Christiane Kaess: Markus Kaim. Er forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zur Sicherheitspolitik. Guten Tag, Herr Kaim!
Markus Kaim: Guten Tag, Frau Kaess. Ich grüße Sie.
Kaess: Aus Ihrer Sicht ein guter Kompromiss, den Union und SPD da gestern Abend erzielt haben?
Kaim: Vor allen Dingen ein sachdienlich politischer Kompromiss, weil beide Seiten können darauf verweisen, dass sie etwas bekommen haben. Das ist im Vorbericht ja bereits angeklungen. Die CDU kann darauf verweisen, dass unter bestimmten Rahmenbedingungen europäische Gemeinschaftsprojekte weiter möglich sind mit deutschen Komponenten. Das war ja gerade der CDU in dieser Debatte besonders wichtig. Und die SPD kann darauf verweisen, dass sie, wie es immer hieß, den moralischen Kompass beibehalten hat, dass jetzt bis zum 30. September bilaterale, rein deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien weiter nicht möglich sein werden.
Kaess: Aber was heißt das in der Praxis? Schauen wir mal auf die Einzelheiten. Da gibt es neben diesem Stopp für deutsche Rüstungsgüter, den Sie gerade schon angesprochen haben, die Auflage, dass Rüstungsexporte mit deutscher Beteiligung nicht im Jemen-Krieg eingesetzt werden sollen. Wie realistisch ist das?
Kaim: Das halte ich für sehr unrealistisch. Da wird die politische Verantwortung für die Nutzung von Rüstungsgütern auf Dritte verlagert, nämlich auf die Partner innerhalb der Europäischen Union, allen voran die Franzosen und die Briten, auf die die Erwartung projiziert wird, dass sie sich dafür einsetzen würden, dass diese Rüstungsgüter nicht im Jemen-Krieg eingesetzt werden, und sie sollen auf Saudi-Arabien einwirken und Saudi-Arabien soll eine Art Selbstverpflichtung abgeben. So scheint mir die Erwartung zu sein. Beides scheint mir nicht realistisch zu sein.
"Gesteigertes Interesse von französischer Seite, in die Region zu exportieren"
Kaess: Die Franzosen und die Briten könnten das nicht sichern?
Kaim: Ob sie es nicht sichern können, sei dahingestellt. Es gibt aber zumindest keine Vorzeichen, dass sie dazu bereit sind, weil in den letzten Tagen hat sich ja der Druck - weniger aus London, aber vor allen Dingen aus Paris - sehr deutlich erhöht, dass man unzufrieden sei mit der deutschen Haltung, europäischen Rüstungsprodukten oder deren Export Steine in den Weg zu legen. Von daher, glaube ich, gibt es ein gesteigertes Interesse von französischer Seite, in die Region zu exportieren, und das unterstreicht das prinzipielle Auseinanderfallen von französischen und deutschen Kriterien für Rüstungsexporte rund um den Globus.
Kaess: Und Saudi-Arabien würden Sie da auch nicht vertrauen?
Kaim: Es geht nicht darum, wem ich vertraue, aber wir sehen, dass Saudi-Arabien – und da würde ich mich, glaube ich, ein bisschen von der positiven Einschätzung der CDU-Fraktion von gestern Abend unterscheiden – im Moment wenig konstruktive Schritte an den Tag legt, zu einer politischen Lösung im Jemen-Konflikt zu kommen. Nach allgemeinen Schätzungen werden 100 Kampfflugzeuge saudischer Provenienz im Jemen oder über dem Jemen eingesetzt. Ich sehe überhaupt keine Signale der Deeskalation. Von daher halte ich es für vermessen zu erwarten, dass die europäischen Hebel so weit reichen würden, dass man Saudi-Arabien zu einer Art Selbstverpflichtung bewegen könnte, europäische Rüstungsgüter nicht im Jemen-Krieg einzusetzen.
Kaess: Das heißt, in dem Moment, wo die Waffen raus sind, gibt es eigentlich keine Kontrolle mehr über sie?
Kaim: Je kleiner die Waffen sind, die das betrifft – darüber reden wir jetzt hier nicht. Gerade bei Kleinwaffen ist dieser Schluss absolut richtig. Maschinengewehre – wenn die einmal das Werk verlassen haben, bei dem Endverbleibspartner angekommen sind, ist deren Endverbleib so gut wie gar nicht mehr zu kontrollieren. Da gibt es vielfältige Beispiele, dass sie in die falschen Hände geraten sind, unkontrolliert weitergegeben worden sind. Das ist bei Großgerät nicht direkt der Fall. Aber es geht hier nicht darum, dass sie hier an Dritte weitergegeben werden, unkontrolliert, sondern es geht eher um die Frage, für welche Zwecke sie eingesetzt werden.
Kaess: Genau! Das ist die Frage! Denn neben dem Jemen-Krieg, für welche Zwecke könnte Saudi-Arabien Waffen, deutsche Waffen auch oder europäische Waffen einsetzen, die aus deutscher Sicht "politisch korrekt" wären?
Kaim: Diese Differenzierung wird aus deutscher Sicht ja gar nicht vorgenommen. Es geht ja weniger darum, dass bestimmte Stilarten von Waffen jetzt einer bestimmten Sanktionierung unterliegen, sondern es geht darum, ohne Wenn und Aber die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien beziehungsweise an diejenigen Allianzpartner, die auch noch im Jemen-Krieg beteiligt seien, vor allen Dingen die Vereinigten Arabischen Emirate, zu unterbinden. Eine Differenzierung in defensive oder offensive Waffen oder ihren jeweiligen Zweck wird ja gar nicht vorgenommen.
Kaess: Dann ist das, was die SPD jetzt betreibt mit ihrer Interpretation, sie habe sich durchgesetzt, Augenwischerei?
"Was ist denn am 1. Oktober, wenn diese Frist abgelaufen sein wird?"
Kaim: Sagen wir es mal so: Ich glaube, die Entscheidung und die grundsätzlichen Probleme sind ja nur vertagt worden. Wir können ja mal sechs Monate weitergehen. Was ist denn am 1. Oktober, wenn diese Frist abgelaufen sein wird? Dann stehen wir wahrscheinlich vor genau derselben Situation. Der Jemen-Krieg wird nach wie vor nicht beendet sein, die britischen und französischen Erwartungen an eine vertiefte europäische Rüstungskooperation werden genau die gleichen sein. Dementsprechend halte ich das eher für einen Formelkompromiss, der jetzt erzielt worden ist, der über die Europawahlen am 26. Mai hinausreichen wird, der beiden Seiten erlaubt, sich europapolitisch zu profilieren. Aber die grundsätzlichen Fragen deutscher Rüstungsexportpolitik, nämlich welche Rolle wollen wir mit europäischen Verbündeten in dieser Welt spielen, vor allen Dingen in der Region des arabisch-persischen Golfes, die bleiben weiter unbeantwortet.
Kaess: Und was würde da ein Embargo bringen, selbst wenn es jetzt ein europäisches Embargo geben würde? Dann würde Saudi-Arabien seine Waffen vermutlich einfach woanders kaufen?
Kaim: Davon ist auszugehen und es gilt hier in Erinnerung zu rufen, dass die erste Reise des amerikanischen Präsidenten Trump 2017 ihn nach Saudi-Arabien geführt hat und als eine der großen Errungenschaften dieses Besuches ein gewaltiges Verkaufsprogramm amerikanischer Rüstungsgüter an Saudi-Arabien präsentiert worden ist. Ich glaube, wir würden uns einer Illusion hingeben, wenn wir annehmen, dass die Nichtbelieferung mit deutschen/europäischen Rüstungsgütern Saudi-Arabien, wenn ich das so sagen darf, die Waffen aus der Hand schlagen würde und damit ein Beitrag zur Beilegung des Jemen-Konfliktes geliefert wäre.
Kaim: Schwierige Fragen und moralische Dilemmata
Kaess: Und ist es auch eine Fehleinschätzung, dass man sich über Rüstungskooperationen mit Saudi-Arabien auch politischen Einfluss sichern könnte auf das Regime und dann wiederum mögliche positive Auswirkungen auf seine Rolle im Jemen-Krieg nehmen könnte?
Kaim: Das ist eine These, die wird häufig vorgetragen. Ich bin an dieser Stelle etwas zurückhaltend. Tatsächlich müsste man ja noch mal sagen, welche Wirkung denn die Rüstungslieferungen wirklich politisch bedeuten würde. Nur weil man Rüstungsgüter liefert, gewinnt man ja keinen Hebel auf eine positive Gestaltung des Friedensprozesses im Jemen. Aber ich glaube, man müsste das viel breiter einbetten, nämlich weniger innenpolitisch argumentieren bei der Frage von Rüstungsexportpolitik, sondern tatsächlich eher das Ganze in einen strategischen Kontext einbetten, der ja dann Fragen beantworten müsste, nämlich welchen Stellenwert widmen wir oder weisen wir überhaupt dieser Region des arabisch-persischen Golfes für die globale Stabilität zu und welche Ordnungsvorstellung haben wir tatsächlich für unser Verhältnis zu Saudi-Arabien. Dann, glaube ich, kommt es zu ganz schwierigen Fragen und moralischen Dilemmata.
Kaess: … sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Kaim, danke für Ihre Einschätzung.
Kaim: Sehr gerne!
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