"Die Corona-Impfung ist ein Angebot. Sie ist kostenlos und sie bleibt freiwillig." Eigentlich schien alles Wichtige gesagt, als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am zweiten Weihnachtstag in einer eilig improvisierten Pressekonferenz in seinem Ministerium verkündete, dass in Deutschland die ersten Transporte mit Corona-Impfstoff unterwegs seien.
"Jede Impfung mehr heißt: weniger Infektionen, weniger schwerste Verläufe auf den Intensivstationen, weniger Todesfälle. Wer mitmacht, rettet Leben. Dieser Impfstoff ist der Schlüssel dafür, dass wir unser Leben zurückbekommen können."
Damit war eine Debatte, die Jens Spahn nie wollte, eröffnet, bevor auch nur die erste Dosis verabreicht war. Denn wenn man den Leuten verspricht, sie bekämen ihr altes Leben zurück, dann wollen die natürlich, dass all die Einschränkungen ihrer Grundrechte, die sie so lange mehr oder weniger murrend ertragen haben, aufgehoben werden. Und zwar sobald sie mit dem Impfen fertig sind, auch wenn andere noch nicht mal einen Termin haben.
Aber darf ein Staat oder eine Gesellschaft den Ungeimpften weiter Beschränkungen auferlegen, die dann für Geimpfte nicht mehr gelten sollen?
"Ich glaube, dass es nicht nur zulässig, sondern in gewisser Weise zwingend geboten wäre", meint Stefan Huster, Professor für Verfassungsrecht an der Ruhr-Uni Bochum und Mitglied der Leopoldina. Er erinnert daran, dass der Zweck der Impfung ja darin besteht, die Ausbreitung des Virus zu verhindern.
"Das unterstelle ich jetzt einfach mal, dass diejenigen, die geimpft sind, nicht oder in einem wesentlich geringeren Umfang zur Verbreitung des Virus beitragen können, dann fehlt einfach der rechtfertigende Grund für die Beschränkungen gegenüber dieser Personengruppe und dann bleibt einem eigentlich gar nichts anderes übrig, als die von diesen Beschränkungen dann auszunehmen."
Ob die Impfung aber tatsächlich dazu führt, dass die betreffende Person nicht mehr ansteckend ist, lässt sich noch nicht sagen. Die Erfahrung lehrt, dass Impfungen meistens diese Wirkung haben, aber nachweisen lässt sich so etwas immer erst nach einigen Monaten.
Stefan Huster: "Beschränkungen sind dann geboten und auch gerechtfertigt, wenn jemand ein Ansteckungsrisiko mit sich trägt, und wenn er das eben nicht tut, dann sind diese Beschränkungen eben nicht mehr gerechtfertigt. Das ist immer so im Infektionsschutzrecht. Die gesamten Regelungen im Infektionsschutzrecht sind darauf ausgerichtet zu sagen, diejenigen müssen zum Beispiel in Quarantäne, wenn sie ein besonderes Risiko darstellen. Wenn nicht, dann eben nicht."
Dem widerspricht auch nicht, dass einzelne Nicht-Geimpfte vielleicht auf Gleichbehandlung pochen und anführen könnten, sie hätten ja noch gar keine Chance erhalten, sich impfen zu lassen, weil es nicht genügend Impfstoff gebe.
Stefan Huster: "Auch da ist es so, dass wir in infektionsschutzrechtlichen Zusammenhängen nicht danach unterscheiden, ob jemand an seinem Ansteckungsrisiko in irgendeiner Weise schuld ist, ob er dafür Verantwortung trägt, ob er das hätte vermeiden können. Wenn Sie zum Beispiel Kontakt hatten zu einem Virusträger, dann müssen Sie in Quarantäne. Ob Sie dafür etwas können, ob Sie das hätten vorhersehen können oder den Kontakt vermeiden, das ist dann völlig egal. Wichtig ist, Sie sollen die Ansteckung einfach nicht weitergeben."
Stefan Huster: "Auch da ist es so, dass wir in infektionsschutzrechtlichen Zusammenhängen nicht danach unterscheiden, ob jemand an seinem Ansteckungsrisiko in irgendeiner Weise schuld ist, ob er dafür Verantwortung trägt, ob er das hätte vermeiden können. Wenn Sie zum Beispiel Kontakt hatten zu einem Virusträger, dann müssen Sie in Quarantäne. Ob Sie dafür etwas können, ob Sie das hätten vorhersehen können oder den Kontakt vermeiden, das ist dann völlig egal. Wichtig ist, Sie sollen die Ansteckung einfach nicht weitergeben."
Dafür, meint Stefan Huster, müsse man dann notfalls Beschränkungen hinnehmen, die für andere nicht gelten.
Eine solche Ungleichbehandlung könnte aber die Gesellschaft spalten, warnt der Philosoph Stefan Gosepath von der Freien Universität Berlin. Unterschiede zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften dürfte es ohne breite Debatte nicht geben. Aber diese Debatte sei unausweichlich.
"Ab einem bestimmten Punkt, wenn sehr viele geimpft sind, dann muss man über die Lockerung der Freiheitsbeschränkungen nachdenken. Aber gerade am Anfang, wenn nur ganz wenige geimpft sind und tatsächlich, wenn es so sein sollte, nicht ansteckend sind, was wir noch nicht wissen, dann rechtfertigt das noch nicht, dass man für jeden einzelnen mit Impfausweis die Einschränkungen aufhebt. Ich finde, hier darf man zur allgemeinen Sicherheit der Gesamtbevölkerung die Freiheiten weiterhin kollektiv einschränken."
Wenn es soweit sein sollte, Teile der Grundrechtseinschränkungen für einzelne Gruppen aufzuheben und für andere bestehen zu lassen, dann könnte es ganz praktisch darum gehen, ob jemand wieder in die Kneipe darf. Oder auch, ob er oder sie noch ungeimpft am öffentlichen Verkehr teilnehmen kann, sagt Stefan Huster.
"Bei diesen sozusagen überlebensnotwendigen Dienstleistungen wie der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, da kann man dem Einzelnen schlecht vorhalten, du bist ja noch nicht geimpft, wenn er noch gar keine Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen. Anders sieht das dann möglicherweise aus, wenn jemand die Möglichkeit hat, sich impfen zu lassen, aber dann seine Impfskepsis ausleben möchte."
Wenn es soweit sein sollte, Teile der Grundrechtseinschränkungen für einzelne Gruppen aufzuheben und für andere bestehen zu lassen, dann könnte es ganz praktisch darum gehen, ob jemand wieder in die Kneipe darf. Oder auch, ob er oder sie noch ungeimpft am öffentlichen Verkehr teilnehmen kann, sagt Stefan Huster.
"Bei diesen sozusagen überlebensnotwendigen Dienstleistungen wie der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, da kann man dem Einzelnen schlecht vorhalten, du bist ja noch nicht geimpft, wenn er noch gar keine Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen. Anders sieht das dann möglicherweise aus, wenn jemand die Möglichkeit hat, sich impfen zu lassen, aber dann seine Impfskepsis ausleben möchte."
Demjenigen könnten Einschränkungen drohen. Beschränkungen im Verkehr sind schließlich schon gang und gäbe, nicht in der U-Bahn, aber etwa bei Flugreisen, bestätigt Stefan Gosepath.
"Wir werden alles möglich gefragt, bevor wir einen Flieger besteigen. Zum Beispiel Waffenbesitz usw. Bodyscans und so weiter. Klar gibt es viele Leute, die dagegen protestieren und sagen, weshalb passiert das so? Weil das eine Gefahrenabwehr für den Rest der Leute im Flugzeug bedeutet. Und insofern finde ich, das Gleiche könnte der Fall sein, wenn man sagt, man müsste nachweisen können, dass von einem selber keine Ansteckung ausgehen kann."
"Wir werden alles möglich gefragt, bevor wir einen Flieger besteigen. Zum Beispiel Waffenbesitz usw. Bodyscans und so weiter. Klar gibt es viele Leute, die dagegen protestieren und sagen, weshalb passiert das so? Weil das eine Gefahrenabwehr für den Rest der Leute im Flugzeug bedeutet. Und insofern finde ich, das Gleiche könnte der Fall sein, wenn man sagt, man müsste nachweisen können, dass von einem selber keine Ansteckung ausgehen kann."
Eine Art Präzedenzfall gibt es. Wer sein Kind in die Kita schicken will, muss es gegen Masern impfen lassen. Wer dort arbeiten will, muss geimpft sein. Dieses Gesetz wird allerdings derzeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft.
Bleibt es bestehen, könnte nach den Vorstellungen des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder bei Corona vielleicht ähnlich verfahren und für Pflegekräfte eine Impfpflicht eingeführt werden: "Wir haben eine Impfpflicht in Deutschland bei Masern, zum Schutz der Kinder. Deswegen geht es jetzt um den Schutz der Älteren und die Auswirkungen bei Corona, sind, ich sag es jetzt ganz vorsichtig, mindestens genauso schlimm wie bei den Masern."
Noch steht Söder allein. Politiker aller Parteien und auch der Deutsche Ethikrat lehnen jegliche Impfpflicht ab. Stefan Gosepath hält den Vorstoß zumindest für verfrüht.
"Sollte vom Pflegepersonal eine Ansteckung ausgehen, weil sie nicht geimpft sind, dann, finde ich, sind sie gegebenenfalls für bestimmte Tätigkeiten ungeeignet. Ich finde, wir sollten politisch als Gesellschaft erstmal an die Vernunft der Beteiligten appellieren, dass es nach all dem, was wir wissen, so geringe Nebenwirkungen, wenn überhaupt, gibt, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, sich nicht zu impfen."
Kommentar: Söders Vorstoß ist das Falsche Signal
Die Idee einer berufsbezogenen Impfpflicht, etwa für Pflegeberufe, ist schlicht nicht fair, kommentiert Carolin Born. Er sei respektlos und im schlimmsten Fall kontraproduktiv. Gute Argumente bräuchten Zeit zum Wirken.
Die Idee einer berufsbezogenen Impfpflicht, etwa für Pflegeberufe, ist schlicht nicht fair, kommentiert Carolin Born. Er sei respektlos und im schlimmsten Fall kontraproduktiv. Gute Argumente bräuchten Zeit zum Wirken.
In seltenen Fällen sind Nebenwirkungen möglich. Ein Anreiz für eine Impfung könnte sein, dass Geimpfte bestimmte Grundrechte früher zurückbekommen können als Nicht-Geimpfte. Wer eine solche Ungleichbehandlung nicht will, der beschwört fast zwangsläufig eine Debatte über eine Impfpflicht bei Corona herauf.
Stefan Gosepath: "Wenn wir im Herbst die Situation haben, dass wir feststellen, wir haben genug Impfstoff seit Juni/Juli und im Oktober oder November sind immer noch erst 30 Prozent der Bevölkerung geimpft, dann könnte eine ultima ratio sein, doch an den Impfzwang zu denken."
Stefan Gosepath: "Wenn wir im Herbst die Situation haben, dass wir feststellen, wir haben genug Impfstoff seit Juni/Juli und im Oktober oder November sind immer noch erst 30 Prozent der Bevölkerung geimpft, dann könnte eine ultima ratio sein, doch an den Impfzwang zu denken."
Impfpflicht bestand in Deutschland von Kaisers Zeiten bis 1945. Seit 1953 hat die DDR sie für immer mehr Krankheiten wieder eingeführt. Im Westen hat Baden-Württemberg damit schon 1946 angefangen, andere Bundesländer folgten später. Im Falle von Corona könnte sich eine flächendeckende Impfpflicht als moralisch geboten erweisen, meint Stefan Huster.
"Einige werden sich auch aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Diese Personen haben auch einen Anspruch darauf, geschützt zu werden. Und wenn es andere gibt, die sich impfen lassen könnten, die das aber aus welchen Gründen auch immer einfach nicht tun wollen, dann, finde ich, haben die zunächst mal die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie andere dann eben nicht anstecken."
Sie müssten dann entweder in Isolation bleiben und so auf Grundrechte verzichten oder sich vielleicht doch impfen lassen. Jens Spahn wird also sein Versprechen niemals vollständig halten können. Wir werden unser altes Leben nicht zurückbekommen. Mit Corona wird sich vieles ändern. Der Infektionsschutz und das Impfrecht könnten zu den Feldern gehören, wo solche Änderungen am schnellsten eintreten.
Sie müssten dann entweder in Isolation bleiben und so auf Grundrechte verzichten oder sich vielleicht doch impfen lassen. Jens Spahn wird also sein Versprechen niemals vollständig halten können. Wir werden unser altes Leben nicht zurückbekommen. Mit Corona wird sich vieles ändern. Der Infektionsschutz und das Impfrecht könnten zu den Feldern gehören, wo solche Änderungen am schnellsten eintreten.