Mario Dobovisek: Politiker gehen gerne schon mal in Deckung, wenn Kabarettisten und Satiriker sie aufs Korn nehmen – mal verärgert, mal doch irgendwie über sich selbst lachend. In der Münchener Lach- und Schießgesellschaft, im Scheibenwischer und auf Hunderten anderer Bühnen, jahrzehntelang hielt Dieter Hildebrandt den Politikern einen Spiegel vor. Gestern ist er im Alter von 86 Jahren gestorben.
Dobovisek: Dieter Hildebrandt auf der Bühne in seinem Element, und aus seiner Deckung wagt sich nun jemand, der die Rente einst für sicher erklärte und damit den kabarettistischen Spott auf sich lenkte, auch den Spott eines Dieter Hildebrandts im übrigen. Guten Morgen, Herr Blüm!
Norbert Blüm: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Wie verletzend kann politisches Kabarett denn sein, Norbert Blüm?
"Politiker, die nicht lachen können, bei denen hat das Volk nichts zu lachen"
Blüm: Ich würde zunächst mal ganz generell sagen: Politiker, die nicht lachen können, bei denen hat das Volk nichts zu lachen. Insofern: Komischerweise die großen Diktatoren konnten alle nicht lachen. Man muss auch Distanz zu sich haben und insofern halte ich Satire auch für eine politische Medizin, die unsere Wichtigkeit relativiert. Aber dass man sich dabei ärgern darf, finde ich auch normal. Ich ärgere mich beispielsweise, wenn Sie den Satz "Die Rente ist sicher" für einen kabarettistischen Einfall halten. Das ist Gott sei dank wahr und sie ist immer noch sicherer wie jede Privatversicherung. Wollen wir so weitermachen? – Aber trotzdem bin ich dafür, dass mit der Ironie und der Satire auch gekämpft wird. Die Wahrheit mit Lachen sagen, das haben schon die alten Römer gewusst, das ist verträglicher.
Dobovisek: Ich hatte ja auch nur gesagt, dass das den kabarettistischen Spott auf sich zog. Aber lassen wir das mal, Herr Blüm.
Blüm: Sie sehen: ich habe es ja überlebt!
Dobovisek: Genau, Sie haben es überlebt. Aber erinnern Sie sich tatsächlich möglicherweise an eine Pointe von Dieter Hildebrandt, über die Sie sich ein bisschen geärgert haben?
Blüm: Geschmunzelt habe ich, als er mich zum sozialen Bonsai erklärt hat. Das fand ich ja ganz liebenswert, denn ich finde diese kleinen Bäumchen sehr attraktiv. Und hütet euch: unterschätzt die Kleinen nicht. David war auch klein. Die Ameisen haben überlebt, nicht die Dinosaurier. Also insofern: über Kleinheit kann ich nur lächeln.
Dobovisek: Von Kleinheit zur Größe. Was bedeutet Ihnen die Arbeit Dieter Hildebrandts?
"Sein Erfolg, bei Hildebrandt ganz sichtbar, war das Überraschende"
Blüm: Ich glaube, dass er ganz wichtig war, weil er ein antiautoritäres Element gestärkt hat, und der Witz ist antiautoritär. Sein Erfolg, bei Hildebrandt ganz sichtbar, war das Überraschende. Wir Politiker sind gewohnt, immer das zu sagen, was bekannt ist, und vielleicht liegt in der Wiederholung auch eine Art von Durchsetzungsmöglichkeit. Ich habe nie eine Pointe von Hildebrandt gehört, die auf der Bartwickelmaschine lag. Es war immer ganz neu. Und was ich besonders geschätzt habe, dass er seine "Wahrheiten" so nebenbei, so am Satzende hingenuschelt hat, nicht so mit dem Hammer und nicht pathetisch, sondern mehr fast aus Versehen. Das hat die Zuhörer gezwungen, gut zuzuhören, und vielleicht ist das auch eine Übung für Nachdenklichkeit.
Dobovisek: Ist das vielleicht auch der Unterschied zwischen Dieter Hildebrandt und der Standup-Comedy, wie es ja heute so schön heißt, und der „Heute-Show“ zum Beispiel, die heute den Markt dominieren?
Blüm: Ach, die finde ich auch ganz gut, aber die ist viel lauter und viel direkter. Bei Hildebrandt hast du manchmal eine Gebrauchsanweisung gebraucht oder etwas Nachdenken. Gebrauchsanweisung ziehe ich zurück. Jedenfalls ist es nicht immer so als Blitz der Erkenntnis gekommen, sondern manchmal hast du erst mit Spätzündung erkannt, welche Gemeinheit er gerade untergebracht hat. Das finde ich eigentlich das spielerische Schöne und pädagogisch Wichtige. – Sehen Sie, jetzt rede ich auch schon wie ein Politiker.
Dobovisek: Sie sind ja auch einer!
Blüm: Ja, und ich bekenne mich.
Dobovisek: Sie sind aber auch Kabarettist. Das haben Sie zumindest gemacht. Nach Ihrer aktiven Zeit als Politiker sind Sie unter anderem mit Peter Sodann unterwegs gewesen und haben auch selber gemerkt, wie schwer das sein kann.
Blüm: Ja, ja.
Dobovisek: Wie schwer ist es denn?
Blüm: Die Kabarettisten haben immer gesagt, ich wäre ein guter Politiker, und die Politiker haben gesagt, ich wäre ein guter Kabarettist.
Dobovisek: Ist das gut oder schlecht?
"Wenn ein Politiker einen Fehler macht, dann leiden da Zehntausende dran"
Blüm: Nein, es ist eine ganz andere Welt. Und ich habe gerne das Abenteuer, etwas zu machen, was ich gar nicht kann, jedenfalls auszuprobieren. Aber es ist eine ganz andere Welt. Der Kabarettist kann viel mehr experimentieren und spielerischer sein. In der Politik – bleiben wir bei der Rente – geht es um ganz todernste Sachen, um existenzielle Sachen. Wenn der Kabarettist einen Kalauer verpasst, na gut, dann gähnen die Leute. Wenn ein Politiker einen Fehler macht, dann leiden da Zehntausende dran. Insofern sind die existenziellen Folgen anders, was nicht heißt, dass das Kabarett nicht wichtig wäre für die politische Kultur. Das sieht man ja daran, dass alle Diktaturen das Kabarett nicht gerne haben.
Dobovisek: Was können denn demokratische Politiker vom Kabarett lernen?
Blüm: Den ideologischen Schaum vom Mund zu nehmen, dass wir nie so die endgültigen Lösungen haben, dass so wie ich im Kabarett Pointen ausprobiere, dass Politik auch ein Experiment ist, zwar mit großem, ich sagte ja, existenziellem Ernst, aber dass wir nicht die letzten Wahrheiten verkünden. Diesen Anspruch hat das Kabarett nie gehabt und die Politik sollte auch die ideologischen Festigkeiten etwas auflockern.
Dobovisek: Sehen Sie gerade in Bezug auf das eine Lücke, die Dieter Hildebrandt hinterlässt, die auch nicht so schnell geschlossen werden kann?
Blüm: Ja. Das ist ja das, was ihn so wertvoll macht, dass er einmalig ist. Aber das Schicksal teilt er hoffentlich mit vielen Menschen. Aber er hat etwas eingebracht, was es so nicht mehr gibt. Das war nicht Konfektionsware, sondern er war der maßgeschneiderte, von sich selbst maßgeschneiderte Hildebrandt.
Dobovisek: Was würde der Kabarettist Norbert Blüm, ausdrücklich nicht der Politiker, über die Koalitionsverhandlungen sagen?
Blüm: Ich meine, die Zahl der Verhandler nähert sich einer Massenkundgebung, und damit ist es etwas schwerer, Kompromisse zu finden.
Dobovisek: Norbert Blüm, der frühere CDU-Arbeitsminister und seine Würdigung des Kabarettisten Dieter Hildebrandt. Ich danke Ihnen, Herr Blüm. Einen schönen Tag noch.
Blüm: Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag.
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