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Politisches Vakuum

Mit dem Tod von Nestor Kirchner hat die argentinische Präsidentin nicht nur ihren Mann und politischen Verbündeten verloren. Auch der Peronistischen Partei fehlt nun der führende Kopf.

Von Victoria Eglau |
    In der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, vor zehn Tagen. Wenige Stunden nach dem Tod von Nestor Kirchner versammeln sich Zehntausende von Regierungsanhängern vor dem Präsidentenpalast. Gracias Nestor - Fuerza Cristina ist auf Plakaten zu lesen: Danke Nestor - sei stark, Cristina. Eine Demonstration der Trauer um den peronistischen Ex-Präsidenten, und ein klares Signal der Unterstützung für seine Witwe, Amtsinhaberin Cristina Fernandez de Kirchner.

    Cristina wird die Kraft irgendwo hernehmen. Den Peronismus kann man knicken, aber nicht zerbrechen – versichert ein junger Mann. Wenige Tage später, am vergangenen Montag, wendet sich Präsidentin Kirchner in einer kurzen Fernsehansprache an die Argentinier:

    "Ich habe meinen Gefährten der letzten 35 Jahre verloren, mit dem ich mein Leben, meinen Kampf und meine Ideale geteilt habe. Ich habe immer ein großes Verantwortungsbewusstsein verspürt, in allen meinen politischen Funktionen und besonders jetzt als Präsidentin. Ich fühle, das von mir das Schicksal der Argentinier abhängt. Aber nun ist eine weitere große Verantwortung hinzugekommen: die Erinnerung an Nestor zu ehren, und an seine Regierung, die unser Land verändert hat."

    Die Worte der Präsidentin, die ihrem Mann 2007 im Amt gefolgt war, überraschten kaum. Cristina Kirchner hat bisher die Politik ihres Mannes fortgeführt, sich wie er die Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben, Distanz zum Weltwährungsfonds gehalten, gute Beziehungen zu Venezuelas Präsident Chavez gepflegt, mit Landwirten, Medienkonzernen und der Kirche gestritten. Nestor Kirchner bekleidete in den letzten Jahren zwar kein Amt, aber er galt als politischer Chef und Strippenzieher der Regierung. Stets war vom Präsidenten-Ehepaar die Rede. Auch leitete Kirchner die PJ, die Peronistische Partei. Ein Machtvakuum befürchtet in Argentinien kaum jemand – angesichts der Entschlossenheit und des Arbeitseifers, den die Präsidentin in den vergangenen Tagen demonstrierte. Viele fragen sich allerdings, wer das politische Vakuum ausfüllen wird, das Nestor Kirchner hinterlässt. Marcos Novaro, Direktor des Zentrums für Politikforschung CIPOL in Buenos Aires:

    "Nestor Kirchner hielt eine sehr heterogene Regierungskoalition zusammen, die von der extremen Linken bis hin zu einer ziemlich rechten, dem traditionellen Peronismus nahestehenden Gewerkschaftsbewegung reicht. Dieser Koalition gehören auch höchst unterschiedliche peronistische Lokalfürsten an - manche sehr traditionalistisch, andere sehr pragmatisch. Sie alle wollen nun das politische Vakuum besetzen. Man wird sehen, ob Cristina Kirchner flexibel und geschickt genug ist, um sich in diesem komplexen Gefüge zu bewegen."

    Minister und Parlamentarier des sogenannten Kirchnerismus haben in den vergangenen Tagen immer wieder den Führungsanspruch der Präsidentin betont. Nestor Kirchner war noch nicht beerdigt, da sprach Argentiniens Außenminister Hector Timerman bereits von einer erneuten Kandidatur Cristinas bei den Präsidentschaftswahlen in elf Monaten. Daniel Filmus, Senator des Regierungsbündnisses, im privaten Fernsehsender TN, war in der Frage zurückhaltender:

    "Das muss sie selbst entscheiden. Der Schmerz über Nestors Tod ist ja noch ganz frisch. Aber es steht fest, dass Cristina Kirchner nicht nur die Fähigkeit hat, das Land zu führen - das hat sie bereits bewiesen – sondern auch die peronistische Bewegung."

    Die Bewegung, die auf den ehemaligen Präsidenten Juan Domingo Perón zurückgeht, war schon immer ein Sammelbecken verschiedenster politischer Kräfte. 2002, nach dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch Argentiniens, zerfiel der Peronismus in mehrere Lager. Zwei davon schmiedeten im Wahlkampf des darauffolgenden Jahres eine Allianz, angeführt von Übergangspräsident Eduardo Duhalde und dem bis dahin wenig bekannten Nestor Kirchner. Mit Duhaldes Unterstützung schaffte Kirchner es an die Staatsspitze. Ihm wird das Verdienst zugeschrieben, dem Präsidentenamt nach der Krise wieder Autorität verliehen zu haben, aber er galt auch als aggressiv und polarisierend. Nach zwei Jahren zerbrach das Bündnis mit Duhalde, bis heute ist ein Teil des Peronismus in der Opposition. Seit Nestor Kirchners Tod wird nun über eine mögliche Wiedervereinigung spekuliert – Politikforscher Navaro glaubt nicht daran:

    "Mir scheint, dass Präsidentin Kirchner kein Interesse daran hat, die abtrünnigen Peronisten wieder ins Boot zu holen. Und ich glaube, diese halten sich auch nicht für wiedereinglieder-bar. Eine Versöhnung ist unwahrscheinlich."

    Der oppositionelle sogenannte Bundes-Peronismus bekräftigte vor wenigen Tagen seine Absicht, 2011 mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten anzutreten. Senator Juan Carlos Romero, einer der Bundes-Peronisten:

    "Unser politisches Projekt war nicht gegen Nestor Kirchner persönlich gerichtet, sondern wir wollten eine andere Politik machen als er, und bei den Menschen die Hoffnung auf ein anderes Argentinien wecken. An diesem Ziel wird sich nichts ändern."

    Zu den Hauptkritikpunkten der peronistischen und nicht-peronistischen Opposition gehören der beliebige Umgang der Regierung mit Staatsgeldern, die Schönung offizieller Inflations- oder Armuts-Zahlen, die Korruption und wachsende Kriminalität. Gefordert werden eine Reform des mächtigen, regierungsnahen Gewerkschaftsapparates und ein besseres Investitionsklima. Wenn Argentiniens Präsidentin in den kommenden Monaten eine ideologische, unflexible Politik führe und Konflikte vertiefe, könne das auch ihrer Position im Regierungslager schaden, meint Politikforscher Marcos Navaro – Cristina Kirchner könnte an Unterstützung verlieren.

    "Es war sicher kein Zufall, dass sie von Venezuelas sozialistischem Präsidenten Hugo Chavez begleitet wurde, als sie zur Beerdigung ihres Mannes flog. Das war eine demonstrative Geste. Wenn die Präsidentin diesen Weg wählt, könnte ihre Bewegung in die Krise geraten, und weitere Peronisten könnten zu Dissidenten werden."