Interview mit Yemane Gebreab - er ist der persönliche Berater des eritreischen Präsidenten. Gebreab gilt vielen als zweitwichtigster Mann im Staat Eritrea. Wir sitzen im Büro des Beraters - nebeneinander auf dem Sofa. Bisher diskutierten wir über Themen wie: die Isolation Eritreas, die massenhafte Flucht junger Menschen, der Konflikt mit dem Nachbarn Äthiopien.
Das Aufnahmegerät zeigt eine Stunde und eine Minute, als wir auf Eiraeiro zu sprechen kommen. Die Stimmung verändert sich merklich bei Gebreab. Der 62-Jährige lehnt sich der zurück, verschränkt die Arme. War er bis hierher redselig, wirkt Gebreabs Stimme mit einmal streng, fast zornig. Eiraeiro ist ein Gefängnis in Eritrea. Kein gewöhnliches!
"Ich sage nicht, dass es nicht existiert. Ich sage nur, dass das ein Ort ist, wo einige Gefangene einsitzen. Es hat damit nichts besonderes auf sich. Es ist eben wie mit allen anderen Geschichten, die man über Eritrea hört."
Die seien übertrieben - denn Eritrea sei nicht so schlimm wie oft beschrieben, meint Gebreab.
Seit 15 Jahren in Einzelhaft
Es ist genau eine Woche nach den Anschlägen des 11. September. Der Staub des eingestürzten World-Trade-Centers hat sich kaum gelegt. Die Welt ist geschockt und sucht noch immer nach Antworten für das Unfassbare. Die Blicke der Weltgemeinschaft richten sich auf vermeintliche Drahtzieher in Afghanistan oder Irak.
Niemand schaut in dieser Zeit nach Eritrea. Ein kleiner, junger Staat in Ostafrika.
In Teilen der Regierung in Asmara wächst 2001 der Unmut. Über die zunehmend autokratische Regentschaft von Präsident Afewerki. Seit der Unabhängigkeit 1993 von Äthiopien herrscht er über den Staat am Roten Meer. Wahlen hat das Land nie erlebt. Putschgerüchte machen die Runde.
Präsident Afewerki handelt und nutzt die weltweite Verwirrung der Anschläge des 11. September: In einem Handstreich steckt er das halbe Kabinett - die sogenannten G 15 - sowie führende Journalisten des Landes ins Gefängnis. Die meisten von ihnen werden in Eiraeiro eingekerkert. Dort sitzen sie offenbar noch heute, seit fast 15 Jahren in Einzelhaft und ohne je dem Haftrichter vorgeführt worden zu sein.
Gebreab: "Das sind Leute, Militärs, die zum Höhepunkt des Krieges mit unsrem Feind Äthiopien konspiriert haben. Und deren Verrat führte zum Tod mehrerer 1.000 Eritreer."
Ramme: "Und die Journalisten?"
G.: "Die waren Teil der Gruppe und haben mit denen unter einer Decke gesteckt."
R.: "Wurde ihnen jemals der Prozess gemacht?"
G.: "Wir haben das auf unsere Art geregelt!"
R.: "Wie sieht diese Art aus?"
G.: "Es gab einen internen Prozess, in dem wir das abgewogen haben!"
R.: "Hatten die Beschuldigten einen Anwalt zum Beispiel?"
G.: "Nein!"
"In den fensterlosen Zellen brennt Tag und Nacht Licht"
Einer der Insassen ist der Journalist Seyoum Tsehaye. Wahrscheinlich lebt er noch. Zumindest glauben das seine Angehörigen.
Ein Interview via Skype. Vanessa Berhe ist die Nichte von Seyoum. Sie ist 19 Jahre alt und studiert an der Villanova University in Philadelphia.
"Vielleicht wird eines Tages sein Leichnam vor uns liegen - aber egal, wir kämpfen weiter, es geht nicht nur um Seyoum. Wäre er tot, das wäre für unsere Familie eine Tragödie. Aber wir machen weiter, auch nach seinem Tod, denn die Menschenrechtsverbrechen in Eritrea richten sich ja nicht nur gegen ihn."
Vanessa ist nicht nur Studentin, sondern auch Aktivistin. Ihre Internet-Kampagne heißt One Day Seyoum. Sie will auf die Geschichte ihres Onkels und auf alle anderen politischen Gefangenen in Eritrea aufmerksam machen. Ihrem Onkel ist sie nie begegnet - zu lange sitzt er schon in Eiraeiro.
Die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" hat vor Jahren einen detaillierten Report über Eiraeiro publiziert. Das Straflager liegt zwischen der Hauptstadt Asmara und der Rotmeerküste. In mitten einer Wüste. Fern ab der Zivilisation.
Ein ehemaliger Aufseher, dessen Name nicht genannt wird, beschreibt in dem Report minutiös die ausgeklügelten Sicherheitsvorkehrungen von Eiraeiro. Und wie die Insassen dort leben müssen:
"In den fensterlosen Zellen brennt Tag und Nacht Licht. Und die Gefangenen befinden sich in Einzelhaft. Manche werden gefesselt an Händen oder Füßen. Andere nicht. Wenn sie nicht in ihren Zellen eingeschlossen sind, dann werden sie in einen der drei Verhörräume gebracht. Die Verhöre werden in der Regel von Abdulla Jaber geführt. Dem Sicherheitschef der Regierungspartei. Oder von Führungskadern wie Yemane Gebreab, der Berater von Präsident Afewerki."
"Wir wissen nicht, wie es ihm geht"
Ramme: "Denken wir mal an die Angehörigen – was wissen die?"
Gebreab: "Die wissen das!"
R.: "Die sind informiert, was mit den Gefangenen los ist?"
G.: "Die kennen uns, die kennen unsere Bewegung. Und was gesagt werden musste über die Gefangenen ist der Bevölkerung mitgeteilt worden. So handhaben wir das."
Vanessa: "Wir haben überhaupt nichts gehört - keine offizielle Stellungnahme. Wir können nur raten. Wir wissen nicht, wie es ihm geht. Uns bleiben eigentlich nur die Erinnerungen an ihn."
Seit dem Vanessa ihre Kampagne gegründet hat, ist auch klar: Sie wird nie wieder in die Heimat ihrer Eltern zurückkehren können. Nicht solange das Regime an der Macht ist und politische Gefangene ohne fairen Prozess einsitzen.
In der Bevölkerung kursieren Gerüchte über unterirdische Gefängnisanlagen und Container, in denen gefoltert würde. Alles Spekulationen, niemand weiß etwas Genaueres. Besonders berüchtigt ist Eiraeiro. Nur ein verschwiegener Zirkel weiß, wer dort noch lebt oder längst gestorben ist.