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Politisches Provisorium

Ratlosigkeit in Belgien: Wieder ist die Regierungsbildung gescheitert. Die beiden ungleichen Gewinner der Parlamentswahl konnten sich nicht einigen. Die hochrangigen Vermittler konnten daran nichts ändern und gaben auf. Nun liegt der Ball beim belgischen König.

Von Doris Simon |
    Es gab keinen lauten Aufschrei, eher ein allgemeines stummes Entsetzen. Nach 113 Tagen sind die Verhandlungen für eine Regierungsbildung endgültig gescheitert. Diese Geschichte ist vorbei, das waren die Worte, mit denen Bart de Wever, der Vorsitzende der nach der Unabhängigkeit Flanderns strebenden Neuen Flämischen Allianz, die allerletzten Hoffnungen im Land beseitigte. Und damit es auch der letzte französischsprachige Belgier versteht, sagte der radikale Flame es auch in der Sprache des anderen Landesteils:

    "Fangen wir wieder von vorne an. Hören wir auf, uns im Kreise zu drehen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Und wenn man mir dafür den Schwarzen Peter zuschieben will, dann soll man das halt tun. Ich mache bei diesem kindischen Spiel nicht mit."

    Viereinhalb Monate nach den belgischen Wahlen am 13. Juni ist man wieder zurück auf null. Dabei schien mit den charismatischen Wahlsiegern Bart de Wever in Flandern und dem französischsprachigen Sozialisten Elio di Rupo in der Wallonie und Brüssel eine Regierungsbildung durchaus möglich: mit Di Rupo als Regierungschef und dem Flamen de Wever als mächtigem Strippenzieher im Hintergrund. Sieben Parteien von den französischsprachigen Grünen bis zu den flämischen Separatisten waren bereit, die Staatsstrukturen Belgiens zugunsten der Regionen Flandern, Wallonie und Brüssel zu verändern.

    In wochenlangen Beratungen war selbst eine Lösung für den jahrzehntealten Konflikt um den letzten gemischtsprachigen Wahlkreis des Landes und die Rechte französischsprachiger Belgier im flämischen Umland in Reichweite. Doch dann brach Bart de Wever die Gespräche über die Finanzierung der chronisch knappgehaltenen Hauptstadtregion Brüssel ab. Weil die flämischen Separatisten nie ernsthaft eine funktionsfähige belgische Regierung gewollt hätten, sagten danach manche, andere vermuteten, de Wever habe bei der eigenen Gefolgschaft nicht zu nachgiebig wirken wollen, wieder andere verweisen darauf, dass de Wevers rechte radikalflämische Partei in einer Koalition der Mitte-Links-Parteien an den Rand gedrängt worden wäre. Jemand musste den Stecker ziehen, so lautete die Begründung von de Wever selber: Fortschritte mit den französischsprachigen habe es nur im Gartenzwerg-Format gegeben.

    "Dieses Land braucht eine Reform und wir müssen unsere Bemühungen fortsetzen, damit sie auch wirklich kommt. Die NVA flüchtet nicht vor der Verantwortung. Deshalb will die NVA nicht Opfer der alten belgischen Krankheit werden und sich mit einem schlechten Kompromiss abfinden, nur um überhaupt eine Vereinbarung zu haben."

    Nach der einseitigen Aufkündigung der belgischen Regierungsgespräche kam die schärfste Kritik von den französischsprachigen Sozialisten - sicher auch, weil die PS zu den weitestgehenden Zugeständnissen an die flämische Seite bereit gewesen war. Die stellvertretende Premierministerin und PS-Spitzenfrau Laurette Onckelinckx warf Bart de Wever mangelndes staatsbürgerliches Pflichtgefühl vor:

    "Hier hat die NVA ihre ganze Verantwortungslosigkeit bei Verhandlungen unter Beweis gestellt. Man hat den Eindruck, diese Partei versucht ständig zu demonstrieren, dass Belgien nicht mehr zu regieren ist."

    Yves Leterme, Premierminister der geschäftsführenden belgischen Regierung, war auf dem EU-Asien-Gipfel, als ihn die Nachricht vom Ende der Regierungsbildung erreichte. Leterme wird nun wohl noch deutlich länger im Amt bleiben, es dürfte ihm gefallen. Immer wieder betont der flämische Christdemokrat, seine geschäftsführende Regierung leiste ganze Arbeit, etwa derzeit im Vorsitz der Europäischen Union. Doch entscheidende Vorhaben darf sie nicht anpacken: Dazu gehört die Aufstellung des anstehenden Staatshaushaltes ebenso wie die Renten- und die Justizreform. Damit Belgien nicht komplett zum Stillstand kommt, wird die Übergangsregierung auf die NVA eingehen müssen: Wenn sie wie letzte Woche Gesetzesvorschläge ins belgische Parlament einbringt, wird sie regelmäßig auf die Stimmen der flämischen Radikalen angewiesen sein. Für Arbeitsministerin Milquet, die als Unterhändlerin ihrer Mitte-Partei auch bei den Regierungsverhandlungen dabei war, eine unhaltbare Situation:

    "Da wird das ganze Land als Geisel genommen: der Bürger und die Parteien, die den Sprung ins kalte Wasser gewagt haben, um mit einer Regierung Belgien aus der Krise herauszuführen. Diese einseitige Entscheidung hat die NVA ohne jede Rücksprache getroffen. Anstatt Verantwortung und Führung im Sinne der Bürger zu übernehmen, entscheidet sie sich für Stillstand und Chaos."