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Politologe über Jamaika-Aus
"Die FDP kann wahrscheinlich wenig davon profitieren"

Wäre die FDP überhaupt stark genug für eine Regierungsbeteiligung? Wollte Christian Lindner die FDP-Schmach von 2009 bis 2013 rächen? Für den Politologen Gero Neugebauer wirft die Absage einer Jamaika-Koalition Fragen auf. Auch die, ob die Liberalen von diesem Rückzug überhaupt profitieren werden, sagte er im Dlf.

Gero Neugebauer im Gespräch Christine Heuer |
    FDP-Parteichef Christian Lindner (links), Alexander Graf Lambsdorff, Mitglied des FDP-Bundesvorstands, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin bei den Sondierungsverhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen
    Wegen "mangelnder Transparenz" der gestern abgebrochenen Jamaika-Gespräche habe die Öffentlichkeit keine faire Chance gehabt zu sehen, was sich da zusammenbraut, sagte der Politologe Gero Neugebauer im Dlf (picture alliance/ dpa/ Maurizio Gambarini)
    Christine Heuer: Die Jamaika-Sondierungen sind gescheitert. Am Telefon ist jetzt der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Guten Morgen.
    Gero Neugebauer: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Herr Neugebauer, gestern Abend haben wir beide miteinander telefoniert, und da waren wir am Ende unseres Gesprächs beide überzeugt, das wird schon was mit Jamaika. Was haben wir übersehen?
    Neugebauer: Wir haben übersehen, dass die mangelnde Transparenz dieser Sondierungsgespräche dazu geführt hat, dass wir uns eigentlich nie klar darüber waren, wer sich mit wem gegen wen aus welchem Anlass verbündet. Und wir haben, glaube ich, auch übersehen, welche möglicherweise längerfristigen Linien die Verhandlungsführung der einen oder anderen Partei bestimmen. Und da taucht dann unter anderem der Verdacht jetzt auf, ob Herr Lindner sich doch im Namen der FDP für die Schmach von 2009 bis 2013 rächen wollte, oder ob er dann doch gesehen hat, dass die Partei eigentlich gar nicht stark genug ist, um zu regieren. Denn diese seltsame Formel, nicht zu regieren, ist besser als schlecht zu regieren, muss man ja auch erklären können als, war er nicht stark genug, oder wollte er keine Verantwortung tragen, und wie sieht es dann aus mit der Verantwortung, die er so beschworen hat. Das war im Nachhinein für mich dann die Überlegung, was hat eigentlich gefehlt bei dem Nachdenken, und bei mir selbst hat auch der Satz gefehlt, man soll eigentlich nie nie sagen, wie ich es immer gelernt habe.
    Wird die FDP vom Ausstieg profitieren?
    Heuer: Ja, gut. Aber diesen Satz kann man immer noch nachreichen. Das ist nie zu spät. – Herr Neugebauer, kann die FDP aus dieser Situation erfolgreich hervorgehen, oder hat sie sich jetzt auch selber schweren Schaden zugefügt?
    Neugebauer: Ein Kennzeichen der Grünen-Verhandlungsstrategie war ja die Furcht, in Neuwahlen, die möglicherweise nach einem Scheitern der Sondierungsgespräche erforderlich werden, in dem kommenden Wahlkampf dadurch abgestraft zu werden, eine Art Grünen-Bashing. Ich kann mir nach der geschlossenen Reaktion der anderen Sondierungspartner vorstellen, dass nun da in der Tat auf die FDP eingeschlagen wird, weil man der FDP sagen muss, bitte schön, ihr könnt doch nicht allein eure Position, was den Solidaritätszuschlag angeht oder was die Digitalisierung angeht, benutzen, um zu sagen, da sind wir nicht mehr in der Lage mitzuregieren. Die FDP kann wahrscheinlich wenig davon profitieren, dass sie jetzt ausgestiegen ist. Ob ihre Anhänger allerdings der Meinung sind, das wird man abwarten müssen, wenn die FDP deutlich erklärt, warum sie die Verhandlungen abgebrochen hat.
    Heuer: Ein bisschen alle gegen einen wäre das Szenario, das Sie vermuten. Das wäre unfair?
    Neugebauer: Das wäre in der Tat unfair. Aber Wahlen haben ihre eigene Logik, sowohl was das Ergebnis angeht – das ist immer für Überraschungen gut –, aber auch was die Themen angeht. Wer hätte denn beispielsweise gedacht, dass im letzten Wahlkampf die Sozialdemokratie mit einem Grundwert soziale Gerechtigkeit in den Wahlkampf zieht, anfänglich solche Begeisterung erntet, dann aber damit keinen Stich erzielt, weil sie nicht in der Lage ist zu erklären, was denn das Spezifische an sozialdemokratischer Gerechtigkeit in den einzelnen Politikfeldern ist. Und wenn jetzt die FDP sagen würde, wir wollen dieses und jenes Deutschland, dann ist das – entschuldigen Sie den Vergleich – doch so, als wollte die FDP jetzt erklären, dass es durchaus möglich ist, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Das heißt, dass sie die Richtung der gesamten Politik vorgibt, und das wird schwer zu erklären sein.
    Merkel als Scharnier zwischen den Positionen
    Heuer: Trotzdem ist nun auch die CDU und ihre Chefin, die Bundeskanzlerin in schweres Fahrwasser geraten. Sind Angela Merkels politische Tage gezählt? Wie sehen Sie das?
    Neugebauer: Es gibt zurzeit in der Union keine Alternative zu Frau Merkel, selbst wenn einige sich für eine mögliche Alternative halten. Das Prozedere, was jetzt ansteht in Richtung Neuwahlen, sieht eigentlich vor, dass der Bundespräsident dem Bundestag eine Kandidatin oder einen Kandidaten vorschlägt, und das wird die Kandidatin oder der Kandidat der stärksten Fraktion sein. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Unions-Fraktion auch nach den freundlichen Worten von Herrn Seehofer nach dem Abschluss der Gespräche gegenüber Frau Merkel, dass da ein anderer Kandidat vorgeschlagen wird. Und dann führt das natürlich dazu, wenn man sagt, okay, es stehen Neuwahlen an, dann kann man diesen Kandidaten nicht dadurch beschädigen, dass man ihn nicht vorweist.
    Heuer: Aber, Herr Neugebauer, kann Angela Merkel wirklich noch mal eine Wahl gewinnen?
    Neugebauer: Darauf würde ich überhaupt keine Wetten abgeben. Aber das würde ich grundsätzlich nicht machen. Nur es ist für sie wesentlich schwieriger geworden. Man muss ihr allerdings zugutehalten, dass, wenn man die Positionen der Parteien in den Sondierungsgesprächen betrachtet, Frau Merkel immer eine Art Scharnier gewesen ist, sofern sie überhaupt mit ihren Aussagen zitierfähig war beziehungsweise zitiert worden ist, zwischen den unterschiedlichen Positionen. Da hat sie durchaus ihre Qualifikation noch mal hervortreten lassen. Aber ob das reicht, wieder eine Wahl zu gewinnen, vor allen Dingen, wenn die Wahl dann nicht so sehr um Inhalte geht, sondern um die Frage, wer ist eigentlich schuld an der gegenwärtigen Situation, und dann von der Gegenseite der Schuldvorwurf an Frau Merkel erhoben wird, dass sie nicht genügend auf die Forderungen der FDP eingegangen ist, oder den Grünen zu viel Raum gegeben hat, das wird sehr schwer werden. Aber es gibt Politikerinnen und Politiker, die werden stark, wenn sie mit dem Rücken an der Wand stehen, und wir kennen sie durchaus auch in Deutschland, und warum sollte Frau Merkel nicht auch mal diese Erfahrung machen.
    Von Neuwahlen könnte AfD profitieren – oder CDU und SPD
    Heuer: Kann es sein, oder wie wahrscheinlich ist es – dass es sein kann, steht, glaube ich, außer Frage –, dass die Ereignisse heute Nacht am Ende der AfD in die Hände spielen?
    Neugebauer: Auf den ersten Blick spricht einiges dafür. Das Verhalten der verhandelnden Parteien oder der sondierenden Parteien war ja eigentlich zu Anfang von dem Willen geprägt, eine Regierung zustande zu bringen. Es gab dafür eine breite gesellschaftliche Zustimmung. Es gab auch in den einzelnen Parteien überwiegende Zustimmung. Und wenn das Projekt nun scheitert, kann man ja den Parteien vorwerfen, sie hätten ihre individuellen, ihre eigenen Interessen den Interessen der Gesamtheit vorangestellt, also aufs Eigenwohl geachtet und nicht auf das Gemeinwohl. Das ist eine Situation, die Protestwählerinnen und -wähler veranlassen könnte zu sagen, wir wählen die Partei, die das am deutlichsten formuliert. Aber das wird man auch abwarten müssen.
    Andererseits ist es durchaus möglich, dass einige sagen, na ja, okay, diese Mehrheiten, die wir da zustande kriegen, wenn sechs Parteien im Bundestag sind, sind vielleicht auch hinderlich auf dem Weg zur Regierungsbildung, versuchen wir in einer Art Polarisierung doch der einen oder anderen Richtung mehr Gewicht zu verschaffen, und das würde dann auf eine Auseinandersetzung, wie wir sie zuletzt in Niedersachsen hatten, hinauslaufen, nämlich auf Parteien wie SPD und CDU, beide, die dann eine eigene Machtperspektive propagieren. Nur dann wäre es die SPD, die sagen müsste, wir wollen Linke und Grünen darin haben. Aber ob die beiden Parteien stark genug sind, sei dahingestellt.
    Heuer: Ein Spiel der Etablierten wäre das. – Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der FU Berlin. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen heute früh, Herr Neugebauer, und einen spannenden Tag wünsche ich Ihnen.
    Neugebauer: Danke! Den wünsche ich Ihnen auch, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.