"Ich hatte schon immer diese obsessive Vorstellung, Musikerin zu werden. Mit sieben dachte ich: Das könnte was für mich sein. Seit ich elf bin, verfolge ich nur dieses eine Ziel."
Mary Ocher - eine Getriebene. Musik die Möglichkeit, klarzukommen in einer Welt, in der sie fremd zu sein scheint.
"Mir wurde immer gesagt, dass ich nicht in der Lage bin, Musik zu machen. Ich bin ständig gescheitert. Ich habe zwar immer weiter Songs geschrieben und Orte gesucht, an denen ich zeigen konnte, was ich drauf habe. Aber eigentlich bin ich immer nur gescheitert."
Die Steine, die Ocher im Weg waren, hat sie irgendwann einfach aufgesammelt und wie Sisyphos den Berg der Popmusik hinaufgerollt.
"Ich habe aufgehört, mich angreifbar zu machen. Ich kontrolliere jetzt alles, was ich tue. So kann ich nicht scheitern. Höchstens, wenn ich mal wieder meine Miete nicht zahlen kann."
Ein sicheres Leben als freie Künstlerin. Für Ocher immer noch ein Traum. Obwohl sie fünf Alben veröffentlicht hat, ständig Konzerte spielt und viele Fans hat, von Sibylle Berg bis zu den Goldenen Zitronen.
Politische Abrissbirne gegen Machtstrukturen
Ihre neue Platte, "The West Against The People", ist nun auch weniger ein Pop-Album als vielmehr eine Reflexion über eine Welt, die ins Taumeln geraten ist. Eine politische Abrissbirne, mit der Ocher scheinbar klar definierte Machtstrukturen und Begriffe zertrümmert. Sie ist sauer. Aufgebracht. Und enttäuscht von ganz vielen Dingen. Aber vor allem: Von ungleich verteilter Macht. Die fange schon an, bei einem unklaren, aber mächtigen Begriff wie "der Westen".
"In bestimmten Zusammenhängen ist 'der Westen' mächtig und positiv, in anderen ist er gefährlich, zerstörerisch und gewaltsam. Was mit 'der Westen' gemeint ist, kommt so sehr auf den Kontext an, dass der Begriff am Ende nur eine leere Hülle ist. Du kannst so ziemlich alles hinein interpretieren."
Popmusik als Sprachkritik. Auch im Sound. In "My Executioner", zu Deutsch "Mein Henker", schreit Ocher wütend gegen jene diffuse Angst an, die sich in der Gesellschaft breit macht, und von Rechtspopulisten für ihre politische Agenda ausgenutzt wird.
"Politiker nutzen Angst, um die Menschen zu manipulieren. Das Konzept ist so albern. Aber seit den Terroranschlägen vom elften September ist die Angst wieder da. Viele Menschen werden seitdem wie Dreck behandelt. Sie werden stigmatisiert, nur weil sie zum Beispiel an den Islam glauben. Das ist doch einfach nur ekelhaft!"
Aktivismus im Pop-Modus
Das Tolle an Ochers Aktivismus im Pop-Modus ist, dass er in den Stücken künstlerisch weitergedacht wird. Melodien streiten, Geschwindigkeiten und Tonhöhen ändern sich, das Schlagzeug von The Government, zwei Drummer, die Ocher auf der Hälfte der Tracks unterstützen, klingt rumpelnd und trocken - wie eine Klage über die verdorrte politische Landschaft.
Leiser Höhepunkt ist das ambiente, nachdenkliche Stück "The Endlessness (Song For Young Xenophobes)". Mit wenigen Worten versucht Ocher zu verstehen, wie aus Angst Nationalismus wird.
"Nationalismus ist mein persönlicher Erzfeind. Dass Menschen denken, ihr Land sei etwas, für das sie kämpfen müssten, obwohl sie doch einfach nur zufällig dort geboren sind - das ist doch erschreckend. Ich wollte mit dem Song zeigen: Ein Land ist nichts, worauf man stolz sein kann."
"The West Against The People" ist eine unprätentiöse klangliche Studie. Politische Message und avantgardistisches Sound-Experiment gehen hier Hand in Hand. Die Platte umarmt auch solche, die keine Lust auf noch mehr politischen Input haben. Denn Ochers Genialität liegt in offenen Sounds, die mal fließend, mal komprimiert, immer aber anschlussfähig sind. Hörerinnen und Hörer können, im besten Sinne von Pop, wirkliche all ihre Wünsche und Sorgen einfach so in die Musik hineinlegen.
"The West Against The People" von Mary Ocher ist am 10. März auf Klangbad erschienen.
Konzert in Deutschland: 07.06.17 Hamburg - Kampnagel / Theater Der Welt