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Politologe: Der US-Präsident ist fast handlungsunfähig

Die Amerikaner wählen kommende Woche den mächtigsten Mann der Welt. Oder doch nicht? Faktisch ist die Macht des US-Präsidenten stark eingeschränkt, sagt der Politikwissenschaftler Josef Braml. Diese Handlungsunfähigkeit könne auch für Deutschland zum Problem werden.

Josef Braml im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Der parteilose New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg hat zur Wiederwahl von Präsident Barack Obama aufgerufen. Der Amtsinhaber würde im Kampf gegen den Klimawandel eine Führungsrolle übernehmen, erklärte der ehemalige Republikaner. Dies sei nach den Verwüstungen durch Sturm Sandy eine besonders wichtige Aufgabe für den neuen Präsidenten. Nach Sandy widmen sich beide Kandidaten nun wieder dem Wahlkampf, wobei die Folgen des Sturms noch lange zu spüren sein werden.

    Wir werden Sie übrigens rund um die Uhr informieren am entscheidenden Mittwoch, ab ein Uhr in der Nacht. Wir werden zu unseren Korrespondenten schalten in den USA, aus Berlin berichten von der Wahlparty der US-Botschaft, Interviews, Analysen, Reportagen und nicht zu vergessen unser Blog unter dradio.de rund um das Thema der kommenden Woche, oder besser gesagt das eine wichtige außenpolitische Thema, denn auch in China wird die künftige Führung bestimmt in der kommenden Woche.

    In Berlin sind wir mit Josef Braml verbunden, dem USA-Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Morgen!

    Josef Braml: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Braml, bleiben wir ruhig dabei. Welches Ereignis ist für Sie wichtiger, der Volkskongress in Peking oder die Präsidentschaftswahlen in den USA?

    Braml: Wenn man die deutschen Medien verfolgt, denke ich, ist es klar. Das ist die Lage in den USA. Aber ich denke, wir müssen auf beide Machtzentren sehen, um einschätzen zu können, wie sich die künftige Wirtschaft und auch vielleicht der Weltfrieden entwickeln werden.

    Heinemann: Sie haben in diesem Herbst ein Buch vorgelegt mit dem Titel "Der amerikanische Patient". Was spüren Sie, wenn Sie der Supermacht den Puls fühlen?

    Braml: Dass diese massiven sozio-ökonomischen Probleme, diese Strukturprobleme, die bereits vor dem Hurrikan Sandy bestanden haben, derart auf die Wirtschaft und damit auch dann auf das politische System wiegen, dass diese Politik fast schon handlungsunfähig ist.

    Heinemann: Heißt das, ganz egal wer jetzt die Wahl gewinnt?

    Braml: Das würde ich so sehen. Ich denke, wir sollten uns nicht allzu sehr auf diese zwei Personen fokussieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass am 6. November auch der Kongress, das heißt ein Drittel des hundertköpfigen Senats, und 435 Abgeordnete wiedergewählt oder eben nicht wiedergewählt werden. Und man kann davon ausgehen, dass mindestens eine Kammer der Legislative auch den nächsten Präsidenten blockieren wird.

    Heinemann: Was genau macht diese Schwäche der USA aus?

    Braml: Das politische System neigt ohnehin zur Blockade. Positiv gewendet kann man das als Kontrolle sehen. Das ist ein Instrument der Machtkontrolle. Aber dieses System der konkurrierenden, sich gegenseitig kontrollierenden politischen Gewalten ist mittlerweile zu einem System der sich blockierenden Gewalten geworden, und das in einer Zeit, in der Amerika innen- wie außenpolitisch handlungsfähig sein müsste.

    Heinemann: Das heißt, der Präsident kann dann Entscheidungen treffen, aber er kann nicht durchregieren, sagen wir so?

    Braml: Das ist das Wort: er kann nicht durchregieren. Er hat keine Fraktionsdisziplin, keine Parteidisziplin. Selbst wenn er in der anderen politischen Gewalt, im Kongress, die seinen wähnte, würden die ihm nicht automatisch folgen. Wir haben hier nicht ein System wie in Deutschland, und das muss man verstehen, vor allem, wenn es um viele Politikbereiche geht, die uns betreffen. Nehmen Sie die Energiepolitik, Umweltpolitik, aber vor allem auch die Handelspolitik. Hier wird auch der nächste Präsident massiv eingeschränkt sein in seiner Handlungsfähigkeit. Das ist aber zu trennen vom sicherheitspolitischen Bereich. In diesem Bereich funktioniert die Gewaltenkontrolle immer nur sehr mäßig. Hier kann der amerikanische Präsident sehr viel machen, hier ist er wirklich der mächtigste Mann der Welt.

    Heinemann: Herr Braml, manchmal wird ja aus deutscher Sicht oder aus europäischer Sicht geradezu lustvoll auf die Schwäche der Vereinigten Staaten hingewiesen. Aber wenn man mal genau hinguckt: Microsoft, Apple, Google, Amazon, die Unternehmen, die die Gehirne dieser Welt formatieren, sind alle US-amerikanische. Also verdeckt die mögliche Schwäche des politischen Staates oder des administrativen Staates nicht die fortbestehende Stärke der Ideenschmiede USA?

    Braml: Ich denke, dass das, was wir immer so sehen an Glanzpunkten, auch dann in einem anderen Licht gesehen werden muss. Erinnern Sie sich an die letzte Blase, die geplatzt ist, oder die vorletzte, muss man mittlerweile sagen, die Dotcom-Blase um die Milleniumswende. Hier ist vieles, was in diesem Internet-Bereich glänzte, dann weggebrochen. Ich würde auch dieses Mal davor warnen. Man kann wieder eine Entwicklung sehen, dass dieses viele Geld, das die Notenbank produziert, dann in diese Bereiche reingeht und hier sehr viele Blasen stattfinden. Aber diese Grundannahme, dass sich viele hier freuen, dass es Amerika nicht so gut geht, vor der warne ich, weil ich denke, dass diese eingeschränkte Handlungsfähigkeit dann auch uns betreffen wird. Amerika wird Lasten, die es selbst nicht mehr tragen kann, dann auf uns abwälzen, egal wer der nächste Präsident werden wird.

    Heinemann: Bleiben wir doch in der Innenpolitik. Welche Rolle spielt bei dieser Wahl der Abstand zwischen Reich und Arm und der Schicht in der Mitte?

    Braml: Der spielt eine sehr große Rolle. Beide Kandidaten verkörpern ja das jeweils andere Lager. Wir können davon ausgehen, dass Romney wahrscheinlich zehn Punkte Vorsprung haben wird bei weißen Wählern – hier nicht bei allen, aber vor allem bei denen, denen es besser geht. Obama, wenn er wiedergewählt werden sollte, wird sich wieder auf die fast absolute Mehrheit der schwarzen Wähler stützen müssen und vor allem auf die mittlerweile größte Minderheit, das sind die Latinos.

    Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Drittel der schwarzen Bevölkerung und ein Drittel der Latinos unterhalb der Armutsgrenze leben, dass sie ihre Kinder nicht mehr richtig ernähren können, und hier war Obama gut beraten, eben ein sozial fürsorgliches Programm zu fahren und eben dann auch seinen Gegner als radikalen Sozialabbauer zu stigmatisieren. Aber das fiel ihm ja nicht schwer, da haben ihm Romney und Paul Ryan die Arbeit sehr leicht gemacht.

    Heinemann: Arbeitslosigkeit oder Armut haben bisher nie zu Aufständen geführt, weil es ja den amerikanischen Traum gab. Nun hat ein ehemaliger Reporter der "New York Times", Hedrick Smith, ein Buch geschrieben: "Wer hat den amerikanischen Traum gestohlen?" Und er sagt, Reichtum entsteht heute nur noch aus Reichtum. Das heißt, dieser Fahrstuhl vom Tellerwäscher zum Millionär, der funktioniert nicht mehr. Was folgt daraus für die Gesellschaft, für die Identität?

    Braml: Wenn man sich das ganze mit den soziologischen Analysen von Bourdieu ansieht, der Frankreich dementsprechend analysiert hat, dann könnte man von einer sozialen Reproduktion sprechen, dass diejenigen, die reiche Eltern haben, die bessere Chancen haben, dann auch bessere Möglichkeiten haben, ihre Einkommen zu verdienen. Das ist ein Problem, aber auch, was die Generationengerechtigkeit angeht, fürchten viele, dass es der nächsten Generation nicht mehr so gut gehen wird wie einem selber. Dieser Teil des amerikanischen Traums ist ausgeträumt.

    Und noch wichtiger: Man hatte ja auch von einer Eigentümergesellschaft geträumt, dass jeder sich ein Haus leisten sollte. Das hat man staatlich gefördert. Hier haben sehr viele dran verdient, das hat vor allem auch diese Immobilienblase genährt. Diese Immobilienblase hat dazu beigetragen, dass zwei Drittel bis drei Viertel des amerikanischen Konsums getragen wurden, indem Häuser gebaut wurden, Häuser eingerichtet wurden und Häuser immer wieder als Geldmaschinen missbraucht wurden, indem sie beliehen, noch mal beliehen und zum dritten Mal beliehen wurden, und das hat sein Ende gefunden mit dem Platzen der Immobilienblase, die sich dann auch auf das Finanzsystem und das weltweite Wirtschaftssystem ausgewirkt haben.

    Dieser Traum ist ausgeträumt, Amerika muss sich ein anderes Konsummodell überlegen, und auch Länder, die Amerika massiv finanziert haben bis dato. Das sind vor allem auch die asiatischen Volkswirtschaften. Japan und China müssen sich überlegen, ob ihre Währungsreserven in Amerika wirklich noch so sicher angelegt sind.

    Heinemann: Stichwort China. Die USA zeigen ja im Pazifik jetzt militärisch stärker Flagge. Wird das Klima zwischen Peking und Washington rauer?

    Braml: Man darf hier nicht alles auf die Goldwaage legen, was Sie zumal im Wahlkampf hören. Wenn ich Mitt Romney höre, der hier eine sehr radikale Gangart gegenüber China empfiehlt, dann müsste man ihn eigentlich fragen, wie oft wollen Sie Ihren Bankern vors Schienbein hauen. Man muss sehen, dass diese beiden Länder massiv voneinander abhängig sind. Es gibt gleichwohl eine Ressourcenkonkurrenz, es geht um knappe Ressourcen wie Öl und andere Bereiche, es geht um eine sich anbahnende militärische Konkurrenz. Aber wer sich die Lage wirtschaftspolitisch und vor allem auch handelspolitisch ansieht, muss sehen, dass diese beiden Länder massiv voneinander abhängig sind. Wenn es der einen Volkswirtschaft schlechter gehen sollte, dann hat auch die andere was davon und übrigens auch wir hier in Europa.

    Heinemann: Herr Braml, zum Schluss bitte kurze Antwort: Wird nach der Wahl ein Militärschlag gegen den Iran wahrscheinlicher?

    Braml: Ich würde das nicht ausschließen und ich denke, dass egal wer gewählt werden wird, man in Iran sehr vorsichtig sein soll. Wenn die Sicherheit Amerikas und auch Israels bedroht wären, dann muss man Amerika sehr ernst nehmen. Dann, denke ich, ist auch der nächste Präsident sehr handlungsfähig.

    Heinemann: Die Analyse von Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Braml: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann.

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