Die Geschichte der RAF sei tatsächlich ein entscheidender, zentraler Wendepunkt der Geschichte der 70er bis 90er Jahre gewesen, sagte der Politologe Wolfgang Kraushaar im Dlf: Nachdem die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt auf die Forderungen der Entführer des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer nicht eingegangen sind, sei "der Zenit der großen Herausforderung durch die RAF überschritten gewesen", und die Gefahr einer möglichen Destabilisierung der Demokratie abgewehrt.
Kraushaar hebt als bedeutenden Punkt während des sogenannten "Deutschen Herbst" den "inoffiziellen Ausnahmezustand" hervor, der damals geherrscht habe: Durch die Bildung eines "supranationalen" Krisenstabes; die Berufung auf den §34 des Strafgesetzbuches zur Rechtfertigung des Notstands; die Einführung einer Nachrichtensperre und einer Kontaktsperre zwischen den RAF-Gefangenen und ihren Anwälten. "Es wurde etwas sichtbar, was man nicht mehr für möglich gehalten hatte, dass es um Maßnahmen ging, die teilweise außerhalb der gesetzlichen Norm lagen."
Unterschiedliche Ziele: Die zwei Generationen der RAF
Die RAF habe versucht, dem Staat den Krieg zu erklären und damit der parlamentarischen Demokratie, so Kraushaar. Anfangs, zur Zeit der Gründer-Generation der RAF mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Horst Mahler, stand der Protest gegen den Vietnamkrieg im Mittelpunkt, Anschläge gegen den Axel Springer-Verlag oder gegen die Justiz, von der man sich verfolgt gesehen habe. Die zweite Generation der RAF - zwischen 1974 und 1982 aktiv - unterschied sich in der Zielsetzung, hier ging es um die Freipressung der eigenen Gefangenen.
Nach dem Misserfolg all dieser Aktionen - unter anderem der Entführung einer Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu - habe man befürchtet, dass der Staat nun aushole auch gegen alle Sympathisanten der RAF. "Das hat es nicht gegeben. Das fand ich sehr bezeichnend, weil damit doch auch viele dieser Legenden Lügen gestraft worden waren". Die anhaltende Debatte über die Toten von Stammheim in der Nacht vom 17. auf 18. Oktober 1977 bzw. die Vermutung, es hätte sich statt um Selbstmord um eine Mordaktion handeln können, sei ihm von Anfang an unverständlich gewesen: "Das war die größte Niederlage, die die RAF jemals einstecken musste."
Die taz-Gründung als publizistischer Wendepunkt
Die Folgen des Linksterrorismus seien allerdings bedeutsam. Nachdem es Monate gebraucht hat, bis sich die damalige neue Linke von dieser Situation einigermaßen erholt habe, habe der "Tunix"-Kongress 1978 eine Wende eingeläutet. Und als Resultante aus allem sei die Gründung der Tageszeitung "taz" zu sehen, "als ein linksalternatives Organ, weil man der Überzeugung war, dass angesichts der Nachrichtensperre, die es während der Schleyer-Entführung gegeben habe, es eines unabhängigen Publikationsorgans bedürfen würde, wo tatsächlich auch so etwas wie eine Gegen-Information, eine Gegen-Meinung publiziert würde."
Wolfgang Kraushaar ist Politikwissenschaftler an der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Er gilt als Chronist der 68er-Bewegung und als scharfer Kritiker ihrer Mythen. Zur Geschichte der RAF arbeitet er seit langem. Veröffentlichungen sind etwa: "Die blinden Flecken der RAF" 2017 und "Die blinden Flecken der 68er Bewegung" 2018.
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