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Politisch aktive US-Fußballfans
"Eine Sportart, die deine Werte unterstützt"

US-Fußballfans wehren sich gegen eine Einmischung der Liga. Die hatte ein Protestbanner gegen Rassismus und Faschismus verbannt. Insgesamt entwickelt die amerikanische Fußballkultur langsam eigene Konturen. Was ihr dabei hilft: die politische Lage im Land.

Von Jürgen Kalwa |
Portland-Fans mit einer Fahne, auf dem das Symbol der Eisernen Front zu sehen ist
Portland-Fans mit einer Fahne, auf dem das Symbol der Eisernen Front zu sehen ist (Diego Diaz/imago)
Auf den ersten Blick ist die Situation nur schwer zu verstehen. Im Zentrum: eine junge Frau in einem riesigen Cape mit einem ebenso riesigen aufgedruckten Kreis mit drei langen Pfeilen. Kurz darauf wird sie von Ordnungskräften angesprochen und – ohne Widerstand zu leisten – aus dem Stadion geführt.
Die Frau heißt Nora. Die Arena ist das Allianz Field in St. Paul, in dem Minnesota United seine Heimspiele austrägt. Einer von 24 Klubs in der amerikanischen Profiliga namens Major League Soccer.
Als Walter White, der Amerika-Chef des Münchner Versicherungskonzerns vor zwei Jahren erklärte, weshalb das Unternehmen die Namensrechte für das Stadion erworben hatte, nannte er übrigens zwei Gründe: Amerikanern bei der privaten Altersvorsorge helfen und die Idee von gesellschaftlicher Vielfalt zu unterstützen. Auf Englisch: "diversity".
Spätestens seit dem 15. September beim Spiel gegen Real Salt Lake wissen Minnesotas Fußball-Anhänger, was das nicht einschließt: Allzu markante Protestaktionen gegen Faschismus und Rassismus. Eine Haltung, die amerikanische Fußballfans symbolisch mit dem Signet deutscher Anti-Nazi-Aktivisten der frühen dreißiger Jahre verknüpfen. Die nannten sich "Eiserne Front".
Filiberto Nolasco Gomez von der Online-News-Seite "Workday Minnesota" zeichnete den Vorfall im Video auf und lud ihn auf YouTube hoch. Er erinnert sich:
"Das Team hatte in den Wochen zuvor klar gemacht, dass Zuschauer zwar T-Shirts mit dem Symbol der Eisernen Front tragen können, aber keine Banner."
"Da musst du dich nicht fremdschämen."
Das Tragen einer bannerartigen Toga war als Provokation genau gegen dieses Verbot gerichtet. Nachdem die Liga MLS so etwas als "politische" Stellungnahme eingestuft und untersagt hatte. So etwas geht Fans zu weit. In Seattle und Portland reagierten sie beim Spiel zwischen den beiden Klubs am 23. August mit einem langen Schweigen. 33 Minuten lang – in Erinnerung an das Jahr 1933.
Die beiden Städte sind so etwas wie das Zentrum einer sich entwickelnden amerikanischen Fußballkultur. Sie lebt von lauten Fans mit starken politischen Antennen. Etwas was in anderen Städten auch gepflegt wird. Zum Beispiel in der New Yorker Gruppe von Anhängern des deutschen Zweitligisten FC St. Pauli. Fußball als Sammelbecken für eine Wertegemeinschaft im Kontrast zu anderen Mannschaftssportarten. Shawn Roggenkamp, Sprecherin der Gruppe:
"Da musst du dich nicht fremdschämen. Weil du weißt, dass es da keinen Sexskandal gibt und kein Spieler seine Frau schlägt. Du kannst hier eine Sportart auswählen, die deine Werte unterstützt."
"Schon immer den Mund aufgemacht."
Gelegentlich demonstrieren auch die Hauptakteure für diese Werte. Wie etwa Alejandro Bedoya, Nationalspieler und Kapitän von Philadelphia Union. Der brüllte neulich spontan nach einem Torerfolg in ein Fernsehmikrofon am Spielfeldrand: "Kongress, tu was. Mach endlich der täglichen Gewalt mit Waffen ein Ende." Er erläuterte seine Haltung gegenüber dem Fernsehsender CNN:
"Mit dem Gerede von wegen ‘Bleib beim Sport’ kann man mir nicht kommen. Ich habe schon immer den Mund aufgemacht. Ich habe eine Meinung und eine Plattform und kann einen anderen Blickwinkel liefern. Hoffentlich sehen Leute die Welt dann ein wenig anders."
Dass sich in der Fanszene des amerikanischen Fußballs mehr entwickelt als gelegentlicher Protest, ist allerdings unwahrscheinlich. Selbst in den Zeiten eines Donald Trump.
Liga will Richtlinie überdenken
Widerstand sei zwar notwendig, sagt Professor Jon Hoberman von der Universität Texas in Austin, ein ausgewiesener Experte, was die gesellschaftliche Rolle von Sport in den USA angeht, Auf der anderen Seite, sagt Hobermann, Autor von Büchern wie "Sport und politische Ideologie", geht es längst um mehr, als in Stadien symbolhaft Parolen und Symbole zu verbreiten.
"Sowas polarisiert. Und das ist in Ordnung. Aber wollen wir wirklich Extremisten von rechts auf der einen Seite und prinzipientreue Linke einschließlich jener, die Lust auf Krawall haben, ermuntern, aufeinander loszugehen? Wenn man in Betracht zieht, was durch eine Kreatur wie Trump noch entstehen kann, sind die jungen Leute im Fußballstadion einfach die geringste Sorge."
Eine Erkenntnis, die auch aus einem Treffen von Fan-Gruppen-Vertretern und Repräsentanten von Major League Soccer in dieser Woche in Las Vegas durchschimmerte. Die Liga ist bereit, über die Richtlinie zum Fanverhalten nachzudenken. Zumal Fußballanhänger in den USA mit der Eisernen Front* etwas anderes verbinden als Straßenkampf. Für sie ist es ein Symbol für eine prinzipielle Haltung: Gegen Faschismus und Unterdrückung. Und für Menschenrechte.
*Im Audio-Beitrag war fälschlicherweise von "Eisernem Kreuz" die Rede. Das haben wir korrigiert.