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Politische Stimmung in NRW
"Bei Wahlen wird eher abgewählt"

Wenn die SPD in den letzten Umfragen vor der Wahl am Sonntag zurückgefallen sei, dann liege das auch daran, dass sie im Wahlkampf nicht wirklich ein Thema gehabt habe, sagte der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner im DLF. Aber auch die gute Performance eines Herausforderers habe eine wichtige Rolle gespielt.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Ute Meyer |
    Wahlplakate der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (l, SPD) und des Vorsitzenden der FDP, Christian Lindner, stehen am 28.04.2017 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen).
    Wahlplakate der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (l, SPD) und des Vorsitzenden der FDP, Christian Lindner, stehen am 28.04.2017 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen). (dpa/Ina Fassbender)
    Ute Meyer: Was die Umfragewerte angeht, scheint es wie verhext zu sein für die SPD, und darüber hatte ich kurz vor der Sendung Gelegenheit zu sprechen mit Klaus-Peter Schöppner, Meinungsforscher vom Meinungsforschungsinstitut Mentefactum in Bielefeld. Herr Schöppner, lange Zeit sahen die Umfragen Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen vorn und jetzt scheint sich auf den letzten Metern das Blatt noch zu wenden. Warum?
    "Für die SPD ist da einiges zusammengekommen"
    Klaus-Peter Schöppner: Ja, das ist eine interessante Frage. Da ist ja einiges für die SPD zusammengekommen. Das ist zuerst einmal die schlechte Arbeit der dortigen SPD-Grünen-Landesregierung. Wenn wir nach den Gründen fragen, sind es 48 Prozent bundesweit, die das kritisieren, und in Nordrhein-Westfalen mit weitem Abstand 44 Prozent. Es ist ja auch ein blutleerer Wahlkampf. Die SPD-Landesmutter versucht ja sozusagen, als Kümmerin und nicht als politische Bewegerin dort Kraft zu schöpfen. Die SPD hat nicht wirklich ein Thema und sie hat zwei Probleme. Das eine Problem ist ihr Innenminister; das zweite Problem ist, dass sie zumindest in der Schul- und Umweltpolitik am Gängelband der Kollegen Löhrmann und Remmel steht, und das kommt insgesamt nicht sonderlich gut an.
    Meyer: Vielleicht gehen wir da noch mal genauer drauf ein. Sie haben gesagt, Problemfeld Innenminister Ralf Jäger, der mit dem Fall Anis Amri in unrühmliche Verbindung gebracht wird, und Versagen in der Landespolitik. Was wiegt da am schwersten?
    "Der CDU-Slogan "Jetzt reicht’s!" hat lange nicht verfangen"
    Schöppner: Es sind vor allen Dingen psychologische Momente. Wenn in der Innenpolitik so viel schiefläuft – die Bürger können das im Prinzip verstehen. Aber wenn dann Politiker sich hinstellen, unantastbar sich dort generieren und sagen, ich bin es nicht gewesen, und es nicht verstehen, wie man auch durch Fehler letztendlich politisch sympathisch werden kann, dann ist das ein großes Problem. Wir haben keine Ruhe an der Schulfront, obwohl die CDU sozusagen einen Schulkompromiss mit der rot-grünen Landesregierung geschlossen hat. Das ist die Reizfigur Remmel, der sehr versucht, gegen Ansiedlung, gegen die Wirtschaft Politik zu machen. Dies ist insgesamt flankiert von statistischen Kennwerten, die Nordrhein-Westfalen nicht gerade positiv ausweisen, eigentlich das, wo irgendwann mal der CDU-Slogan "Jetzt reicht’s!" verfängt. Der hat lange nicht verfangen. Jetzt allerdings, auch nicht zuletzt durch die gute Performance des anderen Herausforderers Christian Lindner, scheint das den Bürgern, na ja, bewusst geworden zu sein, und das spielt sicherlich in diesem Wahlkampf eine große Rolle, aber halt nicht die einzige.
    Meyer: Was bringt die Aussage von Hannelore Kraft, die sie gestern gemacht hat, sie werde nicht mit der Linkspartei koalieren?
    "Die gute Arbeit der NRW-CDU wird nicht wirklich wahrgenommen"
    Schöppner: Na ja, das wurde auch Zeit, und eine Aussage, die drei Tage vor der Wahl und vorher nicht wirklich gekommen ist, zählt im politischen Leben nicht mehr wirklich, weil sie dann nicht als Aussage gilt, die als programmatische Aussage zu verstehen ist, sondern aus wahltaktischen Gründen gesagt wird. Sie hat ja spätestens nach der Landtagswahl im Saarland erkennen müssen, dass eine Koalition mit der Linkspartei nicht geht. Sie hat auf Warten gespielt, weil sie dort natürlich eine Machtoption hat. Und wenn ihr jetzt kurz vor Toresschluss die Felle wegschwimmen – und ob sie nun stärkste Partei wird, das ist ja noch längst nicht entschieden, die Fragestellung -, aber wenn sie kurz vor Schluss dann einen neuen Gedanken oder eine neue Programmatik ins Spiel bringt, dann ist das reine Wahlkampfrhetorik und hat nur noch einen halben Wert.
    Meyer: Sie haben eben die erfolgreiche Kampagne der CDU ins Spiel gebracht und die glänzende Rhetorik des FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner. Wer von beiden ist denn der gefährlichere Gegner für Kraft?
    Schöppner: Na ja, Laschet ist natürlich mit der CDU im Hintergrund der gefährlichere Gegner, wobei man allerdings kritisch sagen muss, von dem eben genannten Faktorenbündel, die eine Rolle spielen, spielt die gute Arbeit der NRW-CDU die geringste Rolle. Die wird nicht wirklich wahrgenommen. Es gibt dort Laschet, aber sonst hat die CDU im Nordrhein-Westfalen-Wahlkampf ja auch nicht wirklich einen Kopf, der andere wichtige Themen, vielleicht mit Ausnahme des Herrn Laumann und Sozialpolitik, verkörpert. Und man muss ihr schon vorhalten, dass die vielen Steilvorlagen, die Rot-Grün dort geliefert hat, eigentlich wenig von der Union gestellt werden können. Die gute Arbeit der NRW-CDU ist in Nordrhein-Westfalen nur für 26 Prozent für den Aufschwung maßgeblich. Das bestätigt die alte Regel, wonach bei Wahlen eher abgewählt als zustimmend gewählt wird.
    "Lindner hat das, was man von einem Kandidaten erwartet"
    Der zweite Punkt ist Christian Lindner. Christian Lindner ist ja derjenige, der glänzend im Prinzip ankommt in sehr vielen Bereichen. Er hat eigentlich das, was man von einem Kandidaten erwartet. In schwierigen Zeiten gibt er nicht auf, er ist nicht laut, er ist demütig. Er ist offensichtlich der einzige, der auch ein Gegenkonzept hat, und er ist auch glaubwürdig, weil er eine Sprache spricht, die die Bürger verstehen, und der einzige, der die Politiker-Schönwetter-Reden demaskiert. Insofern kann es schon sein, dass er auf einen hohen Stimmanteil kommt. Das einzige Problem für die FDP und Christian Lindner kann jetzt in den letzten Tagen allerdings wieder werden, dass bei einer Situation, wo beide Parteien gleich stark dort situiert sind, viele Wähler, die möglicherweise zur FDP tendieren, sich doch sagen, jetzt wähle ich doch lieber die CDU – aus dem einfachen Grunde, um die CDU als stärkste Partei hinterher zu haben mit dem Anspruch, den Minister zu stellen. Da ist in den letzten Tagen noch ganz viel in Bewegung.
    Meyer: Kommen wir noch mal zu den Grünen. Die Grünen, bisher Regierungspartei, liegen zurzeit bei 6,4 Prozent in den jüngsten Umfragen, also knapp fünf Prozentpunkte niedriger als bei der Landtagswahl 2012. Ist das denn im Zusammenhang zu sehen mit den schlechten Umfragewerten der Bundespartei, oder auch eine Eigenleistung der Landes-Grünen?
    "Die Grünen besetzen im Grunde ja kein Thema mehr richtig"
    Schöppner: Da kommt beides zusammen. Die bundesweiten Grünen sind ja auch schwer angeschlagen – aus dem einfachen Grunde, weil sie ja kein Thema mehr richtig besetzt. Das Thema Umwelt wird für alle mittlerweile in Anspruch genommen, das Schulthema in den einzelnen Ländern ist nicht wirklich ein erfolgreiches Thema, und so kommt eine Masse zusammen. Tatsache aber auch, dass die beiden Protagonisten in Nordrhein-Westfalen im Prinzip immer im Zusammenhang mit ständiger Kritik auftauchen. Der Streitfall Schulpolitik geht ja über die jetzige Regierung hinaus, wird aber sehr stark durch Löhrmann vertreten. Alle Fragen des Schulausfalles oder Stundenausfalles, der diskutiert wird, das Thema, inwiefern die Inklusion überhaupt in Nordrhein-Westfalen läuft, alles das sind Dinge, wo möglicherweise zu schön geredet wird. Und dann gibt es einen Umweltminister, der strengere Auflagen fordert als jeder seiner Kollegen in anderen Bundesländern, und das kommt in einem Industrieland, was eigentlich nicht wirklich gute Werte hat, nicht sonderlich gut an.
    Meyer: Es heißt immer, wenn die SPD diese Landtagswahl verliert, dann sieht es schlecht aus für Martin Schulz bei der Bundestagswahl. Stimmen Sie zu?
    Schöppner: Da stimmen nicht nur wir zu, da stimmen auch mehr als zwei Drittel der Deutschen zu. Die sagen, zwei Niederlagen sind schon schlimm genug. Wenn NRW jetzt noch nicht besonders glorreich für die SPD ausgeht, ist das der Supergau.
    Meyer: Aber eigentlich heißt es doch, dass den Wählern nicht zugetraut wird, zwischen Landtagswahl und Bundestagswahl zu differenzieren und unterschiedliche Wahlentscheidungen zu treffen.
    "Schulz hat Warnsignale übersehen"
    Schöppner: Ja. Damit sagen Sie aber auch, dass Landtagswahlen nicht von bundespolitischen Trends bewertet werden. Die SPD sagt ja selbst, dass der Schulz-Effekt uns möglicherweise in den Ländern nach vorne bringt. Jetzt haben wir auf der anderen Seite aber einen Martin Schulz, der möglicherweise zum Minus-Schulz generiert, der viele Warnsignale überhört hat, der einen Neuanfang zwar verkörperte, der gut reden konnte, der Optimismus ausstrahlte, der aber nicht nachgelegt hat und der schon die Warnsignale übersehen hat, die schon bei seiner Amtseinführung da waren, dass Angela Merkel in vielen Punkten, Kompetenz, krisenbeständiger, vertrauensvoller, die besten Werte hat. Er ist der Mann der Worte und Angela Merkel die Dame der Taten in schwierigen außenpolitischen Zeiten, und da konnte er nicht nachlegen und das fällt den Wählern irgendwann mal auf.
    Meyer: Einschätzungen von Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut Mentefactum.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.