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Politisch vorgegebene Vereinigungsprozesses - auch im Sport

Renitente Stasi-Altkader und gierige Glücksritter aus dem Westen - die Wendezeit war geprägt von zwielichtigen Gestalten. Auch im Sport. Ein Rückblick auf turbulente Monate.

Von Jens Weinreich |
    Zunächst einige sportliche Notizen, die gab es auch im März 1990. Drei Beispiele:

    Box-Olympiasieger Henry Maske, der oft gesagt hatte, er werde nie Profi, wurde: Profi.

    In der DDR gab es - was zuvor die absolute Ausnahme war - nun Adidas-Produkte zu kaufen. Produkte jener Firma also, die seit vielen Jahren einen Exklusiv-Vertrag mit dem Deutschen Turn- und Sportbund hatte.

    Kleine Verbände, die zuvor unterdrückt und nicht mehr gefördert waren, kehrten auf die internationale Bühne zurück: DDR-Tischtennisspieler nahmen nach Jahrzehnten an einer Europameisterschaft teil. Der Tennisverband trat dem europäischen Verband bei.

    Allesamt Kalenderblätter. Der März 1990 war natürlich geprägt von den großen Entwicklungen, von der ersten freien Wahl in der DDR. Präzise betrachtet hatten die Bürger über das Ende der DDR schon vorher auf Demonstrationen abgestimmt. Nun wurde dieser Wille bei der Volkskammer-Wahl am 18. März in Zahlen gegossen: Es gewann die "Allianz für Deutschland”.

    Ulrich Deppendorf damals in der Tagesschau um kurz vor Mitternacht mit der letzten Hochrechnung, die im Prinzip so bestätigt wurde.

    Lothar de Maizière (CDU) wurde einige Wochen später Ministerpräsident. Zu seinem Kabinett zählte auch eine 31 Jahre alte Diplom-Medizinpädagogin als Ministerin für Jugend und Sport: Cordula Schubert.

    Sie sollte sich in den kommenden Monaten harte Auseinandersetzungen mit den Altkadern in der Sportführung liefern. Mit der Volkskammer-Wahl wurde der politische Gestaltungsrahmen der letzten DDR-Regierung beschlossen und die Richtung bestimmt, erinnert sich Cordula Schubert Jahre später in einem Deutschlandfunk-Gespräch:

    ""In Richtung Einigungsvertrag, in Richtung Vereinigung. Als wir angetreten sind nach dem 12. April war zwar sichtbar, dass wir nicht vier Jahre Zeit hätten. Aber trotzdem: Dass es am Ende nur sechs Monate werden, war nicht von vornherein abzusehen.”"

    Zwei Wochen vor der Wahl hatte sich der Deutsche Turn- und Sportbund, DTSB, eine neue Führung verordnet. Es war kein demokratischer Akt, sondern eine der letzten großen kollektiven Aktionen der Altkader. Im Präsidium: Doper, Stasi-Mitarbeiter. Manche waren beides.

    DTSB-Präsident wurde Martin Kilian, der als Bürgermeister von Wernigerode drei Jahrzehnte die Politik des Regimes verkörpert hatte.

    Seine Vizepräsidenten wurden Margitta Gummel, Kugelstoß-Olympiasiegerin von 1968, und der ehemalige Hochspringer Rolf Beilschmidt - beide Kinder des staatlichen Dopingsystems, dessen Ausmaße ab dem März 1990 ausführlich beschrieben wurden:

    Im "Spiegel” packte der ehemalige Potsdamer Schwimmtrainer Michael Regner aus und berichtete über Doping an Minderjährigen. Der "Stern” hatte Informationen beim Chefdoper Manfred Höppner eingekauft und brachte eine große Serie mit Originaldokumenten.

    Und Manfred Ewald - als Staatssekretär, DTSB- und NOK-Präsident über drei Jahrzehnte Chefarchitekt des DDR-Sportwunders und des Dopingsystems - konterte mit Lügen.

    Ein Zitat aus den wenigen Interviews, die Ewald in jenen Jahren gab:

    ""Ich muss noch einmal sagen, wenn wir hier schon bei diesem Thema wieder angelangt sind, dass wir in der DDR als Sportleitung das nicht gebilligt haben. Und das lässt sich auch jederzeit beweisen. Und wir haben das auch bewiesen.”"

    Die Zeit ab März 1990 lässt sich in einige wichtige Problemfelder ordnen:

    Sportministerin Schubert versuchte, den Dachverband DTSB und seine Altkader zu entmachten. Die Vertreter der Bundesregierung pfiffen sie im Grunde zurück und wollten zentrale Teile der Medaillenproduktion erhalten. In jenen Monaten wurden etwa das ehemalige FKS Leipzig, das FES Berlin und das Dopingkontroll-Labor Kreischa in den Einigungsvertrag übernommen.

    Glücksritter aus dem Westen - wie etwa der Fecht-Papst Emil Beck - wilderten im Osten und verdienten sich eine goldene Nase.

    Große olympische Verbände wie etwa der Deutsche Leichtathletik-Verband unter seinem Präsidenten Helmut Meyer konzentrierten sich auf belastetes Ost-Personal und ließen sich nicht von moralischen Bedenken irritieren. Funktionäre wie Meyer kreierten damit Probleme, die den gesamtdeutschen Sport bis heute belasten - wie etwa im vergangenen Jahr an der erbitterten Debatte um die Anstellung von Dopingtrainern wie Werner Goldmann bewiesen.

    Und schließlich: Die Nationalen Olympischen Komitees von West und Ost bereiteten bereits die gemeinsamen Olympiamannschaften vor. Willi Daume, NOK-Präsident West, traf sich mit Joachim Weißkopf, dem künftigen NOK-Präsidenten Ost.

    Anfang April 1990 gab es in Hannover und Berlin dann auch zwei Spitzengespräche zwischen DSB-Präsident Hans Hansen und DTSB-Chef Martin Kilian. Die Konturen des von der Politik vorgegebenen Vereinigungsprozesses wurden auch im Sport bereits deutlich.