminister aus dem Kabinett zu entlassen, was dann zum Rücktritt der CSU aus der Regierungsposition führt und was dann, denke ich, zur Auflösung der Fraktionsgemeinschaft und, wenn die Dinge ganz schlimm laufen, eben auch zu einer Konkurrenzsituation der beiden Parteien im Bundestag, im Bundesgebiet hinauslaufen. Das ist, glaube ich, das Szenario, von dem man ausgehen muss, das soll man sich auch vor Augen halten, und das sollte man auch bedenken, wenn man die Dinge bis auf die Spitze treibt.
Armbrüster: Und das ist das Szenario, auf das die Bundesregierung Ihrer Meinung nach am kommenden Montag schon zusteuert.
Oberreuter: Wenn nicht am Wochenende ein Heil bringender Kompromiss aufs Parkett gebracht wird, dann ist das das Szenario, auf das man sich am Montag einlassen muss. Natürlich gibt es Spielräume. Ob Seehofer nun gleich am Montag die Bundespolizei anweist oder ob er noch ein paar Tage wartet, das ist nicht das Problem. Das Problem ist der Konflikt zwischen Richtlinienkompetenz und Regierungsführung auf der einen Seite und Ressortverantwortlichkeit des Innenministers auf der anderen Seite, wobei eine ganze parteipolitische Szenerie hinter dieser Ressortverantwortlichkeit steht, und die Frage, dass dieser Konflikt nicht aufgelöst werden kann, sondern Angela Merkel muss, wenn sie sich nicht lächerlich machen will und das ganze System auf den Kopf stellen will, sie muss Seehofer eigentlich entlassen, wenn das so funktionieren sollte.
"Ich nehme mal an, dass das Wochenende nicht ohne Kommunikationsstürme bleibt"
Armbrüster: Sie kennen das ja etwas genauer, wie das läuft zwischen Fraktion und Parteien. Wie können wir uns das vorstellen, was ist da an diesem Wochenende los zwischen CDU und CSU? Gibt es da Treffen, glühen da sozusagen die Telefondrähte oder die Handyverbindungen?
Oberreuter: Also ich nehme mal an, dass das Wochenende nicht ohne Kommunikationsstürme bleibt. Das hat es ja immer gegeben, und es gibt ja ein interessantes Ereignis, das mit dem gegenwärtigen Problem sehr zusammenhängt, nämlich als Angela Merkel bei der Grenzöffnung Seehofer angeblich nicht hat erreichen können oder Seehofer sich nicht hat erreichen lassen, sodass also diese Geschichte unabgestimmt zwischen den beiden gelaufen ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht die Parteivorsitzenden und die Regierungsverantwortlichen hinter den Kulissen heftig miteinander ringen. Dass man Herrn Schäuble nicht zum Versöhner und zum Schlichter einbestellt hat, ist vielleicht ein Fehler, aber auf der anderen Seite sind die Positionen halt derartig verseult gegenwärtig, dass wahrscheinlich eine Schlichtung wenig Aussicht auf Erfolg hat, wobei sie ja in manchen Dingen gar nicht so weit auseinanderliegen.
Ich meine, es geht im Kern eigentlich nur noch um die Frage, ob man Flüchtlinge, die irgendwo anders schon registriert und erfasst sind, an der Grenze abweist oder nicht.
In anderen Bereichen hat man sich ja schon angenähert, aber beide Parteien, Merkel wie Seehofer, haben beschlossen, dass sie von diesen Positionen nicht abweichen, und die einen akzentuieren die nationale Lösung, und die andere akzentuiert die europäische Koordination.
Armbrüster: Ist das eigentlich innerhalb der CSU tatsächlich einhellige Meinung oder haben Seehofer und auch Markus Söder da auch noch Widersacher in ihren Parteien?
Oberreuter: Das ist jetzt die Frage, wie man den Parteibegriff fasst. Wenn ich die Partei insgesamt mir vorstelle, dann gibt es in der CSU natürlich auch liberale Kräfte und offenere Kräfte, die mit dieser Linie mit Sicherheit nicht einverstanden sind und die sich auch in der ganzen Flüchtlingskrise ja schon öfters artikuliert haben.
Wenn ich mich auf den Mandatsträger und auf die Parteiführung konzentriere, dann herrscht hier also eine Disziplin, und der Wunsch, Merkel als Kanzlerin loszuwerden ist ziemlich deutlich artikuliert worden, aber man muss halt wissen, dass solche Entscheidungen und solche Wunschvorstellungen ja nicht einfach sozusagen im weißblauen Nabelschaubereich wirksam sind, sondern national und internationale Auswirkung haben. Das ist die Frage, die sich die CSU-Führung gefallen lassen muss, ob sie das bedenkt, aber es wird am Montag im Parteivorstand eine plebiszitäre Unterstützung der Seehofer-Linie geben. Was anderes kann ich mir gar nicht vorstellen.
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