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Politische Kunst des Peng! Kollektiv
"Gründet Banden!"

Jean Peters bewarf AfD Politikerinnen mit Torte, sein Peng!-Kollektiv lobte einen Friedenspreis für die Waffenindustrie aus. Subversive Interventionen sollen die Zivilgesellschaft zu mutigerem Protest bewegen, erklärte Peters im Deutschlandfunk.

Jean Peters im Corsogespräch mit Kolja Unger |
Mehrere maskierte Menschen stehen mit einem symbolischen Scheck vor einem Gebäude.
Kunsaktion in Chemnitz vom Peng!-Kollektiv (Peng!-Kollektiv)
Auf einem schlecht gefilmten Video vom Februar 2016 sieht man den Aktivisten Jean Peters, wie er als Clown verkleidet die Programmkommissionssitzung der AfD betritt. Zwei Torten in der Hand, geht er singend auf Beatrix von Storch zu und wirft ihr eine ins Gesicht. Die heutige Vize-Chefin der Partei hatte zuvor einen Schießbefehl gegen Geflüchtete an den europäischen Außengrenzen gefordert.
"Das war eine relativ einfache Geschichte", erzählt Peters im Deutschlandfunk. "Wir bekamen plötzlich eine interne E-Mail von Storch weitergeleitet, wo klar wurde, die treffen sich in Kassel zur Programmsitzung. Wir haben dann gesagt, wir fahren da erstmal hin und schauen auf dem Weg, was wir machen können. Ich hatte mein Clowns-Kostüm dabei und wir hatten ein bisschen Sahne und einen Tortenboden vom Supermarkt und das kostete irgendwie Fünf Euro undnochwas."

Der Gebrauch von Torten als moralisches Gebot der Stunde

Das 2013 von Peters gegründete Peng!-Kollektiv filmte die Aktion nicht nur, sondern setzte parallel eine Webseite auf, mit der sie Sätze wie die von Storch in etwas abgeänderter Form zitierten. Die Aktion nannten sie "tortalen Krieg" und begründeten sie in Anlehnung an eine frühere Äußerung von Storchs wie folgt:
"Kein*e Aktivist*in will eine Politiker*in torten. Wir wollen das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Sahnetorten. Und derzeit ist der Gebrauch von Torten das moralische Gebot der Stunde. Der Tortenwurf ist letztes Mittel am Grenzbaum zur Unmenschlichkeit und dringlichster Ausdruck direkter Demokratie."

Analyse, Aktionskunst und Selbstreflexion

Über diese und viele weitere Aktionen des Peng! Kollektivs hat der Tortenwerfer nun ein Buch geschrieben. "Wenn die Hoffnung stirbt, geht’s trotzdem weiter" ist eine spannende Sammlung von Abenteuergeschichten aus der politischen Aktionskunst, garniert mit machtstrukturellen Analysen und Selbstreflexionen Peters.
Der Aktivist und Medienkünstler beleuchtet strategische Überlegungen hinter seinem kreativen und sozialökologischen Protest gegen Geheimdienste, Google, den Enrgiekonzern RWE, Volkswagen oder auch den Waffenfabrikanten Heckler und Koch.

Sozialökologische Gerechtigkeit oder Faschismus?

Zu Beginn des Buches analysiert Peters unsere derzeitige politische Situation. Sie stehe kurz vor einem Bruch – vergleichbar mit der Französischen Revolution. Seine zugespitzte Vermutung: Entweder steuern wir auf mehr sozialökologische Gerechtigkeit oder auf eine Faschisierung des Kapitalismus zu.
Wie 1968 erlebten wir derzeit "mehrere progressive und regressive Bewegungen parallel". Auch in früheren Jahren habe man beispielsweise homophobe Gewerkschaften und Öko-Bewegungen gehabt, die zusammengearbeitet hätten. Gleichzeitig habe es auch eine starke neoliberale Bewegung gegeben, etwa unter Ronald Reagan oder Margaret Thatcher.

Ins Elend steuern und wieder aufstehen

In der aktuellen Situation bekämen "Geheimdienste bei jedem Skandal immer mehr Kompetenzen und wir haben alle Smartphones und geben denen auch noch Türen zu unseren Privatleben." Ein weiterer Punkt sei eine "sich zuspitzende Klimakrise". Schaue man sich die "harten Politiken" an, dann "steuern wir überhaupt nicht auf das 1,5 Grad-Ziel zu."
Es gäbe viele Anzeichen, so Peters weiter, "dass wir uns gerade ins Elend steuern. Gleichzeitig habe ich die Hoffnung, dass es Events geben wird, die wir nicht haben kommen sehen. Und das gibt mir die Kraft zu sagen, 'komm, wir stehen auf und basteln an einer sozial-ökologischen Gerechtigkeit weiter!'"

Mimikry und "taktische Medienarbeit"

Die Methoden des Peng! Kollektivs lehnen sich etwa an der "taktischen Medienarbeit" des US-Pendents The Yes Men an. Viele Aktionen arbeiten in gewisser Weise mit Mimikri. Etwa, wenn Mitglieder des Peng! Kollektiv sich in ihrer jüngeren Aktion  "Klingelstreich beim Kapitalismus" als Mitarbeiter eines neugegründeten Ministeriums ausgeben, um an geheime Unternehmensinformationen zu gelangen und diese dann medienwirksam zu leaken.
"Wir übernehmen die Codes der Gegner*innen", erklärt Jean Peters diese Strategie. Wenn man jemanden als "One of my kind" erkenne, der dieselben habituellen Denkmuster habe oder man sie bei dieser Person vermute, dann vertraue man ihr auch schneller. Diesen "einfachen Mechanismus" habe das Peng! Kollektiv sich beispielsweise in einer Aktion gegen die Waffenindustrie zu nutze gemacht:
"Wir haben einen Friedenspreis von der Waffenindustrie für die Waffenindustrie organisiert und versucht, die da hinzulocken. Und dann waren da natürlich auch nur alte weiße Männer. Die hätten sich gewundert, wenn da so ein Haufen linker, queerer Aktivisten plötzlich im Raum gewesen wären."

Affirmation und Irritation

Diese Technik habe zwei praktische Effekte für politische Kämpfe, so Peters: "Erstes kommen wir den Leuten näher, wenn wir ihre Sprachen übernehmen und eine Pressemitteilung raussenden und sie dann sagen müssen 'Inhaltlich ist das zwar korrekt, was da steht, aber wir wollen keine Verantwortung übernehmen.'"
Ein Beispiel dafür: die Kampagne gegen den Energieriesen Vattenfall, in der sich der Aktionskünstler als Pressesprecher des schwedischen Mutterkonzern ausgegeben hatte, um zu erklären, man steige in Deutschland komplett auf erneuerbare Energien um. Man könne auf diese Weise den Konzern zwingen, sich zu positionieren.
Der andere Effekt sei für die Betrachterinnen, erläutert Peters. Die Leute, die sich beispielsweise anguckten, wie Vattenfall erklärt, sie stiegen aus der Kohle aus, nicht, weil es sich nicht mehr rentiere, sondern weil es moralisch gut sei, die würden irritiert und dadurch stärker dazu angehalten, sich mit dem Thema zu beschäftigen als beispielsweise durch eine Demonstration.

"Ein Trottel im Agentenfilm"

Liest man "Wenn die Hoffnung stirbt, gehts trotzdem weiter", ist es doch sehr beachtlich, was für Informanten bereits an das Peng-Kollektiv herangetreten sind: von einem AfD-Mitglied, über einen Ministeriumsmitarbeiter bis hin zum NSA-Agenten.
Jean Peters erklärt sich dieses Phänomen, immer wieder - wie er in seinem Buch schreibt - "zum Trottel in einem Agentenfilm" zu werden, damit, dass "kein Mensch geradlinig gepolt" sei. "Wir haben alle unser Widersprüche und sind komplex."

Der gute Narzissmus

Im Charakter des Whistleblowers sieht Peters auch narzisstische Charakterzüge im guten Sinne: "Wenn ich mich über meine eigenen Kolleginnen und Kollegen erhebe und sage, 'ich bin der Auserwählte in diesem Team, um für Gerechtigkeit zu sorgen und gehe jetzt auf jemanden zu, wo ich das Gefühl habe, die werden jetzt eine Aktion draus machen!' - das braucht ein wenig Wahnwitz, das braucht ein wenig Megalomanie."
Narzissmus sei also nicht immer falsch, meint Peters: "Man kann ihn auch gut kanalisieren, indem man zum Peng! Kollektiv geht und Sachen leakt. Aber dafür braucht man ein bisschen Chuzpé."

Ratgeber für politischen Aktivismus

Der Erlebnisbericht "Wenn die Hoffnung stirbt, geht´s trotzdem weiter" changiert dementsprechend immer wieder zwischen Ian Felemings James Bond-Romanen, Seminar für Sozialpsychologie und Ratgeber für politischem Aktivismus.
Im Deutschlandfunk rät Jean Peters allen, die sich engagieren wollen, "in sich zu fühlen und zu schauen, welche sozialen Fähigkeiten hast du. Wenn du eine alleinerziehende Mutter bist mit fünf Kindern, dann verlange ich von dir nicht, dich politisch zu engagieren, dann würde ich Dir erstmal sagen, versuche ein Netzwerk aufzubauen."
Das wichtigste für ihn sei, im politischen Engagement die verschiedenen Bewegungen - etwa für Tierrechte oder für Datenschutz, gegen Rassismus oder das Patriarchat - nicht gegeneinander auszuspielen. "Das Intersektorale", wie er es nennt, sei eine Erfindung, um die Welt zu ordnen. Aber es sei immer fehlerhaft. Alles hinge miteinander zusammen.
Jean Peters empfiehlt stattdessen, gezielte Kooperationen mit Organisationen wie Greenpeace, dem BUND oder dem Chaos Computer Club. "Oder mit Freunden eine Bande zu gründen und subversive Aktionen zu machen - dazu möchte ich natürlich auch ermutigen."
Jean Peters: "Wenn die Hoffnung stirbt, geht´s trotzdem weiter"
Im März 2021 erschienen im S. Fischer Verlag, 251 Seiten, 21 Euro.