Politische Richtungen
Einteilung in links und rechts ist noch aktuell

Links und rechts seien Kategorien von gestern, die der komplexen Wirklichkeit von heute nicht mehr gerecht werden, heißt es oft. Doch Wissenschaftler halten am Links-Rechts-Schema fest, wenn sie politisches Denken beschreiben.

    Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht im Plenum des Bundestags bei der ersten Lesung zum Haushalt 2024.
    Eine Debatte im Bundestag: ganz links vom Präsidium aus gesehen sitzt Die Linke, rechts außen die AfD. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Der einstige FDP-Chef Erich Mende und auch der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sprachen spöttisch bis abfällig von „politischer Gesäßgeographie“. Schon die Sitzordnung im Bundestag verrät etwas über die politische Verortung der Fraktionen: Ganz links – vom Rednerpult aus betrachtet – sitzt eine Partei namens Die Linke. Rechtsaußen die AfD. Halb links die SPD, halb rechts die Union. Dazwischen Grüne und – erst seit 2021 – die FDP (die jahrzehntelang ganz rechts gesessen hatte). Aber was sagen uns die Titulierungen „links“ und „rechts“ heute noch?

    Überblick

    Woher stammen die Begriffe politisch links und rechts?

    „Das Links-Rechts-Schema geht historisch auf die Zeit der Französischen Revolution und die Sitzverteilung in der Französischen Nationalversammlung zurück“, schreibt der Politikwissenschaftler Frank Decker in einem Onlineartikel der Bundeszentrale für politische Bildung.
    In den französischen Generalständen saßen links vom König die radikalen Demokraten und ihre Sympathisanten. Rechts saßen Anhänger des Klerus und der Aristokratie. Diese sehr vereinfachte Unterscheidung zwischen linken, fortschrittlichen Kräften und rechten, konservativen Kräften setzte sich durch, um politische Gegensätze zu beschreiben.

    Wie verorten sich die Parteien selbst im Links-Rechts-Schema?

    Die CDU bezeichnet sich als „Volkspartei der Mitte“. Parteichef Friedrich Merz vermied im Juli 2023 im „Funk“-Interview den Begriff „rechts“. Er beschrieb seine Partei als „liberal“, „christlich-sozial“ und „konservativ“.
    Die einstigen Parteichefs Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU) hatten betont, rechts von der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Wie konservativ die Union sein sollte, ist gerade Gegenstand einer immer wieder aufflammenden Richtungsdebatte. Im CSU-Programm ist von einer „auf christlichen Werten basierenden, bürgerlich-konservativen, freiheitlichen Haltung“ die Rede.
    Die SPD nennt sich in ihrem Grundsatzprogramm „linke Volkspartei“ und stellt sich auch in die Tradition des „demokratischen Sozialismus“. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 verzichtete die SPD allerdings auf diese Begriffe. Der langjährige SPD-Chef und frühere Bundeskanzler Willy Brandt sprach in seiner Abschiedsrede vom Parteivorsitz im Jahr 1987 von der SPD als Teil der „demokratischen Linken“. Wie weit die Partei links stehen sollte, sorgt bei den Genossen traditionell für Diskussionen.
    Franz Josef Strauß (CSU) während der Etatdebatte im Deutschen Bundestag in Bonn am 21.10.1971. Hinten Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Foto: Egon Steiner +++(c) dpa - Report+++ [dpabilderarchiv]
    Links-Rechts-Rededuell im Bundestag 1971: Franz Josef Strauß (r, CSU) und der damaliger Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) (picture-alliance / dpa / Egon Steiner)
    Die Linke verwendet den Begriff „links“ in ihren Verlautbarungen ständig. Die FDP positioniert sich in ihrem Grundsatzprogramm in der Mitte und als "Partei der Freiheit", in Abgrenzung zu Konservativen und Linken. Die Grünen meiden in ihrem Programm eine Verortung im Links-Rechts-Schema, sehen sich aber als "führende progressive Kraft in diesem Land". Die frühere Parteichefin Claudia Roth hatte 2005 das Ziel ausgeben, man wolle eine „moderne linke Partei“ werden. Im AfD-Programm behauptet die Partei: „Wir sind Liberale und Konservative. Wir sind freie Bürger unseres Landes.“ Im Verfassungsschutzbericht 2022 wird die AfD als Verdachtsfall im Kapitel „Rechtsextremismus“ erwähnt.
    Die Bundeszentrale für politische Bildung stellt in einem Artikel aus dem Jahr 2015 eine eindeutige „Mitte-Tendenz“ der Parteien fest. „Rechts“ will niemand mehr stehen, zumindest nicht explizit, weil „rechts“ historisch vorbelastet ist und schnell als „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ gelten kann. Gleichzeitig feiern rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien seit Jahren Wahlerfolge in vielen demokratischen Staaten.
    Doch selbst die AfD vermeidet den Begriff „rechts“ und spricht von sich selbst auch als „bürgerlich“, was ebenso eine Art von „Mitte der Gesellschaft“ meint, und die eindeutig rechtsradikalen bis rechtsextremen Tendenzen in der Partei verschleiern soll.
    Juni 2023: Alice Weidel (r), Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD, spricht im Plenum des Bundestags nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
    Seit 2017 ist mit der AfD eine Rechtsaußenpartei im Bundestag vertreten. Am Rednerpult: die AfD-Politikerin Alice Weidel. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Ein anderes Beispiel: Sahra Wagenknecht. Einerseits ist sie eine Galionsfigur der Partei Die Linke, andererseits hob sie sich in der Vergangenheit mit Positionen ab, die mit der Parteilinie nicht vereinbar sind, etwa in der Migrationspolitik. Wagenknecht wird eher im Linkskonservatismus verortet. Beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisiert sie Kiew und die Rolle der NATO. Es wird spekuliert, ob Wagenknecht bald eine eigene Partei gründen wird, eine Protestpartei als Konkurrenz zur AfD.

    Was unterscheidet linkes und rechtes Denken grundsätzlich?

    Der Historiker Volker Weiß unterscheidet die beiden Richtungen grob so: Die Rechte sei „nach wie vor am Gedanken der Ungleichheit, präziser: der Ungleichwertigkeit bestimmbar, während die Linke grundsätzlich von der Gleichheit, präziser: der Gleichwertigkeit der Menschen ausgeht.“ Das bedeute aber nicht, dass alle gleich seien oder alle gleichgemacht werden sollen. „Es geht darum, dass jedem Menschen die gleichen Rechte und Möglichkeiten zugestanden werden müssen. Das ist der grundlegende Gedanke.“
    Dazu gebe es Unterbegriffe wie Gerechtigkeit und Solidarität. Die Rechte hingegen gehe von „einer grundsätzlichen Ungleichwertigkeit aus", so Weiß, "und möchte deswegen eine Gesellschaft tatsächlich anders gestalten“.
    Dies hänge auch damit zusammen, wie Herrschaft legitimiert werde. „Sehr grob gesprochen: Eine Linke – und das gilt für weite Teile auch für eine liberale Weltsicht - bezieht sich auf Geschichte und Gesellschaft und stellt ihre Position immer in Bezug zu diesen Größen her. Während eine Rechte andere Größen adressiert. Das kann die Biologie sein, die Religion, das können aber auch Begriffe wie Schicksal oder Vorsehung sein. Da kommen wir sehr schnell in den Bereich des Mythos. Während eine linke Strömung, die man ja nicht umsonst historisch auch mit dem Begriff des Materialismus verbindet, eigentlich die Analyse vorziehen sollte.“

    Wie zeitgemäß ist die Unterscheidung zwischen politisch links und rechts noch?

    Seit Jahrzehnten wird regelmäßig darüber diskutiert, welche Aussagekraft Links-Rechts-Debatten noch haben – und tatsächlich haben sich ja die politischen Parteien etwa in der Bundesrepublik gewandelt. Gelegentlich wird auch eine sogenannte Hufeisen-Theorie diskutiert, wonach sich die extremen Ränder von links und rechts angeblich nahestehen. Diese Theorie wird aber als überholt kritisiert, da sie zu eindimensional sei. Das Links-Rechts-Schema spielt weiter eine Rolle in wissenschaftlichen Analysen.
    In der heutigen Politikwissenschaft würden Streitfragen "in der Regel zu zwei gesellschaftlichen Grundkonflikten zusammengefasst: dem sozioökonomischen Verteilungs- und dem soziokulturellen Wertekonflikt. Im ersten Falle stehen sich die Grundpositionen der Marktfreiheit und der sozialen Gerechtigkeit als rechter und linker Pol gegenüber, im zweiten Falle konservativ-autoritäre und libertäre Werthaltungen“, so der Politologe Frank Decker.
    „Eine politische Strömung in ihrer Reinform, die zu 100 Prozent ihrer Definition entspricht, ist nicht möglich“, sagt der Historiker Volker Weiß. „Es gibt immer Mischformungen und Verwässerungen.“ Dennoch hält er eine Unterscheidung für unverzichtbar. „Der Begriff des Linken ist auch immer an Mitbestimmung – auch gerade im betrieblichen und ökonomischen Bereich – gebunden, immer an den Gedanken von Emanzipation und Aufklärung, von Kritik und Selbstkritik, von Fortschreiten, von Entmythisierung. Und die Rechte hat da eben grundsätzlich ein anderes Modell. Und ich denke, wenn man Inhalte daraufhin abklopft, dann findet man den Kompass durchaus wieder.“

    tei, leg, Bundeszentrale für politische Bildung