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Politisches Interesse
Portugals Jugend erwacht - ein bisschen

Die schwere Wirtschaftskrise hat die portugiesische Jugend nicht mobilisieren können. Nun wecken Protestaktionen wie "Fridays for Future" die Hoffnung, dass eine neue Generation heranwächst, die sich politisch stärker engagiert. Davon profitieren vor allem neue Parteien.

Von Tilo Wagner |
"Fridays for Future"-Demonstration in Lissabon: Eine Demonstrantin hält ein Plakat mit einem Clownfisch hoch, auf dem steht: "Im wahren Leben stirbt Nemo, weil er in Chemikalien schwimmt"
"Fridays for Future"-Demonstration in Lissabon: Eine Demonstrantin hält ein Plakat mit einem Clownfisch hoch, auf dem steht: "Im wahren Leben stirbt Nemo, weil er in Chemikalien schwimmt" (Imago/ GlobalImagens)
Dürre und Hitzewellen, verheerende Waldbrände, steigender Meeresspiegel - die Folgen des Klimawandels sind in Portugal deutlich zu spüren. Und dagegen hat sich wie in ganz Europa eine Jugend-Bewegung mobilisiert, die von der Politik und den Menschen mehr Verantwortung einfordert. Die Elftklässlerinnen Filipa Santos und Savana Monteiro sind mit ein paar Freundinnen in der Lissabonner Altstadt auf dem Weg zu einer Klima-Demo. "Die Parteien sind nur an Machterhalt und Geld interessiert", sagt Savana Monteiro. Und ihre Freundin fügt hinzu: "Wir sprechen sehr viel über die Dinge, aber wir handeln nicht. Das ist ein großes Problem. Wir alle müssen uns verändern."
Drei neue Parteien sind ins Parlament eingezogen
Protestaktionen wie "Fridays for Future" wecken in Portugal die Hoffnung, dass eine neue Generation heranwächst, die sich politisch stärker engagiert.
"Die portugiesische Gesellschaft hat immer unter einem niedrigen Bildungsniveau gelitten. Doch jetzt wächst die am besten ausgebildete Jugend heran, die bereits Eltern mit einem hohen Bildungsniveau haben. Das macht den Unterschied aus", sagt Francisco Esteves, ein älterer Demonstrant.
Das zeigt sich auch an der neuen Zusammensetzung des portugiesischen Parlaments. Anfang Oktober sind bei den Wahlen drei neue kleine Parteien mit jeweils einem Abgeordneten in die Volksvertretung eingezogen, die insbesondere bei jungen Wählern punkten konnten. Gleichzeitig hat die Umweltpartei PAN ihre Stimmen mehr als verdoppelt und erreicht nun mit vier von 230 Abgeordneten zum ersten Mal den Fraktionsstatus.
Politisches Desinteresse groß, Wahlbeteiligung niedrig
Dennoch ist das nur die halbe Wahrheit. Selbst die schwere Wirtschaftskrise zu Beginn dieses Jahrzehnts hat in Portugal nicht dazu geführt, dass sich eine große Mehrheit der jungen Menschen politisch engagiert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2015 interessieren sich 57 Prozent der Portugiesen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren überhaupt nicht für Politik. Bei den Parlamentswahlen vor zwei Monaten erreichte die Wahlbeteiligung nicht einmal 50 Prozent, und das auch, weil viele junge Wähler zu Hause blieben. Fehlendes politisches Engagement und Interesse junger Portugiesen erklärt der Politologe Marco Lisi von der Neuen Universität Lissabon mit Mängeln im staatlichen Bildungssystem:
"In Portugal gibt es in den öffentlichen Schulen kein Fach, das den Schülern die zivilgesellschaftlichen Grundwerte der Demokratie lehrt. In anderen Staaten Europas werden an den Schulen zum Beispiel Wahlen simuliert, damit die Schüler lernen, was demokratische Teilnahme heißt. Solche Experimente fehlen in Portugal. Die jetzige Regierung hat nun endlich beschlossen, ein Fach wie Sozialkunde in den Lehrplan aufzunehmen, aber es wird Jahre dauern, bis wir sagen können, ob das etwas gebracht hat oder nicht."
Etablierte Parteien setzen nicht auf Jugend
Der wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen Jahre hat die Jugendarbeitslosigkeit in Portugal zwar deutlich zurückgehen lassen, dennoch haben immer noch 18 Prozent der 15- bis 24-jährigen keinen Job. Gleichzeitig führen die deutlich gestiegenen Immobilienpreise dazu, dass junge Portugiesen sich insbesondere in Lissabon und Porto kein eigenes Zuhause leisten können. Anders als in Spanien, Italien oder Griechenland hat sich in Portugal bisher keine neue große Protestpartei etablieren können, die die Unzufriedenheit der jungen Menschen auffängt. Und die portugiesischen Altparteien wollen keine schlafenden Hunde wecken: Sie konzentrieren sich lieber auf die Mobilisierung der Älteren aus Angst, eine politisierte Jugend könnte sich von den Altparteien abwenden.
"Die alteingesessenen Parteien wissen, dass eine neue Protestpartei die Unzufriedenheit der jungen Menschen kanalisieren könnte und damit die politische Parteienlandschaft in Portugal komplett verändern würde. Die traditionellen Parteien setzen deshalb nicht auf die jungen Wähler, weil sie Angst haben, dass diese dann nicht für sie, sondern für neue Parteien stimmen. Sie fürchten also die Mobilisierung neuer Wähler. Die traditionellen Parteien werden deshalb nur sehr wenig machen, um das Interesse der Jugend an der Politik grundlegend zu verändern."