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Politologe: Terroristen haben wenig zu verlieren

Der Politologe Herfried Münkler hegt Zweifel, dass der Kampf gegen die Wurzeln des Terrorismus in den Herkunftsländern der Attentäter Erfolg haben wird. Daran könnte sich die Politik übernehmen, sagt der Wissenschaftler von der Humboldt-Universität Berlin. So sollte man sich auf die defensive Seite, eine kombinierte Arbeit von Polizei und Geheimdiensten konzentrieren.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Es gibt sie noch: die Kriege, die Staaten gegen Staaten führen, aber es gibt zunehmend die neue Spielart des Krieges, die man asymmetrisch nennt, in denen nicht mehr zwei vergleichbare Akteure, zwei Staaten eben die Hauptrolle spielen und gegeneinander antreten, sondern ein Krieg, den Terroristen führen und der sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung richtet und worauf Staaten nicht immer eine überzeugende Antwort haben. Das jüngste Beispiel liegt eine gute Woche zurück: tausende Raketen, mit denen die Hisbollah-Milizen vom Libanon aus israelische Bürger terrorisiert haben und eine hoch gerüstete israelische Armee, die diese Bedrohung nicht wirklich verringern konnte.

    Dass der Nahe Osten und seine Probleme näher liegen könnten als wir gedacht haben, das erleben wir seit einigen Tagen. Wir haben eben darüber gesprochen. Es dämmert uns, Dass wohl auch Deutschland ein internationales Terrorziel sein könnte. Was heißt das? Worauf müssen wir uns einstellen? Wie schützen wir uns? Darüber möchte ich nun sprechen mit dem Politikwissenschaftler und Publizisten Herfried Münkler, der in mehreren Büchern die Wandlung des Krieges beleuchtet hat. Guten Morgen Herr, Münkler!

    Herfried Münkler: Guten Morgen!

    Spengler: Herr Münkler, woran liegt das Besondere dieser neuen Art des Krieges?

    Münkler: Sie haben das ja schon in der Anmoderation gesagt. Der klassische Krieg, der ausgetragen worden ist zwischen Staaten, also gleichartigen Akteuren, war daran gebunden, dass Staaten einen politischen Körper, einen body politic, ausbilden, und durch diesen politischen Körper sind sie auch verletzbar und wenn man es ganz kurz sagen will: Verletzbarkeit sichert Vernünftigkeit. Das heißt die gesamte Logik der Abschreckung beruhte darauf, dass ein potenzieller Gegner einen politischen Körper hat.

    Spengler: Das heißt, wir haben es jetzt mit Unberechenbarkeit zu tun?

    Münkler: Wir haben es jetzt mit Akteuren zu tun, denen es gelungen ist, weil sie eben nicht staatsförmig auf einem Territorium situiert sind, eine tendenzielle Unverletzlichkeit auszubilden. Wie will man Al-Kaida- oder die Hisbollah-Strukturen fassen? Wenn man sie fasst, trifft man immer andere mit. Man setzt sich gewissermaßen in der Weltöffentlichkeit ins Unrecht. Das gibt diesen Akteuren die Möglichkeit, gewissermaßen die nicht vorhandene eigene Luftabwehr durch Bilder von Ziviltoten zu ersetzen.

    Spengler: Und der Gegner kennt wenig Skrupel.

    Münkler: Das gibt ihm zusätzliche Möglichkeiten. Er ist also nicht an die Konventionen von Genf oder die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung gebunden. Er fühlt sich ja ohnehin als Schwacher und Unterlegener zu vielerlei berechtigt, was wir den Staaten so ohne weiteres nicht zu billigen bereit sind. Er kann also auch auf gewisse Sympathien rechnen, wenn er sich nicht an die Formalität, der Gewaltaustragungen ja nach wie vor unterliegt, hält.

    Spengler: Wenn wir auf den Libanon-Konflikt gucken, da können wir das beobachten Ihrer Ansicht nach?

    Münkler: Der Libanon-Konflikt ist dafür eigentlich ein ganz gutes Beispiel. Die Hisbollah provoziert die gesamte Zeit. Es geht darum, zunächst einmal Israel und seinen mächtigen Militärapparat, der ja innerhalb der Region eine zentrale Funktion hat, zu einem bestimmten Verhalten zu bringen, und auf dieses Verhalten ist man dann entsprechend vorbereitet. Es ist gar keine Frage gewesen, dass das, was sichtbar ist, nämlich die Präsenz israelischer Kampfjets und Hubschrauber und derlei mehr und die Folgen ihrer Angriffe in der Gestalt von Ziviltoten, dann relativ bald zu einem entsprechenden Stimmungsumschwung in der auch zunächst Israel positiv gesonnenen westlichen Öffentlichkeit führen wird.

    Spengler: Gehört denn diese Macht über die Bilder bewusst zur Strategie zum Beispiel von Hisbollah und anderen Terroristen?

    Münkler: Ich glaube, das kann man sagen. Das hat sich eigentlich seit Vietnam mehr und mehr gezeigt, dass westliche Gesellschaften, die, wenn ich das mal so abkürzend sage, im Kern postheroische Gesellschaften sind, die also nicht bereit und nicht in der Lage sind, selber in hohem Maße Opfer zu bringen, die auch nicht ertragen können, dass sie mit hohem Gewaltaufwand ihre Ziele durchsetzen, in ihrem Willen, einen Willen zu haben, den sie notfalls mit Gewalt durchzusetzen bereit sind, verletzlich sind durch das Zeigen der Folgen von Gewalt.

    Spengler: Wie können wir uns gegen die Bedrohung durch den Terror im Innern wehren? Wie können wir uns davor schützen?

    Münkler: Ich würde die Diskussion, die darüber stattfindet, ganz gerne strukturieren in die Unterscheidung von offensiv und defensiv, wie sie Clausewitz vorgeschlagen hat. Die defensive Seite ist die stärkere Form mit dem schwächeren Zweck. Das heißt, man will nicht so viel erreichen, nicht so viel verändern, aber man hat dafür gewisse Vorteile in der Defensive. Das, würde ich sagen ist diese Mischung aus der Kombination von geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit auf der einen Seite, aber ganz entscheidend eine hohe Gelassenheit der Bevölkerung, die von Terrorbedrohungen nun einmal überzogen ist, bei denen auch Terroranschläge stattgefunden haben.

    Spengler: Und die offensive Seite?

    Münkler: Die offensive Seite wäre der Versuch, in den Gebieten, aus denen vermutlich die Terroristen kommen, Veränderungen einzuleiten, die dazu führen, dass die so genannten Wurzeln des Terrorismus verschwänden. Das heißt also in diesem Falle mit Clausewitz die schwächere Form mit dem stärkeren Zweck. Wenn ich das so beschreibe, dann will ich damit sagen, es wird ja sehr gerne darüber geredet, wenn man über Terror spricht, ja man müsse aber auch auf die Wurzeln zu sprechen kommen. Nur möglicherweise ist die Bearbeitung der Wurzeln etwas, woran wir uns überheben würden. Deswegen müssen wir uns auf die defensive Seite zunächst einmal konzentrieren.

    Spengler: Danke für das Gespräch. Das war der Politikwissenschaftler und Publizist Herfried Münkler.