Selten waren die Popularität und damit auch die Umfragewerte für die Union höher als in Zeiten der Pandemie. Das Vertrauen einer Mehrheit in die Krisenmanagement-Qualitäten der Kanzlerin und ihrer Union schien unerschütterlich. Doch ausgerechnet in diesem Superwahljahr, wenige Tage vor den beiden wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, nagt die Masken-Affäre Nüßlein-Löbel am Renommee der Christdemokraten.
Es sei verheerend, wenn der Eindruck entstehe, Abgeordnete, die eigentlich dem gesamten Volke verpflichtet sind, zögen Profit aus einer Krisensituation, sagt der Publizist Albrecht von Lucke im Deutschlandfunk. Es gebe einen klaren Rahmen, innerhalb dessen sich Politiker bewegen dürfen, und in beiden Fällen sei dieser Rahmen offensichtlich weit überschritten worden, so von Lucke. Um Schaden von der Demokratie abzuwenden, müsse Georg Nüßlein sein Bundestagsmandat zurückgeben.
"Es ist ein Schaden, der dem gesamten parlamentarischen System angetan wird, denn die Politiker werden als Gesamtheit und nicht nur für eine Parteienfamilie habhaft gemacht". Denn diese Schädigung, die vor allem durch die CDU/CSU-Abgeordneten geschehe, führe nicht dazu, dass andere Politiker und Parteien eine Aufwertung erfahren, so von Lucke: "Es ist eine Beschädigung des gesamten politischen Systems, eigentlich der Demokratie als solche."
Für Armin Laschet werde zur Nagelprobe, "ob er die Autorität in der CDU/CSU aufbringt, um hier einem anderen Verhalten Geltung zu verschaffen", so von Lucke: "Das wird maßgeblich über die Frage entscheiden, wer ist zukünftig der Mann, der die Autorität in Deutschland hat."
Stefan Heinlein: Zwei Politiker verdienen sich mit ihren Firmen marktüblich ein wenig Geld, ein wenig viel Geld vielleicht für ihre Arbeit außerhalb des Parlamentes. Was ist daran falsch und verwerflich?
Albrecht von Lucke: Das ist, pointiert gesagt, desaströs – aus einem entscheidenden Grund: Es sind ja nicht nur erstens Petitessen. Es sind Summen, die in den Hunderttausendern liegen. Von 200.000 ist in einem Fall die Rede; in dem anderen, glaube ich, sogar von 600.000 Euro, also enorme Summen. Das geschieht zum zweiten in einer Krisensituation, in der das Land flehentlich darum bemüht ist – ordnungsgemäß und jetzt auch, wie wir erleben, eigentlich verlangsamt – flehentlich darum bemüht ist, dass tatsächlich Versorgung mit Masken, mit Tests etc. vonstattengeht. Und wenn dann der Eindruck entsteht, hier bedienen sich Abgeordnete, die eigentlich dem gesamten Volke verpflichtet sind, sie ziehen ihren eigenen Profit aus derartigen Geschäftsanbahnungen, dann ist das verheerend. Und es geht natürlich auch weit über das hinaus, was Abgeordneten im normalen Geschäft zulässig möglich ist.
"Jedes Land hat die Politiker, die es verdient"
Heinlein: Gilt für Politiker ein anderer, ein höherer moralischer Standard als für uns normalsterbliche Arbeitnehmer, die mit ihren Qualifikationen neben ihrem eigentlichen Job dann noch ein wenig Geld dazuverdienen?
von Lucke: Ich bin grundsätzlich sehr dagegen, einen höheren Maßstab anzulegen. Wir müssen uns alle immer bewusst machen: Das ist ein Querschnitt des Volkes, ein Querschnitt der Bevölkerung. Unsere Abgeordnete sind übrigens auch unsere Repräsentanten. Es sind keineswegs Dienstleister. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Deswegen kann ich zum Teil auch vor dieser Empörungswelle, die aufwallt, nur warnen. Man darf dort nicht maßlos werden. Es ist immer ein Stück weit auch die Aufforderung an die Bevölkerung mit dem alten Satz: Jedes Land hat die Politiker, die es verdient.
Aber hier geht es um etwas anderes. Es gibt klare Rahmen, innerhalb derer sich die Politiker bewegen dürfen. Und in beiden Fällen ist offensichtlich dieser Rahmen weit überschritten worden. Das haben ja beide Politiker auch zum Besten gegeben, sie haben das eingestanden. In einem Falle wird bereits auch strafrechtlich ermittelt. Das heißt, dort sind Vorfälle vonstattengegangen, die sich nicht im rechtlichen Rahmen halten. Das ist zunächst festzustellen, das ist desaströs.
Schaden von der Demokratie abwenden
Und auch wenn immer die Unschuldsvermutung zunächst einmal gelten muss, gerade was die strafrechtliche Belangung anbelangt, wird es natürlich auf der anderen Seite zu einem immensen Politikum, wenn diese betroffenen Politiker dann nicht die politischen Konsequenzen ziehen. Herr Nüßlein hat das explizit gesagt, er wolle jeglichen politischen Nachteil von seiner Partei abwenden. Man müsste übrigens deutlich sagen, es kommt noch mehr darauf an, den Schaden von der Demokratie abzuwenden. Wenn er das aber ernst meint, dann müsste er sein Mandat sofort zurückgeben, denn nur dadurch kann wirklich der Eindruck klargestellt werden, dieser Mann hat in der Politik nichts mehr zu suchen.
Heinlein: Jetzt gibt es gerade die Meldung, dass Löbel von seinem Amt, von seinem Mandat zurücktritt. Der Druck scheint groß zu sein. Wird es denn der Parteiprominenz von CDU und CSU gelingen, diese Affäre Nüßlein-Löbel als persönliches Versagen dieser beiden Fraktionskollegen zu verkaufen?
von Lucke: Man wird das natürlich versuchen. Das ist ganz klar. Wir werden aber vermutlich sogar schon den Versuch der Instrumentalisierung am Wochenende erleben. Wenn vorhersehbarerweise verheerende Wahlergebnisse für die CDU durchschlagen, sowohl in Rheinland-Pfalz als auch in Baden-Württemberg – die sich übrigens weit vor der Affäre abgezeichnet haben – wird man wahrscheinlich sogar ein Stück weit sagen, diese Affären haben noch maßgeblich dazu beigetragen, dass die Ergebnisse so schlecht sind.
Transparenz in der Politik
Das mag zu einem gewissen Anteil richtig sein, aber es geht hier um ganz grundsätzliche strukturelle Sachen. Es geht zunächst einmal um das Phänomen des Lobbying. Es geht um die Frage, wie transparent ist unsere Politik. Und es ist schon eine merkwürdige Koinzidenz, eine Zufälligkeit sondergleichen, dass vor wenigen Wochen die CDU erst nach langem sich Verweigern einem sehr, sehr zahmen Lobby-Register beigepflichtet hat. Man kann dort in der Tat zuspitzen, gerade was im Fall der Legislative geschieht, wo sind die Gespräche. Das sollte man sehr stark verschärfen.
Es geht aber noch um etwas Weiteres und Grundsätzlicheres. Das grundsätzliche Problem scheint mir zu sein, dass notwendigerweise in einer solchen Krisensituation individuelle Verfehlungen auf die Parteien hochgerechnet werden und interessanterweise gar nicht mal nur auf CDU/CSU alleine. Es ist ein Schaden, der dem gesamten parlamentarischen System angetan wird, denn die Politiker werden als Gesamtheit und nicht nur für eine Parteienfamilie habhaft gemacht. Sie werden quasi zum beschädigenden Faktor für das gesamte parlamentarische System, und das ist der eigentliche Schaden, der angerichtet wird.
Heinlein: Wenn in diesem Zusammenhang dann jetzt die Opposition mit Zornesröte im Gesicht das Verhalten dieser beiden Unions-Politiker – und es gibt ja noch andere Affären der Union; erinnert sei an Philipp Amthor – an den Pranger stellt, ist das eine erfolgreiche, eine richtige demokratische Strategie, oder fördert dieser Skandal um dieses Verhalten der Opposition dann auch insgesamt die Politikverdrossenheit der Bevölkerung und könnte dann auch zu einer Gefahr werden für die Demokratie in unserem Lande insgesamt?
von Lucke: Das tut es meines Erachtens implizit in der Tat, wobei ich durchaus Verständnis habe. Es gibt ja besagte Gründe, die durchaus den Vorwurf an die CDU/CSU berechtigt erscheinen lassen – aus zwei Gründen. Zum ersten hat sich die CDU/CSU wie gesagt einem Lobby-Register lange verweigert und jetzt dafür gesorgt, dass es in ausgesprochen schwacher Form durchgesetzt wird.
Zum zweiten ist natürlich das Problem der CDU das folgende: Die CDU/CSU ist die exekutive Partei schlechthin. Sie ist ja über Jahrzehnte an der Regierung. Das heißt, ihre Gefährdungen sind weit, weit größer als die der anderen Parteien
"Beschädigung der Demokratie"
Aber man darf auch nicht verkennen, dass auch die anderen Parteien – übrigens in anderer Weise, manchmal nicht mehr in Diensten, aber wenn ich nur an Gerhard Schröder denke, der mit Sicherheit durch seine, ich nenne es mal Handelsvertreter-Tätigkeit für Wladimir Putin, ein Skandalon für einen deutschen Bundeskanzler, seiner eigenen Partei enormen Schaden angetan hat, aber übrigens auch dem demokratischen System. Und auch die Grünen haben durchaus gewisse, später im Zuge des Drehtür-Effekts in die Wirtschaft gegangene Politiker. Auch da liegen Gefährdungen.
Und es gibt ein zweites grundsätzlicheres Problem, und das halte ich für das vielleicht noch gravierendere. Wir erleben ja gerade, dass diese Schädigung, die vor allem durch die CDU/CSU-Abgeordneten geschieht, dass sie nicht im Umkehrschluss dazu führt, dass die anderen Politiker und Parteien eine Aufwertung erfahren. Es ist ja nicht so, dass wir gegenwärtig sagen könnten, es werden die anderen Parteien stärker. Im Gegenteil! Wir haben nicht den Eindruck, dass eine ohnehin mit massiven eigenen Problemen zu kämpfen habende SPD, die sich in verheerenden Identitätspolitik-Debatten schlägt, dass sie jetzt gegenwärtig als Alternative neuerdings gehandelt wird. Und auch die Grünen sind nicht unbedingt solche, die jetzt plötzlich aus dieser Krise profitieren. Das heißt, es ist meinem Eindruck nach eine Beschädigung des gesamten politischen Systems, eigentlich der Demokratie als solche, und das scheint mir das Grundproblem zu sein.
Nähe der Wirtschaft zur Macht
Heinlein: Ich habe mir notiert, Herr von Lucke, die Gefährdung für die Union ist besonders hoch. Ist denn tatsächlich die Union besonders anfällig für ein enges Vertrauensverhältnis zur Wirtschaft mit einer gewissen Schlagseite und ist hier in diesem Zusammenhang dann der neue Vorsitzende Armin Laschet gefordert? Ist die Aufklärung der Affäre für den neuen Parteivorsitzenden jetzt eine Nagelprobe?
von Lucke: Unbedingt! Ich würde das sogar noch grundsätzlicher sagen – in zweierlei Hinsicht. Natürlich ist die CDU/CSU in besonderer Gefährdung, übrigens auch besonderer Versuchung. Hier haben wir es ja interessanterweise auch sowohl mit CSU, Herrn Nüßlein, und Herrn Löbel mit der CDU, mit beiden gewissermaßen zu tun. Die Nähe ist eklatant. Sie ist die Nähe auch übrigens der Wirtschaft zur Macht, übrigens auch des Wechselverhältnisses. Denken wir daran, dass Friedrich Merz, der ja offensichtlich für den Bundestag kandidiert oder kandidieren will, explizit eine Person ist, die diesen Drehtür-Effekt einmal in die Richtung der Wirtschaft raus, von der Wirtschaft zurück quasi vorexemplifiziert. Andere, Eckart von Klaeden, sind raus in die Wirtschaft, haben natürlich beste Verhältnisse und Beziehungen weiterhin in die Politik. Denken Sie nur an die Gespräche von Baron zu Guttenberg im Wirecard-Skandal. Da sind ausdrücklich auch historisch, aber auch von der Exekutive her bedingte Näheverhältnisse. Das ist ganz eklatant und insofern ist die CDU/CSU in besonderem Maße gefordert.
"Nagelprobe für Armin Laschet"
Nach der Wahl werden wir ganz genau darauf gucken müssen: Die große Herausforderung, gerade in der Situation dieser beiden Landtagswahlen, übrigens auch vor dem Hintergrund, dass wir ja auch an der Regierungsspitze gegenwärtig ein großes Vakuum haben – Angela Merkel tritt nicht mehr in dem Maße in Erscheinung; sie ist durch die Corona-Krise hochgradig angeschlagen. Man kann sogar fast sagen, sie ist in einer gewissen Weise entmachtet, weil die Ministerpräsidenten das Ruder übernommen haben. Herr Spahn, Herr Altmaier, viele andere in der Regierung sind geschwächt, und umso mehr ist es natürlich die unbedingte Aufgabe des neuen Parteivorsitzenden Armin Laschet, zunächst einmal in der CDU für Autorität zu sorgen. Das, glaube ich, wird maßgeblich auch über die Frage entscheiden, wer ist zukünftig der Mann, der die Autorität in Deutschland hat.
Es wird zu einer Nagelprobe auch für Armin Laschet, ob er die Autorität in der CDU/CSU aufbringt, um hier einem anderen Verhalten Geltung zu verschaffen. Ich glaube, das werden wir nach den Wahlen am kommenden Sonntag sehr genau beobachten.
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