Ein Donnerstagnachmittag im finnischen Parlament. Von außen ein monumentaler, unerschütterlicher Bau, klassizistische Architektur. Aber drinnen geht es hoch her: Gerade debattieren die Abgeordneten über Syrien. Dass die Finnen so schweigsam sind – das lässt sich hier jedenfalls nicht belegen. Und auch nicht in den Augen von Experten wie der Sprachwissenschaftlerin Liisa Tiittula:
"Überhaupt ist es doch ein Klischee, dass keiner was sagt, nicht gestritten wird. Wobei es einen Unterschied gibt: In deutschen Debatten gibt es zum Beispiel viel mehr persönliche Angriffe, dass man etwa sagt: Du liegst falsch! Während der Finne sagt: Die Sache stimmt so nicht."
"Überhaupt ist es doch ein Klischee, dass keiner was sagt, nicht gestritten wird. Wobei es einen Unterschied gibt: In deutschen Debatten gibt es zum Beispiel viel mehr persönliche Angriffe, dass man etwa sagt: Du liegst falsch! Während der Finne sagt: Die Sache stimmt so nicht."
Öffentliche Auseinandersetzungen sind neu in Finnnland
Was Tiittula in ihren Forschungen belegt, lässt sich leicht beobachten, wenn man den Fernseher einschaltet. Egal ob im Parlament oder in politischen Talkshows: Tatsächlich geht es da mehr um Inhalte als um Personen und Vorwürfe. Neu sind auch öffentliche Auseinandersetzungen wie etwa TV-Duelle. Unterschiede beispielsweise zu Deutschland gibt es aber noch genug, findet der Wahlfinne Roman Schatz, in dessen politischen Talkshows immer wieder auch ranghohe Politiker und Minister sitzen:
"Ich habe auch Veranstaltungen moderiert, als Finnland 100 wurde, auch in Deutschland. Da war in Deutschland, dass alle Abgeordneten sich weigerten, neben den AfD-Abgeordneten zu sitzen. Da habe ich daran erinnert, dass die Rechtspopulisten in Finnland schon seit Jahren Regierungspartei sind und unser Außenminister ein Rechtspopulist ist, dass wir deshalb aber keine Nazis sind. Das ist die Diskussionskultur. Wir sind fünf Millionen Leute. Das kann sich in Finnland kein Parlament leisten zu sagen, mit denen reden wir nicht. Wenn miteinander geredet werden muss, dann wird miteinander geredet in Finnland, lautstark und hässlich."
"Ich habe auch Veranstaltungen moderiert, als Finnland 100 wurde, auch in Deutschland. Da war in Deutschland, dass alle Abgeordneten sich weigerten, neben den AfD-Abgeordneten zu sitzen. Da habe ich daran erinnert, dass die Rechtspopulisten in Finnland schon seit Jahren Regierungspartei sind und unser Außenminister ein Rechtspopulist ist, dass wir deshalb aber keine Nazis sind. Das ist die Diskussionskultur. Wir sind fünf Millionen Leute. Das kann sich in Finnland kein Parlament leisten zu sagen, mit denen reden wir nicht. Wenn miteinander geredet werden muss, dann wird miteinander geredet in Finnland, lautstark und hässlich."
"Jetzt wird lebhaft diskutiert"
Es wird geredet – laut, und mitunter auch lange. Zum Beispiel bei den Gemeinderatssitzungen in Vantaa, einer Satellitenstadt im Norden von Helsinki. Kati Tyystjärvi, Abgeordnete der Linken und seit fast 20 Jahren in der Politik, hat sich gerade einen Kaffee geholt. Und hat auch nach Stunden im Sitzungssaal noch ziemlich gute Laune. Sie findet, dass sich die Debattenkultur im Positiven verändert hat:
"Die Disziplin war nicht so gut, die Leute haben nicht so sehr mitgemischt. Und ohne Diskussionen waren die Meetings immer ziemlich kurz. Jetzt wird lebhaft diskutiert. Was auch bedeutet, dass die Versammlungen länger dauern. Aber wer den Job macht, muss das aushalten!"
"Die Disziplin war nicht so gut, die Leute haben nicht so sehr mitgemischt. Und ohne Diskussionen waren die Meetings immer ziemlich kurz. Jetzt wird lebhaft diskutiert. Was auch bedeutet, dass die Versammlungen länger dauern. Aber wer den Job macht, muss das aushalten!"
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Das stille Finnland - Die Tugend des Schweigens in Politik und Alltag.
Aber Streit? Nein, eher nicht. Tyystjärvi beobachtet, dass es im Grunde auch auf kommunaler Ebene immer um die Sache geht und selten um Angriffe: "Es geht zwar nicht immer alles einstimmig aus, aber schon weitgehend diplomatisch nach meiner Erfahrung", sagt auch Patrik Karlsson, langjähriger Fraktionssprecher der Schwedenpartei und heute Sitznachbar von Tyystjärvi.
"Von außen könnte es so aussehen, als würden wir streiten. Aber wir lieben auch das Theater! Beim Kaffeetrinken vertragen wir uns dann wieder. Das gehört zur Politik, dass man die anderen herausfordert, dass man Gegenargumente und Abers findet."
Und zumindest hier im Stadthaus scheint das Klischee des schweigsamen Finnen nicht zustimmen: "Ich kann unterschreiben, dass die Finnen ein Volk sind, das in zwei Sprache schweigt. Aber auf die politische Kultur trifft das bestimmt nicht zu."
"Von außen könnte es so aussehen, als würden wir streiten. Aber wir lieben auch das Theater! Beim Kaffeetrinken vertragen wir uns dann wieder. Das gehört zur Politik, dass man die anderen herausfordert, dass man Gegenargumente und Abers findet."
Und zumindest hier im Stadthaus scheint das Klischee des schweigsamen Finnen nicht zustimmen: "Ich kann unterschreiben, dass die Finnen ein Volk sind, das in zwei Sprache schweigt. Aber auf die politische Kultur trifft das bestimmt nicht zu."
"Es ist rauer geworden"
Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gibt es aber doch. Finden zumindest die beiden Politiker, die auch lange Jahre bei Verhandlungen auf europäischer Ebene mit dabei waren: "Die Finnen sind da eher still, was nicht nur an der kleinen Abgeordnetenzahl liegt. Deutsche, Spanier und Franzosen sprechen auf alle Fälle mehr."
"In der EU werden wir Finnen dafür geschätzt, dass wir sachlich sind und dann sprechen, wenn wir etwas zu sagen haben. Wir hören die anderen an, und achten deren Meinung. Ich habe nur leider in letzter Zeit den Eindruck, dass viele Politiker es mit den Fakten nicht mehr so genau nehmen. Ich bin da sehr genau und behaupte nichts, wovon ich nicht sicher weiß, dass es stimmt."
Was sich auf alle Fälle verändert, ist der Ton. Das sagen auch die Sprachwissenschaftlerin Tiittula und der Publizist Roman Schatz:
"Es ist rauer geworden auch in Finnland. Es hat sich mitteleuropäisiert. Die nördliche Hälfte der EU, Deutschland, Dänemark, Finnland – das gleicht sich schon an."
"In der EU werden wir Finnen dafür geschätzt, dass wir sachlich sind und dann sprechen, wenn wir etwas zu sagen haben. Wir hören die anderen an, und achten deren Meinung. Ich habe nur leider in letzter Zeit den Eindruck, dass viele Politiker es mit den Fakten nicht mehr so genau nehmen. Ich bin da sehr genau und behaupte nichts, wovon ich nicht sicher weiß, dass es stimmt."
Was sich auf alle Fälle verändert, ist der Ton. Das sagen auch die Sprachwissenschaftlerin Tiittula und der Publizist Roman Schatz:
"Es ist rauer geworden auch in Finnland. Es hat sich mitteleuropäisiert. Die nördliche Hälfte der EU, Deutschland, Dänemark, Finnland – das gleicht sich schon an."
Negative Erfahrungen mit Hatespeech
"Es gibt eine ganz neue Form der Aggressivität, die Hassrede. Es gibt besorgniserregende Studien dazu: Dass die Menschen sich etwa kaum mehr trauen, in die Politik zu gehen. Und ich kenne Wissenschaftler, die keine Interviews mehr geben, weil sie so negative Erfahrungen mit Hatespeech gemacht haben, Mediziner zum Beispiel, die über Opiate oder Cannabis als Medizin gesprochen haben. Teils bekommen sie Drohungen über ihre offiziellen Email-Konten der Universität."
Und: Tiittula glaubt, dass die Sachlichkeit in der Politik immer öfter unter Beleidigungen leidet. Beispiel: Als die Regierung im Frühjahr am Versuch einer Gebietsreform und einer Reform der sozialen Sicherungssystem auseinanderbrach.
"Aus den USA schleicht sich so eine Art ein, andere anzuprangern. Im Zusammenhang mit den Reformen wurden Wissenschaftler, die an den Konzepten mitarbeiteten, von Politikern als Taliban oder Kommunisten beschimpft. Daraus entstand eine große Diskussion. Aber dass man Leute überhaupt erst so anprangert, das ist neu."
Und: Tiittula glaubt, dass die Sachlichkeit in der Politik immer öfter unter Beleidigungen leidet. Beispiel: Als die Regierung im Frühjahr am Versuch einer Gebietsreform und einer Reform der sozialen Sicherungssystem auseinanderbrach.
"Aus den USA schleicht sich so eine Art ein, andere anzuprangern. Im Zusammenhang mit den Reformen wurden Wissenschaftler, die an den Konzepten mitarbeiteten, von Politikern als Taliban oder Kommunisten beschimpft. Daraus entstand eine große Diskussion. Aber dass man Leute überhaupt erst so anprangert, das ist neu."