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Politologe über Kramp-Karrenbauer
"Das nächste Jahr wird nicht einfach für sie werden"

Angesichts des großen Drucks sei es klug von Annegret Kramp-Karrenbauer gewesen, auf dem CDU-Parteitag die Vertrauensfrage zu stellen, sagte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Doch wenn die Kritik an der CDU-Chefin nicht abreiße, werde ihre Kanzlerkandidatur keineswegs zum Selbstläufer.

Jürgen Falter im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Annegret Kramp-Karrenbauer steht auf der Bühne und macht mit ihrer Hand eine Geste des Dankes. Die Delegierten im Raum und der Vorstand im Hintergrund applaudierenb ihr.
Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer bedankt sich nach ihrer Rede bei den Delegierten für den lang anhaltenden Applaus (dpa-bildfunk / AP / Jens Meyer)
Stefan Heinlein: Angriff ist die beste Verteidigung, so die gewählte Strategie von Annegret Kramp-Karrenbauer in Leipzig. Offenbar war der innerparteiliche Druck auf die Parteivorsitzende gewaltig, sie war augenscheinlich gezwungen, dieses scharfe Schwert schon nach einem Jahr im Amt in die Hand zu nehmen. Heute geht der Parteitag in Leipzig zu Ende mit einer neuen Herausforderung für die Vorsitzende. Es wird eine Entscheidung geben über einen Antrag zur Urwahl eines Kanzlerkandidaten. Sie soll erst am Nachmittag kommen. Darüber spreche ich mit dem Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Uni Mainz. Guten Tag, Herr Professor!
Jürgen Falter: Guten Tag!
Heinlein: Blicken wir zu Beginn vielleicht noch einmal zurück auf den gestrigen Tag. Herr Falter, wie klug war es von Annegret Kramp-Karrenbauer bereits jetzt nach einem Jahr im Amt die ultimative innerparteiliche Vertrauensfrage zu stellen?
Falter: In ihrer jetzigen Situation war das durchaus klug, finde ich, denn sie stand ja mit dem Rücken zur Wand und war nicht nur von außen, sondern auch von innen auf das Höchste bedrängt, von außen eine negative kritische Presse, die Öffentlichkeit stuft sie weit, weit hinter anderen Politikern ein, von innen her wachsende Kritik an ihr, an ihren Fehlern, die sie gemacht hat. Da hat sie tatsächlich eine Vorwärtsverteidigung einschlagen, die gewirkt hat, jetzt gewirkt hat am heutigen Tag, am gestrigen Tag.
"Sie wollte jetzt erst mal den Rücken frei haben"
Heinlein: Zeigt dieses Manöver also, wie groß letztendlich tatsächlich der Druck auf die Parteivorsitzende war? Sie musste bereits jetzt, ein Jahr nach ihrem Antritt, alles auf eine Karte setzen.
Falter: Gut, sie wollte jetzt erst mal den Rücken frei haben, und das ist ihr gelungen. Insofern war das ein guter taktischer Schachzug, aber damit rettet sie sich zwar ins nächste Jahr hinüber, aber wenn die Kritik weiter so anhält in den Medien, in der Öffentlichkeit, wenn sie weiter viele Fehler macht, wenn sie weiter nicht die Führungsstärke zeigt, die die Partei und die Öffentlichkeit von ihr erwarten, dann wird ihrer Kanzlerkandidatur keineswegs ein Selbstläufer sein. Dann werden die Stimmen wieder stärker werden, die sagen, wir müssen es mit einem anderen, erfolgversprechenderen Kandidaten versuchen.
Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
Kramp-Karrenbauer hat sich mit ihrer Strategie bis ins nächste Jahr gerettet, so Prof. Jürgen Falter (picture alliance / Erwin Elsner)
Heinlein: Werden diese Stimmen nur lauter werden in den Medien, in der Öffentlichkeit, wie Sie gerade gesagt haben, oder wird es auch innerparteilich, zumindest hinter vorgehaltener Hand, weitergehen mit der Diskussion um die Führungsstärke von Annegret Kramp-Karrenbauer?
Falter: Das wird mit absoluter Sicherheit auch innerparteilich weitergehen, wenn die Union weiter so niedrige Umfragewerte aufweist, also deutlich unter 30 Prozent. Das hilft Annegret Kramp-Karrenbauer mit absoluter Sicherheit nicht. Dann fragen sich natürlich viele in der Union, die ja gerne an der Regierung bleiben möchten, welcher Kandidat, welche Kandidatin hätte denn bessere Chancen, sich durchzusetzen, und da gibt es ja eine gewisse Auswahl, und insofern ist die Sache noch nicht ganz gelaufen. Ganz abgesehen davon, dass diese Idee, dass ein Parteivorsitzender Zugriff auf eine Kandidatur hat, ja alles andere als innerparteilich demokratisch ist. Das ist irgendeine seltsame autoritäre Denkfigur, die eigentlich schwer zu begründen ist. Es sei denn, dass man sagt, das ist effizienter.
Merz "hat gestern den loyalen Hoffnungsträger gespielt"
Heinlein: Einen Namen haben Sie bislang nicht in den Mund genommen, aber es ist klar, um wen es geht, um Friedrich Merz. Er hat sich ja jetzt hinter die Vorsitzende gestellt. Hat er das Rennen um die Kanzlerkandidatur bereits aufgegeben, hat er verloren, oder ist er nur im Wartestand und wartet und lauert auf seine Gelegenheit, jetzt wieder dann aus der Kulisse hervorzukommen?
Falter: Keinesfalls hat er das aufgegeben. Er hat gestern den loyalen Hoffnungsträger gespielt, also loyal zur Spitze, loyal zur Partei. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig. Hätte er gestern einen Aufstand versucht, wäre er untergegangen, und insofern war es klug von ihm, so zu agieren, wobei der Rest seiner Rede ja nach den Loyalitätsbekundungen durchaus eine geschliffene, polarisierende Rede war, wo er sich mit den politischen Gegnern auseinandergesetzt hat. Insgesamt ist er damit auch gut angekommen.
Heinlein: In der CDU – Sie kennen die Partei schon länger – wird ja selten auf offener Bühne die Machtfrage gestellt. Eher wird hinter den Kulissen an Stühlen gesägt, da muss man gar nicht so lange zurückdenken. Wie wird denn Friedrich Merz in den kommenden Monaten agieren? Wird er versuchen, im Stillen seine Truppen zu sammeln, um dann bei passender Gelegenheit zum Angriff zu blasen?
Falter: Ich glaube, er wird eine Doppelstrategie versuchen. Das eine ist in der Tat, er muss Unterstützer finden in der Union, die hat er zum Teil ja auch, das sind noch nicht genug, das ist die Junge Union, das ist der Wirtschaftsflügel, aber er braucht mehr. Das ist ganz eindeutig der Fall. Die kann er eigentlich nur gewinnen, indem er da zu einem Sprachrohr der Partei wird, indem er der wird, der die dezidiertesten Aussagen macht, auf denen die größte Aufmerksamkeit gerichtet ist in der Öffentlichkeit, wo die Leute sagen, Donnerwetter, ob er Kanzler kann, weiß man nicht genau, aber Wahlkämpfer, das kann er auf jeden Fall.
CDU-Parteitag - Aufstand gegen Kramp-Karrenbauer abgesagt
Annegret Kramp-Karrenbauer habe mit ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag demonstriert, dass sie von ungebrochenem Führungswillen angetrieben sei, meint Stephan Detjen. Friedrich Merz sei nichts anderes übrig geblieben, als unter offenem Gelächter seine Loyalität zu behaupten.
Heinlein: Welche Rolle, Herr Professor Falter, spielt Angela Merkel in diesen Machtspielen ihrer Partei? Sie hält sich ja augenscheinlich im Moment zurück.
Falter: Sie hält sich öffentlich zurück, aber man darf doch nicht glauben, dass sie vollständig die Zügel aus der Hand geben würde. Das sähe nicht nach Angela Merkel aus. Die wird natürlich versuchen, im Hintergrund zu wirken, und ich bin völlig sicher, sie wird auch nicht rein persönlich orientierte Loyalitäten haben, sondern ihre Loyalität gilt der Partei. Sie wird dann, wenn sie merkt, also dass es beispielsweise mit Annegret Kramp-Karrenbauer nicht so gut geht, dass die Wahl verlorengehen könnte 2021, dann wird sie möglicherweise auch auf einen anderen Kandidaten setzen. Ich glaube nicht, dass sie plötzlich unpolitisch geworden wäre.
"Der große visionäre Durchbruch war das noch nicht"
Heinlein: Kann vor diesem Hintergrund, den Sie gerade schildern, kann Annegret Kramp-Karrenbauer eine starke Vorsitzende werden und sein, solange Angela Merkel auf dem Stuhl der Kanzlerin sitzt, oder steht sie dann immer im Schatten der Kanzlerin?
Falter: Das ist schwierig, natürlich ist diese Arbeitsteilung schwierig, das ist ganz klar, und Angela Merkel hat sich natürlich in der Partei eine solche Position erarbeitet, dass sie selbst, wenn sie nicht mehr Parteivorsitz ist, selbst wenn sie nicht mehr Kanzlerin wäre, nicht völlig in der Versenkung verschwinden würde. Insofern hat Annegret Kramp-Karrenbauer es durchaus schwer, wobei man sich natürlich vorstellen könnte, dass, wenn sie merkt, dass es schwierig werden würde bei ihr mit einer Kanzlerkandidatur, sie sich nach dem Vorbild von Angela Merkel sagen würde, diesmal verzichte ich, lasse ich den anderen mal schauen, ob er es denn schafft, und beim nächsten Mal bin ich immer noch jung genug, das zu machen. Das ist keine unvorstellbare Strategie, kann ich mir vorstellen, wenn sie merken sollte, dass sie in den Umfragen ganz, ganz unten ist und die CDU sie eigentlich nicht als Kanzlerkandidatin haben möchte.
Heinlein: Ist das also die große Herausforderung für Annegret Kramp-Karrenbauer in den kommenden Monaten, den inhaltlichen und auch den personellen Neuaufbruch ihrer Partei in der Nach-Merkel-Ära zu gestalten und sogar zu organisieren?
Falter: Sie hat ein Jahr Zeit, das zu tun, und sie wird natürlich versuchen, das zu gestalten, wobei ich in ihrer gestrigen Rede einige Ansätze finden konnte, aber der große visionäre Durchbruch war das noch nicht. Das gibt noch nicht die Richtung in der Weise vor, dass die gesamte Union sich hinter ihr absolut loyal versammelt. Es wird viel Kritik geben, da bin ich völlig sicher. Das nächste Jahr wird nicht einfach für sie werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.