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Politologe befürchtet gesellschaftliche Entfremdung der Bundeswehr

Mit dem Ende der Wehrpflicht könnte die Bundeswehr künftig aus dem Bewusstsein der Gesellschaft verschwinden, meint Carlo Masala von der Bundes-Uni München. Auch der Willen, dem Allgemeinwohl über Wehrpflicht und Zivildienst zu dienen, werde extrem abgeschwächt.

Carlo Masala im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Tobias Armbrüster: Es war eine Reform im Schnelldurchgang, die wir da in den vergangenen Monaten erlebt haben: die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland nach mehr als einem halben Jahrhundert. Eingezogen wird schon seit Monaten kein junger Mann mehr. Am heutigen Freitag, an diesem 1. Juli, endet die Wehrpflicht nun ganz offiziell. In unserer Spätsendung gestern Abend haben wir über das Ende des Wehrdienstes mit Carlo Masala gesprochen, er ist Politikwissenschaftler an der Bundeswehrhochschule München. Mein Kollege Jürgen Zurheide hat ihn gefragt, was sich nun ändern wird am Verhältnis zwischen Streitkräften und Gesellschaft.

    Carlo Masala: Über die Wehrpflicht, aber auch spiegelbildlich natürlich dazu über den Zivildienst war die Bundeswehr in die Gesellschaft eingebettet – in dem Sinne, dass viele Familien die Bundeswehr zumindest für einen gewissen Zeitraum als einen tagtäglichen Erfahrungshorizont hatten, weil einer der Söhne Wehrpflicht gemacht hat beziehungsweise einer der Söhne vor der Überlegung stand, ob er Wehrpflicht machen soll oder Zivildienst leisten soll. Das fällt zukünftig in großem Maße weg, es wird noch für einige Freiwillige gelten, aber diese Einbindung, die die Bundeswehr in der deutschen Gesellschaft über die allgemeine Wehrpflicht hatte, die in der Tat in den 90er-Jahren immer stärker abgenommen hat, aber die hört natürlich auf, zu existieren.

    Jürgen Zurheide: Die Frage ist: Was hat das für Konsequenzen? Die Distanz wird größer, mit welchem Resultat?

    Masala: Also zunächst einmal muss die Distanz nicht größer werden, wenn seitens der Politik (Bundesverteidigungsministerium, aber auch andere Institutionen) dafür gesorgt wird, dass die Bundeswehr in der Gesellschaft präsent bleibt. Hier muss man sehr kreativ sein über die nächsten Jahre, um der deutschen Gesellschaft immer wieder vorzuführen, dass es Streitkräfte gibt, die im deutschen Interesse dienen und die die deutsche Gesellschaft gegebenenfalls verteidigen. Das ist eine Frage, die es jetzt im Bundesverteidigungsministerium und in anderen Institutionen zu beantworten gilt, wie man das hinbekommen kann. Sollte das nicht der Fall sein, dann gibt es meines Erachtens natürlich zwei Probleme. Das eine ist: die Bundeswehr als Institution, als gesellschaftliche Institution, nicht als Instrument der Politik, aber als gesellschaftliche Institution, die rückt außerhalb der Standorte, wo sie noch sein wird, komplett aus dem Bewusstsein der deutschen Gesellschaft raus. Und das Zweite ist – und das hat was natürlich mit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und damit auch des Wegfalls des Zivildienstes zu tun -, dieses Bewusstsein bei jungen Menschen, dass diese Gesellschaft ihnen viele Möglichkeiten eröffnet, dass es aber auch Phasen in ihrem Leben gibt, in denen sie der Gesellschaft etwas zurückgeben müssen, nämlich über den Wehrdienst beziehungsweise dann auch alternativ über den Zivildienst, das wird natürlich komplett aus dem Bewusstsein mehrerer Generationen rausfallen, und damit wird dieses Konzept, dass der Mensch in einer Gesellschaft nicht nur von der Gesellschaft bekommt, sondern auch zu dem Allgemeinwohl beitragen muss, extrem abgeschwächt werden.

    Zurheide: Wenn man dann ins Ausland schaut, wenn man sich die amerikanischen Streitkräfte anschaut, dann hat man eben schon den Eindruck, gerade in den unteren Mannschaftsbereichen, da hat man nicht unbedingt mehr den Querschnitt der Bevölkerung. Also wie attraktiv muss das sein auch ökonomisch? Da haben wir ja diskutiert und sind noch nicht am Ende der Veranstaltung, weil man sagt, es könnte deutlich attraktiver werden, als es im Moment ist, oder?

    Masala: Es muss deutlich attraktiver werden in ganz, ganz vielen Bereichen. Das hat aber nicht nur was mit der Bezahlung zu tun, das hat dann auch was mit sozusagen der Art und Weise, wie dieser Beruf ausgeübt wird, und dann die natürlichen Bedürfnisse von jungen Menschen mit Blick auf Familie, Kinder und so weiter zu tun. Ich würde das Bild der amerikanischen Streitkräfte zum Beispiel aber nicht so negativ zeichnen, wie es einige Leute tun. Man darf nicht vergessen: natürlich, in den USA gehen nur bestimmte Schichten in die Streitkräfte. Aber die ermöglichen – und das hat die Bundeswehr früher auch getan und wird sie auch in Zukunft tun - einen sozialen Aufstieg, den diese Männer, aber auch Frauen ohne die US-Streitkräfte nie erlebt hätten. Das heißt, hier kann man Anreize schaffen. Hier kann man sagen, obwohl man sozusagen in der normalen Gesellschaft möglicherweise viel, viel mehr zu kämpfen hätte, um einen sozialen Aufstieg zu schaffen, die Bundeswehr bietet die Möglichkeit. Und deswegen würde ich die amerikanischen Streitkräfte in der Beziehung nicht zu gering schätzen. Es ist eine riesige Integrationsmaschinerie, die Menschen in die Mitte der Gesellschaft rückt, die eigentlich außerhalb der Streitkräfte marginalisiert wären.

    Zurheide: Gerade wo Sie das ansprechen, habe ich ein Bild aus einem Film von Michael Moore, zugegeben polemisch, wie er das immer macht, vor Augen, wo er in Washington die Kongressabgeordneten fragt, wie ist denn das, haben sie ihre Kinder in die Armee geschickt, und wir beide kennen die Antwort: Nein, hatten sie natürlich nicht. Was müssen die Eliten tun, um auch so eine Armee wirklich mitten in der Bevölkerung, im Volk zu halten?

    Masala: Sie müssen zu ihr stehen und sie müssen ihren Wählern in den Wahlkreisen, wie gesagt, die Funktion und die Notwendigkeit einer solchen Armee und die gesellschaftliche Unterstützung für eine solche Armee immer wieder ins Gedächtnis rufen und dafür werben. Das ist eine Notwendigkeit, dann wird die Bundeswehr auch nicht sozusagen außerhalb der Gesellschaft stehen, oder in der Gesellschaft marginalisiert werden, dann bleibt sie zentraler Bestandteil dieser Gesellschaft.

    Armbrüster: Carlo Masala war das, Politikwissenschaftler an der Bundeswehrhochschule München, im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Zurheide gestern Abend.

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