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Politologe: Wowereit hat seinen Ruf als Macher eingebüßt

Das Flughafen-Fiasko habe das Ansehen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), "ganz schön ramponiert", sagt Gero Neugebauer, Politologe an der FU Berlin. Zurücktreten müsse er deshalb aber nicht.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Matthias von Hellfeld | 09.01.2013
    Dirk Müller: Viermal wird der Eröffnungstermin verschoben, niemand weiß nun genau, wann der nächste ansteht, mindestens zwei Milliarden Euro mehr als geplant wird es kosten und die verantwortlichen Politiker in Berlin und in Brandenburg geraten immer mehr unter Druck: der Großflughafen in Berlin-Schönefeld. Über die möglichen Konsequenzen hat mein Kollege Matthias von Hellfeld mit dem Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer gesprochen.

    Matthias von Hellfeld: Die Kernfrage gleich am Anfang: Ist Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister noch zu halten?

    Gero Neugebauer: Ja, er ist noch zu halten, weil er als Regierender Bürgermeister für die ganze Breite der Politik, die im Land Berlin gemacht wird, verantwortlich ist und nicht nur für den Flughafenbau. Der allerdings hat sein Ansehen ganz schön ramponiert.

    von Hellfeld: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert wird zitiert: Er halte die "Nibelungentreue" zu Wowereit für nicht angebracht. Wie steht Wowereit denn jetzt innerparteilich da?

    Neugebauer: Na ja, er hat an Macht verloren über die Partei, als sein Favorit nicht zum Vorsitzenden gewählt wurde. Er hat an Ansehen in der Partei und auch in der Öffentlichkeit verloren, weil seine persönliche Abwertung in Umfragen offensichtlich auch die Partei mit nach unten zieht. Und er hat dadurch, dass das Flughafenprojekt nicht so vorangeht, wie es gehen sollte, auch seinen Ruf eingebüßt, so was wie ein Macher zu sein. Die Situation in der Partei ist allerdings zwiespältig, denn andererseits heißt es nicht, den wollen wir jetzt so schnell wie möglich los werden.

    von Hellfeld: Wäre es denn nicht angebracht, von sich aus dann zurückzutreten und zu sagen, ich übernehme die politische Verantwortung und es soll jetzt ein anderer machen?

    Neugebauer: Für Wowereit ist der Rücktritt vom Posten des Vorsitzenden und der Wechsel in die des unbedeutenden Stellvertreters in der Tat schon ein Akt, der ihn einiges gekostet haben dürfte. Und ich bin nicht sicher, ob er möglicherweise in der Position des Stellvertreters nicht auch Verhaltensweisen entwickelt, die den Vorsitzenden bedrängen würden. Aber es ist für ihn schon etwas, was zumindest sein Selbstverständnis erheblich beeinträchtigt hat.

    von Hellfeld: Blicken wir mal auf die Grünen. Die sind ja auf Bundesebene der favorisierte Partner. Die gehen jetzt unmissverständlich auf Distanz zu Wowereit und fordern seinen Rücktritt. Was könnte das bedeuten für eine rot-grüne Zukunft, die ja von der SPD angestrebt wird?

    Neugebauer: Na ja, das hat einmal eine lokale Quelle in den alten Streitigkeiten um die Koalitionsverhandlungen 2011 und es hat andererseits, glaube ich, auch die Erwartung oder wird von der Erwartung getragen, der Wahlkampf der SPD im Bund könnte durch die Berliner Ereignisse mit beeinträchtigt werden, und die Grünen wollen da halt zwei oder drei Distanzscheiben einlegen.

    von Hellfeld: Gehen wir mal weg von Berlin und gucken mal auf so ein, zwei, drei andere Großprojekte, die in der Bundesrepublik zurzeit durchgeführt werden. Lösen derartige Vorfälle wie jetzt in Berlin eine Vertrauenskrise aus, oder befördern sie bestehende Ressentiments gegenüber Politikern?

    Neugebauer: Sie lösen auf der einen Seite eine Vertrauenskrise aus. Man hat das an Stuttgart 21 gesehen, als dann nämlich die Politik sozusagen sich als - ich bin polemisch und formuliere es so - Büttel des Bahnvorstandes erwiesen hat, nämlich eine ganze Zeit lang überhaupt nicht hinterfragt hat, was das kostet und welche Auswirkungen das haben wird, dass dann eben der Wutbürger auftauchte. Die Vertrauenskrise ist auch entstanden dadurch, dass man das Verhältnis von Politik und den Bauherren, also Ökonomie, grob formuliert, nicht mehr als transparent empfunden hat. Möglicherweise ist auch noch etwas anderes wichtig: Man weiß eigentlich gar nicht, warum engagieren sich einzelne aus der Politik, insbesondere Bürgermeister oder Landesherren, für Bauprojekte. Ist das nun die Vorstellung, die sie damit verbinden, wenn sie sonst nichts für die Geschichte hinterlassen, hinterlassen sie wenigstens ein großes Bauwerk wie eine Kathedrale früher oder Kaiserschlösser oder ähnliches mehr.

    von Hellfeld: Wir wählen Politiker, damit sie, ich sage mal, die gesellschaftlichen Dinge in Gesetzesbahnen regeln, oder einfach bestimmte Dinge in die Wege leiten. Aber wir wählen sie nicht, damit sie Großprojekte in Milliardengrößenordnung managen. Muss das nicht alles in Hände von Experten gelegt werden oder von Leuten, die jedenfalls mit solchen riesigen Summen - der Stuttgarter Bahnhof soll knapp sieben Milliarden kosten - Erfahrung haben?

    Neugebauer: Da leiste ich überhaupt keinen Widerspruch. Auch die jetzige Krise in Berlin hat ja auch einige andere Entscheidungen zur Folge. Es wird ja nicht nur der Wechsel im Vorsitz stattfinden, es gibt ja auch personelle Veränderungen im Aufsichtsrat. Da sollen Experten reinkommen in diesen Aufsichtsrat, man wird die Geschäftsführung ablösen und die neu strukturieren. Also die haben schon begriffen, dass ihr Sachverstand als Politiker nicht ausreicht, um die Vorgänge insoweit zu kontrollieren, dass man sagen kann: Wir sind stets informiert, und zwar auch ausreichend und gut genug, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Insofern denke ich, dass es besser wäre für die Politiker, sich rauszuhalten. Andererseits aber haben sie möglicherweise Angst, in bestimmten Bauvorhaben die Kontrolle zu verlieren, dann mit neuen Geldforderungen konfrontiert zu werden und dadurch erst dann sich den Zorn der Bevölkerung zuzuziehen.

    von Hellfeld: Zum Schluss gefragt: Sehen Sie strukturelle politische Probleme, warum solche Großprojekte immer im Ärger enden, oder mit irrsinnigen Kostensteigerungen verbunden sind?

    Neugebauer: Das Berliner Projekt hat 1994/95 in den ersten Skizzen bereits Unwägbarkeiten enthalten, die aber nie thematisiert worden sind. Und ich sehe die Risiken insbesondere deshalb, weil auf der einen Seite die fehlende Sachkunde von Politikern kompensiert werden soll in den Augen der Politiker durch deren Willen, solche Großbauten zu haben, das Land gegenüber anderen oder dieses Projekt gegenüber anderen Ländern als Fortschritt auszuweisen, oder in Berlin den Flughafen als einen Nachweis zur Entwicklung von Berlin als Metropole vorzustellen. Also mehr Bescheidenheit wäre schon angebracht.

    Müller: Mein Kollege Matthias von Hellfeld im Gespräch mit dem Berliner Politologen Gero Neugebauer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.