Vorspiel unter freiem Himmel auf dem nachempfundenen Oberdeck der MS Amerika bei der Ankunft in New York – rauchender Schornstein und dröhnende Schiffssirenen inklusive. Weiter geht es dann im Bauch des Zürcher Schiffbaus: auf einer Bühne, so breit wie die gesamte Hallentiefe, knapp 50 Meter – vis-à-vis an der Hallenlängsseite das sechsreihige Zuschauerpodest.
An den beiden schmalen Seitenwänden: Projektionsflächen für viele live gedrehte Videosequenzen. Auf dieser Bühne von gigantischer, mit dem Auge gleichzeitig nicht zu erfassender Weite, geht es noch mit Fahrstuhl und Treppen in die Höhe und in die Tiefe: Stahlbrücke, Hotel,
U-Bahn-Schacht - eine Mischung von grell beleuchtetem Vergnügungspark, Slum und Labyrinth.
Frank Castorfs Bühnen-Amerika ist halb qualmende Hotdog-Bude, halb kapitalistische Geisterbahn und ermöglicht, vielmehr: erzwingt rasende Auf- und Abtritte, forcierte Läufe quer über die Bühne, von Beginn an befeuert von der mitreißenden serbischen Blechbläser-Band, dem Bojan Krstic Orkestar. Sieben virtuos, ja akrobatisch agierende Vollblutmusiker, deren starke, wuchtige, alles beflügelnde Musik und mitreißende Bühnenpräsenz in der über vierstündigen Amerika-Revue zum Maß aller Dinge wird, ja Maßstäbe setzt. Denn sie begleitet die Worte und die Bilder nicht, sie treibt sie an und füllt sie mit Emotionen.
Im Vergleich dazu überzeugen Castorfs zappelnde, hampelnde, knirschende, schnarrende Regiebemühungen eher seltener. In dem weiten Raum kann niemand, egal wo man sitzt, das Bühnenspiel überschauen. Also wird dieser Kontrast zum Regieprinzip: Das meiste geschieht im Verborgenen von mindestens sieben verschiedenen verschlossenen "Spielkisten", ob Keller, VW-Bus, Fahrstuhl, Baracke oder Hotelzimmer und wird als wackelnder, verwischter, verdunkelter Mitschnitt projiziert. In Ausschnitten, Teilansichten, versteht sich. Zwischen slapstick und comic holpern die Figuren durch die neue Welt und schleppen immer noch Geschichten, Erinnerungen, Erfahrungen des alten Europa an den Schuhsohlen mit. Doch wehe, man nimmt sie ihnen.
Neue Medien – alte Ängste. Trotz aller forcierten Komik - die Traumatisierungen lassen sich nicht einfach abschütteln. Im Gegenteil. Im großen Amerika scheinen sie größer und vielgestaltiger zurückzukehren denn je. Castorf hat natürlich historische und politische Anspielungen in Kafkas Romanfragment eingebaut: Galizien und Palästina, Judentum und Stalin, Faschismus und Kommunistische Internationale. Die Hotellobby mutiert zum roten Kampfbund und die Oberköchin wird zur Parteifunktionärin. Dazwischen Karl Rossmann, halb Parsifal, halb Felix Krull, Angeklagter, Trickser, Tramp, einer, der auszog das Fürchten zu lernen. Als ‘Verschollener’, so Kafkas ursprünglicher Titel, kann er allenfalls durch die alternierende Doppelbesetzung wahrgenommen werden, oder wenn sich die ganze Inszenierung am Ende in Blasmusiksequenzen auflöst.
Ersichtlich wollte Frank Castorf eine zweite Ebene über Kafka hinaus einziehen. Und es gibt auch durchaus Stellen, an denen er sich als Regisseur von Format zeigt und nuancengenau Sprachregie führt. So im Verhör, der großen Anklagerede gegen Rossmann, in der Margit Bendokat als Oberköchin alle Register nicht nur der individuellen Tücke zieht, sondern auch die Infamie der politischen Nomenklatura geradezu verkörpert.
Doch was die tragikomische – ja: eben kafkaeske Situation von Karl Rossmann betrifft, bleibt diese Bilderflutung aller medialen Verrenkungen zum Trotz weit hinter dem Roman zurück. Allenfalls ein moderner Woyzeck wird aus diesem gehetzten Karl, und manchmal auch der Tramp, jenes gequält zappelnde Strichmännchen, das Kafka gezeichnet und Charlie Chaplin gefilmt hat.
Aber jene Dimensionen der Ambivalenz, die ihn auch zum subversiven Mitakteur seines Dramas werden lassen, gehen in Castorfs grobflächig greller Nummernrevue fast verloren: Sein durch Mutmaßungen verstellter Blick auf die Realität, die selbstquälerische, zugleich aufrichtige und hinterhältige Tücke, mit der er sich in verhängnisvolle Situationen hineinarbeitet, das traumwandlerisch sichere Gespür für falsche oder bedrohliche Vermittler, das Subversive in seiner Ahnungslosigkeit, das Ahnungslose in seiner Raffinesse - kurz, all das was Kafkas Text so unvergleichlich macht, lässt die Aufführung vermissen. Dennoch: wer sich für eine etwas langatmige, zerdehnte, politisch aufgestockte Comic-Version von Kafkas Amerika interessiert – und wer, nicht zu vergessen: fantastische Balkan-Blasmusik liebt, dem kann dieser Abend durchaus empfohlen werden.
An den beiden schmalen Seitenwänden: Projektionsflächen für viele live gedrehte Videosequenzen. Auf dieser Bühne von gigantischer, mit dem Auge gleichzeitig nicht zu erfassender Weite, geht es noch mit Fahrstuhl und Treppen in die Höhe und in die Tiefe: Stahlbrücke, Hotel,
U-Bahn-Schacht - eine Mischung von grell beleuchtetem Vergnügungspark, Slum und Labyrinth.
Frank Castorfs Bühnen-Amerika ist halb qualmende Hotdog-Bude, halb kapitalistische Geisterbahn und ermöglicht, vielmehr: erzwingt rasende Auf- und Abtritte, forcierte Läufe quer über die Bühne, von Beginn an befeuert von der mitreißenden serbischen Blechbläser-Band, dem Bojan Krstic Orkestar. Sieben virtuos, ja akrobatisch agierende Vollblutmusiker, deren starke, wuchtige, alles beflügelnde Musik und mitreißende Bühnenpräsenz in der über vierstündigen Amerika-Revue zum Maß aller Dinge wird, ja Maßstäbe setzt. Denn sie begleitet die Worte und die Bilder nicht, sie treibt sie an und füllt sie mit Emotionen.
Im Vergleich dazu überzeugen Castorfs zappelnde, hampelnde, knirschende, schnarrende Regiebemühungen eher seltener. In dem weiten Raum kann niemand, egal wo man sitzt, das Bühnenspiel überschauen. Also wird dieser Kontrast zum Regieprinzip: Das meiste geschieht im Verborgenen von mindestens sieben verschiedenen verschlossenen "Spielkisten", ob Keller, VW-Bus, Fahrstuhl, Baracke oder Hotelzimmer und wird als wackelnder, verwischter, verdunkelter Mitschnitt projiziert. In Ausschnitten, Teilansichten, versteht sich. Zwischen slapstick und comic holpern die Figuren durch die neue Welt und schleppen immer noch Geschichten, Erinnerungen, Erfahrungen des alten Europa an den Schuhsohlen mit. Doch wehe, man nimmt sie ihnen.
Neue Medien – alte Ängste. Trotz aller forcierten Komik - die Traumatisierungen lassen sich nicht einfach abschütteln. Im Gegenteil. Im großen Amerika scheinen sie größer und vielgestaltiger zurückzukehren denn je. Castorf hat natürlich historische und politische Anspielungen in Kafkas Romanfragment eingebaut: Galizien und Palästina, Judentum und Stalin, Faschismus und Kommunistische Internationale. Die Hotellobby mutiert zum roten Kampfbund und die Oberköchin wird zur Parteifunktionärin. Dazwischen Karl Rossmann, halb Parsifal, halb Felix Krull, Angeklagter, Trickser, Tramp, einer, der auszog das Fürchten zu lernen. Als ‘Verschollener’, so Kafkas ursprünglicher Titel, kann er allenfalls durch die alternierende Doppelbesetzung wahrgenommen werden, oder wenn sich die ganze Inszenierung am Ende in Blasmusiksequenzen auflöst.
Ersichtlich wollte Frank Castorf eine zweite Ebene über Kafka hinaus einziehen. Und es gibt auch durchaus Stellen, an denen er sich als Regisseur von Format zeigt und nuancengenau Sprachregie führt. So im Verhör, der großen Anklagerede gegen Rossmann, in der Margit Bendokat als Oberköchin alle Register nicht nur der individuellen Tücke zieht, sondern auch die Infamie der politischen Nomenklatura geradezu verkörpert.
Doch was die tragikomische – ja: eben kafkaeske Situation von Karl Rossmann betrifft, bleibt diese Bilderflutung aller medialen Verrenkungen zum Trotz weit hinter dem Roman zurück. Allenfalls ein moderner Woyzeck wird aus diesem gehetzten Karl, und manchmal auch der Tramp, jenes gequält zappelnde Strichmännchen, das Kafka gezeichnet und Charlie Chaplin gefilmt hat.
Aber jene Dimensionen der Ambivalenz, die ihn auch zum subversiven Mitakteur seines Dramas werden lassen, gehen in Castorfs grobflächig greller Nummernrevue fast verloren: Sein durch Mutmaßungen verstellter Blick auf die Realität, die selbstquälerische, zugleich aufrichtige und hinterhältige Tücke, mit der er sich in verhängnisvolle Situationen hineinarbeitet, das traumwandlerisch sichere Gespür für falsche oder bedrohliche Vermittler, das Subversive in seiner Ahnungslosigkeit, das Ahnungslose in seiner Raffinesse - kurz, all das was Kafkas Text so unvergleichlich macht, lässt die Aufführung vermissen. Dennoch: wer sich für eine etwas langatmige, zerdehnte, politisch aufgestockte Comic-Version von Kafkas Amerika interessiert – und wer, nicht zu vergessen: fantastische Balkan-Blasmusik liebt, dem kann dieser Abend durchaus empfohlen werden.