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Politische Stimmungen
Warum Berlin eher links wählt

Dass die Berliner mehrheitlich links gesonnen sind, hat eine lange Geschichte. Und das wird sich wohl auch dieses Mal bei den Wahlen zum Bundestag und zum Abgeordnetenhaus in Berlin zeigen. Eine bürgerliche Mehrheit ist praktisch ausgeschlossen. Aber auch die linken Parteien stehen unter Druck.

Von Sebastian Engelbrecht |
Unterstützer der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" schwenken bei der Übergabe der gesammelten Unterschriften für einen Volksentscheid zur Enteignung von großen Immobilienunternehmen vor der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Fahnen.
Der angespannte Wohnungsmarkt ist ein politisches Dauerthema in Berlin (dpa / Christophe Gateau)
"Der Kapitalismus ist an allem Schuld, wir sind am Ende unsrer Geduld. Wir leben eigentlich selber prekär, wenn das mit der Wohnung nicht wär." Am 1. Mai wird sichtbar und hörbar, dass Berlin eine linke Stadt ist. Dieses Lied war bei einer der Demonstrationen zu hören. In Mitte marschieren die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften, in den Abendstunden folgen die traditionellen Kämpfe zwischen Linksautonomen und Polizei in Friedrichshain und Kreuzberg.

Ehemals größte Industriestadt Deutschlands

Dass die Berliner mehrheitlich links gesonnen sind, zeigt sich schon im Namen des Regierungssitzes. Hier hatten fast immer linke Parteien das Sagen. Deswegen – und wegen der roten Klinkerfassade – heißt es "Rotes Rathaus". Der Historiker Hanno Hochmuth vom Potsdamer Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung hat sich mit der linken Tradition Berlins befasst.
"Man darf nicht vergessen, dass dieses Berlin bis 1945 im Osten, auch darüber hinaus die größte Industriestadt Deutschlands gewesen ist mit einer riesigen Arbeiterschaft, die jetzt nicht automatisch links wählte, die aber eine ganz wichtige Wählerklientel für die Sozialdemokratie, später für die Kommunisten darstellte. Das war enorm."
Abgeordnetenhaus-Wahlen in Berlin- Kandidaten, Themen, Koalitionen
Gleichzeitig mit der Bundestagswahl wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt – und damit auch das Amt des Regierenden Oberbürgermeisters. Dabei ist noch nicht ausgemacht, wer auf dem Chefsessel im Roten Rathaus sitzen wird.
Nach 1945 änderte sich das, zumindest im Westen der Stadt. Viele Industrieunternehmen schlossen ihre Betriebe, und die Arbeiterschaft wurde über die Jahrzehnte immer schwächer. Ost-Berlin dagegen wurde zur Hauptstadt des Arbeiter- und Bauernstaates DDR.
"Im Osten ging das weiter. Weil dort praktisch die Arbeiter mit der SED an die Macht gekommen sind, sind dort ganz starke nachhaltige linke Strukturen, sozialistische Strukturen entstanden. Dieses Ost-Berlin war ja nicht irgendeine Stadt, sondern das war die Hauptstadt der DDR, wo eben diese Funktionselite gesessen hat. Das hat bis hin zu den heutigen Wahlergebnissen durchaus Langzeitfolgen."

Zentrum des linksalternativen Milieus

In West-Berlin, wo das klassische Arbeitermilieu immer kleiner wird, erlangten die bürgerlichen Parteien CDU und FDP bei den Abgeordnetenhauswahlen in den 80er-Jahren tatsächlich die Mehrheit und regierten über mehrere Legislaturperioden. Zugleich aber wuchs seit 1968 im Gefolge der Studentenbewegung das alternative Milieu. Historiker Hanno Hochmuth erinnert daran, "dass dieses West-Berlin ja so ein Zentrum des linksalternativen Milieus wurde in den 70er-, 80er-Jahren und ganz viele junge Leute, vornehmlich linke Leute, aus der Bundesrepublik aufgenommen hat. Die Männer vor allen Dingen, weil sie der Wehrpflicht bei der Bundeswehr entgehen wollten, aber auch, weil es hier ganz andere Lebensräume, Freiräume gegeben hat – und die haben die Stadt nachhaltig geprägt."
Die Alternative Liste, später auch in Berlin "Grüne" genannt, hat seither in Berlin eine ihrer Hochburgen – bis heute.
"Wir wollen echten Klimaschutz im Verkehr. Das heißt: Wir müssen im Angesicht der Klimakrise die CO2-Emissionen massiv senken. Und das ist nicht die richtige Zeit, um mehr Platz, breitere Straßen für den klimaschädlichen Kfz-Verkehr zu bauen."
Sagt Lisa Feitsch vom Fahrradclub ADFC, sie kämpft in Berlin für ein radikal grünes Ziel. Nach ihrem Willen soll der Ausbau des Autobahn-Stadtrings gestoppt werden. Der schon weit fortgeschrittene neueste Bauabschnitt, der den früheren Westteil Berlins mit den ehemaligen Ostbezirken verbindet, soll für Fahrradwege, Wohnungsbau und andere Zwecke genutzt werden. Innerhalb der rot-rot-grünen Koalition ist mittlerweile umstritten, ob dieser Bauabschnitt wirklich fertig gebaut werden soll.

Wohnungsbau ein zentrales Thema

In anderen Bereichen konnte die gegenwärtig regierende Koalition in den vergangenen fünf Jahren ihr Programm verwirklichen. Oder sie versuchte es zumindest, etwa mit dem Mietendeckel, der die Mieten in anderthalb Millionen Wohnungen für fünf Jahre einfrieren sollte. Das Projekt wurde im April vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt. Mittlerweile kämpft eine Regierungspartei, die Linke, - noch radikaler – für die Enteignung von Immobilienkonzernen, die über mehr als 3.000 Wohnungen verfügen.
"Das ist ein zentraler Baustein, um die Mietpreisspirale zu bremsen und hier für Wohnungen für alle zu sorgen – weil wir wollen, dass die Stadt den Berlinerinnen und Berlinern gehört."
Dies sagt die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, sie steht mit ihrer Partei voll hinter den Initiatoren des Enteignungsvolksentscheids, der am 26. September in Berlin stattfindet. Umfragen zeigen, dass eine absolute Mehrheit für die Enteignungen der großen Wohnungskonzerne möglich ist. Der Politologe Oskar Niedermayer und der Historiker Hanno Hochmuth erklären, warum.
"Wie diese Enteignungsinitiative gezeigt hat, kommen die Stimmen sehr stark nur aus der Innenstadt. Da ist natürlich die Wohnungsnot auch am größten. Da haben aber die Grünen und die Linken ihre Hochburgen durchaus."
"Wir dürfen nicht vergessen: Enteignungen von Wohnungskonzernen ist ja nur eines von sehr, sehr vielen Themen, die die Berliner umtreiben. Das Wohnungsthema ist sehr stark, aber es gibt sehr viele andere Dinge. Und das bedeutet eben, dass jetzt nicht die Wählerinnen und Wähler nur wegen des Wohnungsthemas ausschließlich für eine Partei stimmen."
"Das hat gar nicht so sehr mit der Verortung in der Parteienlandschaft zu tun, sondern damit, dass viele Menschen einfach Angst darum haben, sich in Zukunft auch noch eine Wohnung leisten zu können. Deshalb dieser starke Rückhalt für diese Initiative."

Bürgerliche Mehrheit ausgeschlossen

Viele werden also aus pragmatischen Gründen für die Enteignungen stimmen, wählen deshalb aber nicht die SED-Nachfolgepartei "Linke". Gleichwohl ist die Linkspartei in keinem Bundesland so stark wie in Berlin. Bei den jüngsten Abgeordnetenhauswahlen im Jahr 2016 kam sie auf 15,6 Prozent der Stimmen.
Der Sieg einer bürgerlichen Koalition erscheint bei den bevorstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus jedenfalls ausgeschlossen. CDU und FDP kamen 2016 nur auf ein gutes Viertel der Stimmen. Berlin ist eben eine linke Stadt. So ähnlich drückte es Berlins ehemalige Stadtentwicklungssenatorin, Katrin Lompscher, in der Mietendeckel-Debatte aus:
"Wir sind ja alle immer schon einen Schritt weiter. Und da stellt sich für eine linke Stadtpolitik nicht die Frage: Macht man das oder macht man das nicht? Vollkommen richtig erkannt: Berlin ist in einem rebellischen Dauerzustand. Eine linke Politik, die das nicht macht, die wird einfach nach Hause geschickt."