Dass Wirtschaftspolitiker sich mit dem Islam beschäftigen, ist eher ungewöhnlich. Carsten Linnemann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU und zuständig für Wirtschaftspolitik, wurde schon als Student mit dem politischen Islam konfrontiert.
"Ich hab eine Zeit in Riad gelebt, hab dort zu meinem Promotionsprojekt gearbeitet und geforscht, aber natürlich durch das Leben in Riad hab ich mitbekommen, wie es zwei Schlangen gab bei MacDonalds, die eine Schlange für Frauen, die andere für Männer, wie Zeitschriften, Zeitungen aus Deutschland geschwärzt wurden, nur, weil eine Frau ein T-Shirt anhatte. Wo ich gemerkt habe, hier gibt es ein anderes Verständnis von einem Staat. Es ist eben nicht der freiheitliche Staat, den wir kennen, mit Meinungsfreiheit, mit Gleichberechtigung von Frau und Mann, Pressefreiheit. Und dadurch bin ich sensibilisiert worden. Und in den letzten Jahren verstärkt von Unternehmern, die sich auch Sorgen machen um den Zusammenhalt dieses Landes."
Wenn er Unternehmen besuche, werde er fast immer auf Probleme mit der Integration angesprochen.
"Und da ist mir immer mehr und mehr klargeworden, dass wir dieses Thema unterschätzen, weil: Ja, das Wichtigste ist die Integration in den Arbeitsmarkt. Aber am Ende ist die größte Herausforderung für dieses Land die kulturelle Integration. Und gerade in der Wirtschaftspolitik haben nahezu alle bekannten Wirtschaftspolitiker, die wir hatten in der Geschichte dieses Landes, die die soziale Marktwirtschaft geschaffen haben - das war nicht nur Ludwig Ehrhard, sondern andere auch wie Herr Röpke und Franz Böhm von der Freiburger Schule - die gesagt haben, ein Staat kann nur funktionieren, wenn es ein Werte-Fundament gibt. Und dieses Werte-Fundament ist entscheidend für die Umsetzung der sozialen Marktwirtschaft. Und viele glauben in Deutschland, die soziale Marktwirtschaft ist ein Wirtschaftssystem, nein, es ist ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Und für dessen Umsetzung brauchen wir ein Werte-Fundament.
"Was machen wir hier falsch?"
Flüchtlinge und Migranten, die aus islamischen Ländern kommen, bringen einerseits häufig eine fundamentalistische Sichtweise mit, so Linnemann. Andererseits nehme die Radikalisierung junger Muslime hier in Deutschland zu.
"Wenn immer mehr Menschen in Deutschland radikalisiert werden - das ist ja offensichtlich, nehmen Sie nur das Beispiel islamistische Gefährder, innerhalb von drei Jahren haben die sich verdoppelt, davon hat ein Drittel wirklich einen deutschen Pass - dann muss ich mir doch die Frage stellen, was machen wir hier falsch?"
Darüber möchte Carsten Linnemann eine Debatte in Gang bringen. Er hat jetzt ein Buch herausgegeben, zusammen mit Winfried Bausback, dem stellvertretenden Vorsitzenden der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Der Titel "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland". Darin haben die beiden Politiker namhafte Experten zum Thema 'Politischer Islam' versammelt. Und geben der Diskussion eine konstruktive Richtung: Nicht der Islam als privat gelebte Spiritualität sei das Problem, sondern der politische Islam. Diese These hält alle Beiträge der fünfzehn namhaften Experten zusammen, auch wenn sie sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi ist dabei, der Islamwissenschaftler und Extremismus-Forscher Marwan Abou Taam, die Journalistin Düzen Tekkal sowie Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter Baden-Württembergs, und Ruud Koopmans vom Wissenschaftszentrum Berlin, der den politischen Islam so definiert:
"Der politische Islam ist letztendlich eine totalitäre Bewegung, sie steht im Gegensatz zu den Werten des Grundgesetzes und stellt sich sogar das Ziel, letztendlich einen Staat auf religiösen Grundsätzen zu errichten und das ist ein Ziel, das im klaren Gegensatz zum Grundgesetz der Verfassung steht."
"Kleine Mehrheit mit fundamentalistischen Überzeugungen"
Dem politischen Islam liege immer ein fundamentalistisches Weltbild zugrunde, sagt Koopmans. Viele Migranten und Flüchtlinge aus islamischen Ländern seien mit fundamentalistischen Vorstellungen aufgewachsen und brächten diese Mentalität mit, wenn sie nach Europa kommen.
"Wenn wir Forschungen machen in Westeuropa unter muslimischen Migranten - so gibt es eine kleine Mehrheit, die tatsächlich fundamentalistische Überzeugungen hat und der Auffassung ist, religiöse Gesetze haben Vorrang vor weltlichen Gesetzen. Wenn man in die islamische Welt schaut, ist der Anteil der Fundamentalisten noch deutlich größer, zwei Drittel. In manchen Ländern wie Pakistan oder Ägypten 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung. Fast jeder ist ein Fundamentalist", sagt Koopmans.
In Deutschland träfen sie auf konservative islamische Strukturen. Nicht selten seien auch die muslimischen Verbände und Organisationen, die vom Staat finanziert werden, Teil des Problems. Ruud Koopmans:
"Das ist natürlich das Problem mit dem politischen Islam. Es ist nicht, dass man darüber nachdenken muss, etwa eine Organisation wie DITIB oder Zentralrat der Muslime zu verbieten – wir leben in einer Demokratie. Aber dass solche Organisationen Subventionen des Staates bekommen, zum Teil sogar für Anti-Radikalisierungsarbeit, während sie selbst radikales Gedankengut verbreiten, das ist wie den Wolf zum Schafhirt machen."
Ahmad Mansour sieht das ähnlich. Er plädiert dafür, liberale Islamströmungen zu stärken, statt mit zweifelhaften islamischen Partnern und Verbänden zusammenzuarbeiten.
"Wenn Organisationen im Namen der Religionsfreiheit versuchen, Strukturen aufzubauen, die eine Hinter-Agenda haben, die Werte vermitteln, die nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar sind, dann ist das keine Religionsfreiheit mehr. Das wäre naiv, das als Religionsfreiheit zu bezeichnen."
Inner-islamische Auseinandersetzung nötig
Solche Organisationen würden versuchen, mit demokratischen Mitteln Einfluss zu nehmen, nicht nur auf die Muslime, sondern auf die Gesellschaft insgesamt. Doch wie soll die Politik, wie sollen Kirchen und Zivilgesellschaft dann überhaupt herausfinden, wer als Partner in Frage kommt? Wer das Gespräch mit ihnen suche, würde sehr schnell herausfinden, welche Werte sie vertreten, sagt Mansour.
"Wollen sie nur über Muslimfeindlichkeit sprechen, oder wie sie das nennen, über Islamfeindlichkeit oder Islamophobie? Oder sind sie auch bereit, die Probleme, die wir in unserer muslimischen Community haben, anzusprechen? Reicht es, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus geht, nach Auschwitz zu fahren oder brauchen wir auch eine Auseinandersetzung in den Moscheen mit den normalen Muslimen, die zum Freitagsgebet kommen und bestimmte antisemitische Einstellungen haben. Müssen wir unsere Religion so reformieren, dass die Texte nicht antisemitisch interpretierbar sind, müssen wir über das Existenzrecht Israels sprechen? Wenn es um Radikalisierung geht: Reicht es, wenn die Kirche hochproblematische Imame einlädt und mit denen irgendwelche Mahnwachen veranstaltet oder brauchen wir eigentlich auch eine innerislamische Auseinandersetzung mit Inhalten, die zur Radikalisierung führen, wie Buchstabenglaube, wie Angstpädagogik? Und die Frage aller Fragen, die für mich auch sehr zentral ist, ist die Bereitschaft, ihre Kritiker zu akzeptieren."
Das von den beiden Politikern Linnemann und Bausback herausgegebene Buch ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der Probleme, es bietet auch Lösungsansätze, nicht zuletzt, wenn es um die Finanzierung des politischen Islam durch Katar, Saudi-Arabien und Kuweit geht. Das zeigt der Journalist Sascha Adamek in seinem Kapitel über die Missionierungsstrategien dieser Länder, die sich nicht selten als Nichtregierungsorganisationen tarnen. Viel Zündstoff also für Diskussionen, viele Baustellen - auch für Integrationspolitiker.
Carsten Linnemann/Winfried Bausback (Hrsg): Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Herder 2019.