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Politische Bands
Auf der anderen Seite der Macht

Während viele Bands vor allzu klaren politischen Aussagen zurückschrecken, sind diese für Algiers geradezu Antrieb für ihre Kunst. Dabei geht es nicht nur um den allseits angefeindeten Trump, die US-Band artikuliert auf ihrem neuen Album "The Underside of Power" Systemkritik.

Von Andreas Zimmer |
    Franklin James Fisher von der Band Algiers, bei einem Auftritt auf dem Primavera Sound Festival in Porto am 11 Juni 2016 Bild: Estela Silva / EPA / dpa
    Aus vielfältigen Einflüssen ergibt sich die einzigartige Stimme von Algiers, sagt Franklin Fisher (Estela Silva / EPA / dpa)
    Frei nach dem Blixa Bargeld zugeschriebenen Bonmot: "Ich bin nicht in einer Rockband um Rockmusik zu spielen" kümmern sich auch Algiers nicht darum, ob man Industrial mit Gospel, Funk, Rock, Groove, Noise und Elektro mischen kann - sie tun es einfach. Entsprechend wild kommt der Stilmix von Algiers für den Zuhörer daher und macht das Album zunächst etwas spröde. Doch für Frontmann Franklin Fisher ist eine der Stärken der Band: nicht allzu viel auf andere hören, selbst eine Meinung bilden.
    "Wir denken nicht darüber nach, welches Genre wir bedienen. Wir machen es einfach. Ganz natürlich. Dabei haben wir alle so vielfältige Einflüsse - aber all das ergibt erst unsere einzigartige Stimme."
    "Wir haben den Live-Sound mehr im Fokus"
    Wobei gerade Franklin als Sänger einiges zur einmaligen Musikfarbe von Algiers beiträgt: Er singt als stünde er in Flammen. Auf dem Debüt noch mit viel Gospelcharakter - auf der neuen CD "The Underside of Power" dann noch intensiver, eindringlicher, verletzlicher und emotionaler. Gospel? Gibt es fast keinen mehr.
    "Der Gospeleinfluss kam daher, dass wir das erste Album … also wir haben da eigentlich nur Dateien hin und her geschickt als wir die Songs geschrieben haben. Niemand hat geglaubt, dass wir das auch mal Live hinkriegen müssen. Also hab ich meinen Gesang für die Backgroundarrangements einfach 10, 15 Mal aufgenommen. Beim neuen Album haben wir also den Live-Sound mehr im Fokus gehabt", sagt Franklin Fisher.
    "Der einzige Weg, Frustrationen auszudrücken"
    Anders als eine Menge anderer Bands legen die Musiker von Algiers großen Wert auf die politische Aussage in wirklich all ihren Songs. Viel Zeit zum Texten findet der in Atlanta/Georgia geborene Musiker Franklin während seiner allabendlichen Arbeit an der Garderobe in einem New Yorker Musikclub. Der studierte Literaturkenner nutzt diese Zeit für vielerlei Milieustudien, die Eingang in seine Prosa finden.
    "Für mich ist das der einzige Weg, gewisse Frustrationen auszudrücken, für die ich keinen anderen Weg finde, um sie rauszulassen. In den zweieinhalb Minuten, die ein Song läuft, erlebe ich beispielsweise Gerechtigkeit für einen erschossenen Freund zuhause in Atlanta oder die Rehabilitierung einer unschuldig hingerichteten Person."

    Dabei bedient sich Franklin seines Literaturwissens und singt oftmals vom Teufel oder schlicht dem Bösen in vielerlei Metaphern - beispielsweise benutzt er dafür das biblische Bild des Schweins. Das bezieht sich dann nicht nur auf den amtierenden Präsidenten der USA, es gilt auch als ganz umfassende Gesellschaftskritik. Wichtig ist ihm dabei der globale Ansatz, denn trotz englischem Gesang wollen Algiers weltweit bestehende Probleme thematisieren, um zum eigenständigem Denken anzuregen. Und genau das ist der Aspekt, der die Auseinandersetzung mit den neuen Songs lohnt: Das Album öffnet sich über seine Texte. Plötzlich macht die manchmal etwas zu wilde Musik-Mischung Sinn und ein Teil fügt sich puzzleartig in das andere.
    Unter dem Neoliberalismus lauern alte Ansichten
    Dreiviertel von Algiers sind im Süden der Vereinigten Staaten aufgewachsen und haben sich dort kennengelernt. Aber, anders als das Klischee von den Südstaaten, scheint das Leben dort aus wirtschaftlichen und politischen Gründen recht hart zu sein, so dass die Band heute auf vier verschiedene Städte weltweit verteilt ist. Auch hierin sieht Franklin einen Ansatzpunkt für seine Systemkritik:
    "Eine Menge Leute haben noch dieses stereotype, idyllische, nach-bürgerkriegshafte Bild des Südens im Kopf. Dabei ist es viel heimtückischer, denn unter der dünnen Schicht Neoliberalismus bestehen immer noch die alten Ansichten. Sie sind nur weiß gefärbt durch das erstrebenswert erscheinende Fantasieland des Kapitalismus."
    "Dave Gahan war Fan unserer ersten Platte"
    Letztlich begeben sich Algiers hier freiwillig in eine Art Zwickmühle, aus der sie sich dauerhaft nur schwer befreien können. Denn auch wenn sie das kapitalistische System angreifen, sie sind ein Teil davon. Und je mehr Erfolg sie haben, desto tiefer tauchen sie darin ein. Zwischen diesen Antipoden gibt es keine Lösung und so kann die Band auf Dauer nur tragisch enden. Da heißt es: so lange genießen, wie sie besteht. Sei es auf dem anspruchsvollen neuen Album "The Underside of Power" oder beispielsweise als Vorband von Depeche Mode. Die Einladung dazu kam von Dave Gahan persönlich. Und Algiers-Gitarrist Lee Tesche wird das wohl nie vergessen:
    Lee: Dave war Fan unserer ersten Platte. Ich hatte irgendeine Doku mit ihm im Fernsehen gesehen und er zeigte sich darin ehrlich begeistert von uns.
    Franklin: Einer der surrealsten Momente meines Lebens!
    Lee: Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber die haben einen unserer Songs in ihrem Live-Programm gehabt.
    Franklin: Was? Das ist total verrückt!
    Lee: Ich erinnere mich, dass wir in Polen auf einem Festival waren und das Publikum total enttäuscht war, dass wir diesen Song nicht gespielt haben. Denn darüber hatten sie überhaupt erst von uns gehört.
    Wer Algiers live erleben möchte, kann das am 04.07.2017 in Gelsenkirchen: Dort spielen sie in der Veltins Arena als Vorband von Depeche Mode