Archiv

Politologe von Ondarza zu Brexit-Abstimmung
"May wird sich eher wieder eine Niederlage abholen"

Auch nach den neuen Zugeständnissen aus Brüssel geht der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza nicht davon aus, dass das britische Unterhaus für den Brexit-Deal stimmen wird. Für die harten Brexit-Gegner reichten die Ergänzungen wohl nicht aus, sagte er im Dlf.

Nicolai von Ondarza im Gespräch mit Sandra Schulz | 12.03.2019
Die britische Premierministerin Theresa May verlässt die Downing Street No 10 auf dem Weg zum Parlament
Die Zugeständnisse aus Brüssel werden Brexit-Gegner nicht überzeugen, so von Ondarza (dpa / London News Pictures / Rob Pinney )
Sandra Schulz: Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik, schönen guten Tag!
Nicolai von Ondarza: Hallo!
Schulz: Hat Theresa May der EU jetzt doch noch ein Zugeständnis abverhandelt?
von Ondarza: Ich glaube, an der Substanz hat sich nichts geändert, aber die EU hat noch mal starke Zusicherungen gegeben, dass auch die EU an diesem Backstop nicht für immer festhalten will. Deswegen ist das, glaube ich, etwas, was Theresa May nach Hause mitnehmen kann und jetzt die Frage ist, ist das für Brexitiers genug, um zu sagen, jetzt können wir diesem Deal doch zustimmen, um am Ende zumindest den Brexit in diesem Jahr realisieren zu können.
Schulz: Wir haben es auch gerade in dem Bericht noch mal gehört: Ein wichtiger Mann ist heute Mittag Generalstaatsanwalt Cox. Dessen Äußerungen, dessen Einschätzungen laufen im Moment als Eilmeldungen hier bei uns über den Ticker. Danach sagt er, die rechtlichen Risiken bleiben. Was heißt das für die Abstimmung heute Abend?
von Ondarza: Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es heute noch mal eine Niederlage für Theresa May gibt. Denn was man jetzt kurz gesehen hat ist, dass er gesagt hat, ja, es hat Zusicherungen gegeben. Wenn die EU im schlechten Willen handelt, dann könne Großbritannien sie vor ein Schiedsgericht ziehen. Aber die Risiken bleiben und damit bleibt der Backstop und damit auch der Grund, warum viele harte EU-Gegner den Austrittsvertrag im Januar abgelehnt haben.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Mehr Beiträge zum Thema finden Sie auf unserem Brexit-Portal (AFP / Tolga Akmen)
Schulz: Welche Chance hat die EU jetzt noch, die Kritiker in London davon zu überzeugen, dass das jetzt wirklich ein Schritt in Richtung Theresa May war?
von Ondarza: Ich glaube, die EU hat alles getan, was sie in ihrem Interesse tun konnte, um zumindest diese Zusicherungen zu geben, und jetzt kann die Lösung eigentlich nur in London gefunden werden. Das heißt entweder heute Abend eine knappe Zustimmung, was wirklich eine große Überraschung auch jetzt nach diesen jüngsten Äußerungen wäre, oder eine Ablehnung - und dann wären die nächsten Abstimmungen morgen und übermorgen darüber, ob Großbritannien entweder ohne Regelung in den chaotischen harten No-Deal-Brexit aussteigen will, oder eine Verlängerung möchte, um dann noch mal, ich glaube, nicht nachzuverhandeln, aber zumindest im Parlament eine Lösung zu finden, wie dieser Brexit doch noch geordnet vonstatten gehen kann.
Schulz: Verstehe ich Sie da richtig? Sie sehen zumindest eine Restchance, dass Theresa May heute die Zustimmung bekommt?
von Ondarza: Es ist in London sehr dynamisch, wie man so schön sagt. Es kommt auf drei Sachen an: Zum einen auf die nordirische DUP. Die hält sich noch bedeckt, aber hat zumindest nicht rigoros sofort Nein gesagt. Auch die Stellungnahme von dem Generalstaatsanwalt, die haben wir jetzt, die war nicht besonders positiv. Und dann – das wird das Zentrale sein -, wie die harten EU-Gegner in ihrer eigenen Partei diese Stellungnahme lesen und ob sie sagen, sie können dem Deal doch noch irgendwie zustimmen.
Wenn zumindest die DUP und Teile der harten EU-Gegner sagen, wir können mit zugebissenen Zähnen zustimmen, dann hat Theresa May noch eine Chance. Ich gehe aber mittlerweile davon aus, dass sie sich eher wieder eine Niederlage heute Abend abholt.
"In der Substanz bleibt dieser Backstop bestehen"
Schulz: Wenn Sie jetzt sagen, die EU hat für heute alles getan, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten war, dann ist ja doch die Frage, warum die Brexitiers, nachdem sie wochenlang, nachdem sie monatelang aus Brüssel gehört haben, wir machen keine weiteren Zusicherungen, wir machen keine weiteren Zugeständnisse, warum die jetzt über diese schmale Brücke gehen sollten. Die Skepsis, die ist durchaus zu verstehen, oder?
von Ondarza: Genau. Das ist eine Brücke, die nur für diejenigen hilft, die eigentlich sagen, ich habe einen Grund gesucht, um meine Meinung zu ändern. Aber bei den harten EU-Gegnern, die eigentlich am liebsten den ungeordneten No-Deal-Brexit wollen, für die reichen diese Zugeständnisse nicht aus. Denn in der Substanz bleibt dieser Backstop bestehen. Es bleibt die Übergangsphase bestehen. Das heißt, weiterhin gilt mit diesem Austrittsabkommen wäre Großbritannien über Jahre weiterhin sehr, sehr eng an die EU gebunden.
Und das heißt, die harten EU-Gegner könnten allerhöchstens damit überzeugt werden, dass die Drohung im Raum steht, wenn sie heute gegen den Deal stimmen, dann gäbe es mit höchster Wahrscheinlichkeit diese Verlängerung, und die kann wiederum den Brexit an sich in Frage stellen. Das ist, glaube ich, das politische Spiel und die harten Debatten, die heute in den Hinterzimmern geführt werden.
Schulz: Sollte Theresa May heute Abend noch mal verlieren, was, wenn ich Sie richtig verstehe, auch aus Ihrer Sicht das wahrscheinlichere Szenario ist, welche Rolle wird dann das Abstimmungsergebnis als solches spielen - die Frage, wie knapp oder möglicherweise auch nicht knapp die Abstimmung dann ausgeht?
von Ondarza: Das wird viel darüber entscheiden, welche Optionen Theresa May noch in der Zukunft hat. Sie hat ja im Januar mit über 200 Gegenstimmen verloren. Ein Drittel ihrer eigenen Partei hat gegen sie gestimmt. Sollte sie noch mal so hoch verlieren, ich glaube, dann ist wirklich die Frage, ob Theresa May noch Premierministerin bleiben kann.
Reduziert sie aber den Verlust auf, ich sage mal, 50 Gegenstimmen oder weniger, dann wäre das ein Grund, um eine Verlängerung um wenige Wochen, bis zu den Europawahlen hinzubekommen, und dann in den letzten Wochen wirklich noch die letzten EU-Gegner zu überzeugen, doch noch irgendwie eine Zustimmung zu bekommen.
Ich glaube, die Höhe des Verlusts wird sehr viel darüber aussagen, ob man noch mit einer kurzen Verlängerung eine Chance hat, dieses Austrittsabkommen über die Linie zu bekommen, oder ob die Situation in London wirklich so blockiert ist und eigentlich nur eine lange Verlängerung mit Neuwahlen oder einem zweiten Referendum eine Alternative zu dem harten No-Deal-Brexit ist.
"Die Zusicherungen von gestern alleine werden nicht ausreichen"
Schulz: Wenn wir jetzt eine weitere, so krachende Niederlage Theresa Mays sähen, ist es eine Option, dass sie überhaupt weitermacht?
von Ondarza: Rechtlich ist sie etwas geschützt, denn sie hat mehrere Misstrauensvoten bereits in Partei und Parlament überstanden, und es kann nicht so leicht einfach ein neues Misstrauensvotum angestrebt werden. Aber sollte sie wirklich wieder mit über 200 Stimmen verlieren, dann ist, glaube ich, die große Frage, ob nicht mehrere Minister ihr sagen, so kann es nicht weitergehen, wir müssen eine Verlängerung haben und dann zumindest in der konservativen Partei einen neuen Premier und Parteiführer bestimmen.
Schulz: Gibt es denn jemanden, der diesen Deal noch retten könnte?
von Ondarza: Schwierige Frage. Ich glaube, retten kann diesen Deal eigentlich nur, wenn der Druck auf die harten EU-Gegner so groß ist, dass sie Angst haben, dass der Brexit an sich in Frage steht, dass sie dann noch zähneknirschend zustimmen. Ich glaube aber, die Zusicherungen von gestern alleine, die werden nicht ausreichen, und vor allen Dingen gibt es niemand in der konservativen Partei, der Theresa May nachfolgen könnte und die verschiedenen Flügel in ihrer eigenen Partei vereinen könnte. Das heißt, wenn sie heute krachend scheitert und wir gehen in Richtung Neuwahlen, dann, glaube ich, braucht Großbritannien eine lange Verlängerung des Brexit, mindestens bis zum Ende des Jahres, um in Ruhe über Neuwahlen eine neue politische Positionierung zu finden. Denn so blockiert, wie die Lage in Westminster ist, glaube ich nicht, dass mit leichten Veränderungen noch eine Lösung gefunden werden kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.