Jasper Barenberg: Im Rückblick ist klar: es hat Vorzeichen gegeben, die missachtet wurden, und in der Wahlnacht vor einem Jahr dann Stunde für Stunde Anzeichen dafür, dass es schlecht läuft für Hillary Clinton, die Kandidatin der Demokraten. Ohio, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin – wo immer es besonders wichtig war, schlug Donald Trump Clinton, bis feststand, der Immobilienunternehmer aus New York wird tatsächlich der 45. Präsident der USA. Von seinen Wahlversprechen hat Trump seitdem kaum eines eingelöst. Dafür ist die politische Debatte rüde geworden und noch unversöhnlicher als ohnehin schon. Und 70 Prozent der US-Bürger sind im Moment der Meinung, dass Amerikas Gesellschaft so gespalten, so zerstritten ist, wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr.
Der Politikwissenschaftler Michael Werz arbeitet unter anderem für das Center for American Progress in Washington, einer Denkfabrik, die überparteilich an Lösungen für politische Probleme arbeitet und dennoch den Demokraten nahesteht. Michael Werz ist uns jetzt aus unserem Berliner Studio zugeschaltet. Schönen guten Morgen.
Michael Werz: Schönen guten Morgen.
Barenberg: Sehen Sie es eigentlich wie die Mehrheit der Amerikaner auch, mit Donald Trump sind die gesellschaftlichen Gräben in den USA noch tiefer geworden?
Werz: Das macht den Eindruck und man spürt es auch, wenn man durch das Land reist und sich mit Leuten unterhält, dass es eine große politische Auseinandersetzung gibt, die von Donald Trump natürlich auch noch durch seinen rüden Politikstil weiter vertieft und verfestigt wurde. Allerdings ist die Rede davon, dass das Land jetzt gespalten sei, ein wenig vereinfachend. Der Konflikt zieht sich viel eher entlang anderer Linien, nämlich derjenigen, die gegen die politischen Institutionen, die alt hergebrachten Parteien, das Partei-Establishment und die Zentralregierung in Washington aufbegehren, und andere, die durchaus damit leben können, dass die Vereinigten Staaten ein Rechtsstaat sind, der zunehmend heterogener wird, wo die Bevölkerung anders aussieht als noch vor 20 oder 30 Jahren und auf die Zukunft gerichtet ist. Es ist auch ein Kampf zwischen Zukunft und Vergangenheit in der Politik.
Spaltung bei den Republikanern
Barenberg: Stimmt es denn, dass sich auch die Abneigung zwischen Republikanern und Demokraten in der Arbeit im Kongress eigentlich noch verstärkt hat?
Werz: Das stimmt, wenn man mit einbezieht und darüber nachdenkt, dass es innerhalb der Republikanischen Partei ja schon seit vielen Jahren eine Spaltung gibt zwischen einem rechten, anarchistisch-libertären Flügel, der sogenannten Tea Party, und den traditionellen Republikanern, die ja viel mehr mit moderaten Demokraten vereint und zusammenführt als mit dem rechten Flügel ihrer eigenen Partei. Das Problem im Kongress ist über viele Jahre hinweg gewesen, dass in einem politischen System, das auf ein zwei-Parteien-System hin ausgerichtet ist, es im Prinzip drei Parteien gab mit dieser Spaltung innerhalb des republikanischen Parteispektrums und dadurch mit Sperrminoritäten häufig Gesetzgebungsverfahren und Diskussionen zum Stillstand gebracht worden sind.
Wenig Kritik an Trump aus den eigenen Reihen
Barenberg: Gerade in den letzten Wochen haben wir ja erlebt, wie sich einzelne Republikaner im Kongress öffentlich gegen Trump stellen, darunter auch US-Senatoren. Gilt dennoch insgesamt, es ist Donald Trump gelungen, die Partei gewissermaßen mundtot zu machen und sie sich zu unterwerfen? Denn es gibt ja nicht viel Anklang oder nicht viel Nachahmer dieser Republikaner, die ganz öffentlich Kritik üben.
Werz: Das ist richtig und das hat natürlich damit zu tun, dass eine Partei, die die Mehrheit in beiden Häusern hat, im Abgeordnetenhaus und im Senat, und den Präsidenten stellt, natürlich auch eine gewisse Parteidisziplin sich zu eigen macht, um die politischen Möglichkeiten nicht von vornherein zu verschließen. Mit Donald Trump ist das schwierig, weil er ja eigentlich kein Republikaner ist, der in der Partei groß wurde, sondern in einem Akt, den man schon als feindliche Übernahme bezeichnen kann, sich in den Vorwahlen im vergangenen Jahr die Partei angeeignet hat. Und die Tatsache, dass bisher nur einige wenige Republikaner sich öffentlich dazu geäußert haben, dass dieser Präsident nicht nur mit den republikanischen, sondern auch mit demokratischen und institutionellen Traditionen in den Vereinigten Staaten bricht, ist doch bemerkenswert. Es sind in der Regel auch Kandidaten, die entweder nicht mehr für Parteiämter in Frage kommen oder kandidieren werden, oder so schlechte Wahlaussichten bei den Zwischenwahlen 2018 haben, dass sie sich dann entschließen, doch einmal auch öffentlich ihren Unmut über den eigenen Präsidenten kund zu tun. Das sind bisher einige wenige und es wird in der Tat darauf ankommen, wie sich die Republikanische Partei in den kommenden Monaten und Jahren positioniert, um klarer sagen zu können, ob es noch einen Moment gibt, eine moderne christdemokratischer Partei europäischer Prägung aus den Republikanern wieder zu machen, oder ob Donald Trump mit seinem rechten Populismus die Partei dauerhaft verändern wird.
1400 Unwahrheiten, die Trump von sich gegeben hat
Barenberg: Danach sieht es im Moment aus, oder sehen Sie das anders?
Werz: Das sieht im Moment so aus. Das Problem ist auch, dass häufig unterschätzt wird, dass das gesprochene Wort von Politikern oder in Donald Trumps Fall das getweetete Wort doch eine große Bedeutung hat. Die Tageszeitung "Washington Post" hatte neulich eine Aufzählung der über 1400 Unwahrheiten, die der Präsident öffentlich von sich gegeben hat seit seiner Amtsinaugurierung im Januar dieses Jahres. Und die Tatsache ist natürlich bemerkenswert, denn wenn der Präsident und auch viele seiner Kabinettsmitglieder permanent die Unwahrheit sagen, dann gelangt man an einen Punkt, an dem die Leute überhaupt nichts mehr glauben und anfällig werden für vereinfachende Erklärungsmuster, und das unterminiert das gesamte politische System und auch die Glaubwürdigkeit der politischen Prozesse.
Barenberg: Als Sie eben von der Spaltung des Landes gesprochen haben, da haben Sie gesagt, sie bestünde vor allem in der Spaltung zwischen denjenigen, die die Institutionen, die Zentralregierung in Washington schätzen und verteidigen, und denen, die all das ablehnen. Ist das eigentlich das große Dilemma, der große Fehler auf Seiten der Demokraten, dass man all das, was damit an Veränderungen verbunden ist, überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, gleichsam in der letzten Wahl, und dass bis heute eigentlich keine Aufarbeitung bei den Demokraten mit diesem Problem stattfindet?
Werz: Das ist richtig. Das ist komplett übersehen worden, dass diese Bewegung in den Vereinigten Staaten hin zu einer antizentralistischen und antiinstitutionellen und auch gegen das, was als Parteieliten und Establishment wahrgenommen wird, ausgerichteten politischen Bewegung sich abgezeichnet hat. Das gibt es ja auch innerhalb der Demokratischen Partei. Das hat ja der linkspopulistische Flügel der Partei unter Bernie Sanders in den Vorwahlen auch deutlich bewiesen, die Hillary Clinton ja nur mit knapper Not überstanden hatte. Insofern sind die Republikaner in diesen Herausforderungen nicht alleine.
Auf der anderen Seite ist es auch wichtig zu sehen, dass in den Vereinigten Staaten diese föderalen Traditionen mit den 50 Einzelstaaten und auch weit reichender gesetzgeberischer Unabhängigkeit gegenüber der Zentralregierung das eine lange Tradition hat. Das Neue ist, dass es sich jetzt außerhalb des parteipolitischen Spektrums etabliert. Wir kennen ähnliche Prozesse auch aus den europäischen Zusammenhängen. Und die Frage, wie darauf geantwortet wird, die ist bisher in der Demokratischen Partei, aber auch unter den moderaten Republikanern unbeantwortet geblieben.
Neuer demokratischer Parteichef Tom Perez mache Hoffnung
Barenberg: Hillary Clinton, die gescheiterte Kandidatin, hat sich ja vor allem in ihrem Buch, das sie beispielsweise veröffentlicht hat, nach ihrer Niederlage als Opfer beschrieben, als Opfer verschiedener Umstände. Wann werden die Demokraten eigentlich den Schritt gehen, die Debatte über die eigenen Fehler und dann mit Blick auf die Zukunft auch, wie man künftig wieder Menschen für Politik begeistern kann, zu führen? Wann wird diese Debatte geführt werden?
Werz: Die Debatte hat bereits begonnen und wird auch innerhalb der Partei mit der gehörigen und vielleicht auch notwendigen Härte geführt. Man kann deutlich spüren, dass es zu einem Ablösungsprozess von Hillary Clinton, von Bill Clinton und von der gesamten Clinton-Ära in der Demokratischen Partei langsam kommt. Es besteht nach wie vor die Gefahr, dass auch die Demokratische Partei sich verliert in einem sektiererischen Kampf zwischen moderaten und dem parteilinken Flügel. Aber man sieht, dass mit der neuen Parteiführung, dem Parteivorsitzenden Tom Perez, dem ehemaligen Arbeitsminister unter Barack Obama, der aus einer dominikanischen Einwandererfamilie kommt, ein Bürgerrechtsanwalt war, aber auch die Sprache der Sozialdemokratie spricht aufgrund seiner politischen Erfahrungen, dass er als neuer Parteichef versucht, diesen Einigungsprozess voranzubringen und auch neue Positionen festzuklopfen. Bei den Wahlen, die jetzt am Dienstag im Bundesstaat Virginia stattgefunden haben, konnte man sehen, dass diese Entwicklungen im Prinzip schon noch schneller gehen, als das das parteipolitische Spektrum abbilden kann. Aber die Veränderungen sind doch erheblich und wenn man sieht, dass fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler in Virginia gesagt haben, wir gehen unter anderem wählen, um unserem Missmut über den Präsidenten Donald Trump Ausdruck zu geben, dann kann man sich schon auch vorstellen, dass hier eine Gegenbewegung langsam an Dynamik gewinnt.
Barenberg: … sagt der Politikwissenschaftler Michael Werz, der unter anderem für das Center for American Progress in Washington arbeitet. Danke für das Gespräch heute Morgen.
Werz: Vielen Dank, Herr Barenberg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.