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"Politisch-ethisch nicht zu verantworten"

Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Luftangriff von Kundus muss nach den Worten des SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold noch gravierende Fragen klären. Es sei nicht ersichtlich, wer genau die Verantwortung des von der Bundeswehr angeforderten Bombardements gehabt habe: die sogenannte Task Force 47 oder Oberst Klein.

Rainer Arnold im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Heute wird es spannend im Bundestagsuntersuchungsausschuss, der die Bombardierung zweier Tanklaster beim afghanischen Kundus aufklären will, bei der am 4. September letzten Jahres bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt wurden; denn heute wird unter anderem Bundeswehroberst Georg Klein vernommen, der den Einsatzbefehl gegeben hat.
    Am Deutschlandfunk-Telefon ist nun der Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold, als verteidigungspolitischer Sprecher für die SPD im Kundus-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen, Herr Arnold.

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Der "Kölner Stadtanzeiger" meldet heute, Oberst Klein werde nicht selbst aussagen, sondern seinen Anwalt sprechen lassen. Hätten Sie dafür Verständnis?

    Arnold: Ich hätte kein großes Verständnis dafür. Ich habe Verständnis dafür, dass Herr Klein die Aussage insgesamt verweigert. Das ist seine Rechtsbasis und er kann nicht gezwungen werden auszusagen, weil ein Verfahren gegen ihn läuft. Dass er aber die Aussagen seinem Anwalt überträgt, das wäre außergewöhnlich und ich kann mir das eigentlich auch gar nicht vorstellen.

    Spengler: Warten wir es ab. – Was wollen Sie denn von Oberst Klein wissen? Gibt es überhaupt noch offene Fragen?

    Arnold: Wir wissen natürlich dank des ISAF-Abschlussberichtes sehr vieles über diese Nacht. Wir wissen vor allen Dingen auch, welche gravierenden Regelverstöße und Fehler gemacht wurden. Aber es gibt auch in dieser Nacht noch einige gravierende Fragen. Es ist nicht ersichtlich, unter welcher Verantwortung dieser Einsatz in der Nacht tatsächlich gefahren wurde. Es war ja so, dass dort diese Task Force 47, die Spezialsoldaten beinhaltet, in diesem Raum, in diesem Führungszentrum war und dass es dann einen Punkt gab, an dem Oberst Klein zukam, und es ist deshalb nicht ganz klar: War es in Verantwortung von Oberst Klein und des Wiederaufbau-Teams in Kundus, oder hat diese Task Force 47 diesen Bombenabwurf zumindest vorbereitet. Befehlen konnten die den nicht, das hat zweifellos Oberst Klein getan.

    Die zweite Frage ist: Ist es tatsächlich so, dass niemand anderes einbezogen wurde? Wir können uns das überhaupt nicht vorstellen. In vielen anderen Bereichen mit weniger gravierenden Einsatzmöglichkeiten meldet die Bundeswehr nach Masar-i-Scharif, meldet in das Einsatzführungszentrum nach Kabul, und bei so einer gravierenden Entscheidung soll alles in einem sehr kleinen Kreis von Soldaten besprochen und entschieden worden sein. Das ist außergewöhnlich und da wollen wir natürlich nachfragen.

    Spengler: Das heißt, unklar ist noch, wer letztlich ist verantwortlich? Ist es nur Oberst Klein, oder haben noch andere eine Rolle gespielt?

    Arnold: Zumindest knüpfen daran Fragen an.

    Spengler: Ja. – Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg hat ja gesagt, Oberst Klein habe einen militärisch nicht angemessenen Befehl erteilt, er habe aber nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, und er, zu Guttenberg, habe dafür Verständnis. Sehen Sie das auch so? Haben Sie auch Verständnis für Oberst Klein?

    Arnold: Ich habe Verständnis für eine schwierige Situation, in der Soldaten in Kundus insgesamt sind, für Oberst Klein und für andere. Aber die Aussage, er hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, die würde ich so nicht unterschreiben, nachdem man ja weiß, dass mit falschen Meldungen überhaupt die Flugzeuge der Amerikaner nach Kundus geholt wurden. Dann habe ich schon den Eindruck, dass insgesamt auch mit ein paar Tricks versucht wurde, zu diesem Ziel zu kommen, und das hat meiner Einschätzung nach nichts mehr mit bestem Wissen und Gewissen zu tun. Und ich glaube auch, es gibt gewisse Fahrlässigkeiten, was die Informationslage anlangt. Wenn man einen Informant hat, der selbst nicht vor Ort des Geschehens ist, sondern auch nur vom Hören und Sagen die Informationen weitergibt, ist die Informationslage eine außerordentlich dünne und sie entspricht auch in keiner Weise den NATO- und ISAF-Regeln.

    Spengler: War die Bombardierung ein Verbrechen?

    Arnold: Das wird das Gericht klären müssen. Ich bin aber schon der Auffassung, dass die Genfer Konventionen, also das Völkerrecht es zulässt, dass Zivilisten zu Schaden kommen, um militärisches Ziel zu erreichen. Nur: Politisch-ethisch und nach den ISAF-Einsatzregeln ist das nicht zu verantworten. Deshalb tragen die Genfer Konventionen in der Frage, ist es ein Verbrechen oder kein Verbrechen, in der juristischen Bewertung. Es gibt daneben aber eine politische, moralische und faktische Bewertung, was ist für diesen Einsatz angemessen und richtig, und für diesen Einsatz, der letztlich immer noch ein Stabilisierungseinsatz bleibt, auch wenn es kriegsähnliche Zustände sind, geht es ja darum, nicht Krieg gegen ein Land zu führen, sondern Afghanistan aufzubauen. In so einem Szenario ist dieser Einsatz auf gar keinen Fall richtig und angemessen, sondern er ist falsch und muss auch so benannt werden.

    Spengler: Aber man kann nicht in einen Krieg ziehen, ohne sich die Finger schmutzig zu machen, oder?

    Arnold: Das ist ja noch mal eine ganz andere Frage. Wir dürfen aber nicht dahin kommen – das sagen mir ja auch viele Menschen -, es ist Krieg und da passiert eben so was, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Das ist nicht der Weg, den wir gehen dürfen. Nein, die Genfer Konventionen schreiben im Grunde genommen auch vor, man bleibt straffrei, wenn Zivilisten zu Schaden kommen, und ich kann auch als Abgeordneter nie ausschließen, dass so etwas passiert. Aber ich habe die klare Erwartung, dass alles getan wird, um dies zu vermeiden. Dass es mal einen Fehler gibt, das kann ich nie ausschließen, aber es muss alles getan werden und kein militärisches Ziel in Afghanistan rechtfertigt, dass der Tod von Zivilisten billigend in Kauf genommen wird. Hier gibt es auch keine Spielräume, politisch nicht und von den ISAF-Einsatzregeln her gesehen nicht.

    Spengler: Wir sprechen mit Rainer Arnold, dem SPD-Verteidigungspolitiker, und Herr Arnold, ich möchte auf die Verantwortung der Politik zu sprechen kommen und dazu hören wir uns kurz mal eine Aussage von Heike Groos an. Die war zwei Jahre lang Bundeswehrärztin in Afghanistan.

    O-Ton Heike Groos: Da ist Krieg und da sterben Menschen auf beiden Seiten, und das kann man nicht schön reden. Da stehen natürlich unsere hohen Bundeswehrgeneräle in der Pflicht, unsere Politiker, realistisch aufzuklären, und die Politiker in der Pflicht, die Bevölkerung darüber aufzuklären.

    Spengler: Ich möchte da anknüpfen. Ist es nicht ein krasses Missverständnis, Herr Arnold, dass man von den Soldaten in Afghanistan Mut und Tapferkeit erwartet, dass aber die Politik in Deutschland noch nicht einmal den Mut aufbringt, den Bürgern zu sagen, dass dort in Afghanistan eine Art Krieg stattfindet, bei dem auch Feinde getötet werden?

    Arnold: Es ist ja noch mal was anderes, ob Feinde getötet werden, oder ob man billigend in Kauf nimmt, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Und der Begriff Krieg, wie wir ihn in Deutschland verwenden, der hat ja was damit zu tun, dass im Grunde genommen im ganzen Land gestorben wird, dass Nationen gegen Nationen kämpfen. Dies ist in Afghanistan nicht der Fall. Aber zweifellos ist es so, dass es in Kundus ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt ist, so wie er jetzt auch vom Völkerrecht her definiert wird, weil der traditionelle Kriegsbegriff nicht mehr trägt. Und natürlich bin ich der Auffassung wie die Ärztin, dass Politik den Menschen dies auch ehrlich sagen muss.

    Dazu gehört dann allerdings auch Klarheit. Die Bundeswehr und die Soldaten müssen alles tun, um zivile Schäden zu vermeiden. Das ist Teil der Einsatzregeln für Afghanistan, und ich sage ausdrücklich: Bis zu dem Bombenabwurf in Kundus hat die Bundeswehr diesbezüglich auch außerordentlich gut und vorsichtig agiert. Dies ist und war richtig und so muss es auch bleiben. Deshalb lasse ich mich jetzt nicht auf eine Debatte ein, da sterben nun mal Zivilisten und das ist ein Teil der Normalität. Nein, es ist nicht zulässig, es ist ethisch nicht verantwortbar, deshalb wird das aufgearbeitet und darf sich so nicht wiederholen. Nach menschlichem Ermessen muss es ausgeschlossen werden. Ich kann nie ausschließen, dass in so einer Situation auch Fehler gemacht werden.

    Dieser kriegsähnliche Zustand oder dieser bewaffnete, nicht internationale Konflikt, der gilt nicht für ganz Afghanistan. In Afghanistan gibt es viele Distrikte mit Stabilität, da greift das Kriegsvölkerrecht nicht. Es gibt aber auch Situationen wie in Kundus, wo es meiner Einschätzung nach so ist, und ich hoffe auch, dass das Gericht zur selben Erkenntnis kommt.

    Spengler: Herr Arnold, wäre es überhaupt zu so einem Bombardement gekommen, wenn die Politik die Bundeswehr in Afghanistan besser ausgestattet hätte, zum Beispiel mit den seit Langem geforderten Hubschraubern?

    Arnold: Die Hubschrauber sind ein großes Fehl in Kundus. Das liegt allerdings nicht an der Politik, dass die Hubschrauber nicht da sind; das liegt daran, dass die Wirtschaft die seit Jahren nicht so abliefert, wie es zu erwarten war, und die Bundeswehr selbst nicht die Fähigkeiten hat, wenn Hubschrauber fertig sind, die zügig abzunehmen. Ich hätte mir allerdings schon seit Langem gewünscht, habe mich dazu auch schon vor über einem Jahr geäußert, dass ISAF im Norden, in Kundus, in diesem Brennpunkt Hubschrauber stationiert. Jetzt geschieht es! Die Amerikaner werden ja mit circa 30 bis 40 Hubschraubern nach Kundus kommen und das schließt dort in der Tat eine große Lücke. Zu diesem Einsatz, zum Abwurf der Bomben hätte es nicht kommen müssen, mit oder ohne Hubschrauber nicht, weil keine Gefahr im Verzuge war, weil keine unmittelbare Bedrohung für das deutsche und für das ISAF-Kontingent bestand, und unter diesen Vorgaben darf keine Luftunterstützung angefordert werden und es dürfen keine Bomben auf große Menschenansammlungen abgeworfen werden.

    Spengler: Danke für das Gespräch! – Das war der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Danke, Herr Arnold.

    Arnold: Danke auch.