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Politologe: Zeit arbeitet gegen Palästinenser

Die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates werde mit jedem Jahr schwieriger, sagt der Politikwissenschaftler Jochen Hippler. Er fordert die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf Israelis und Palästinenser auszuüben, die längst gefassten Friedensbeschlüsse endlich umzusetzen.

Jochen Hippler im Gespräch mit Gerd Breker | 23.09.2011
    Gerd Breker: Bei der UN-Vollversammlung wird heute der Höhepunkt im Bemühen der Palästinenser um ihren eigenen Staat erwartet. Trotz einer Vetoandrohung der Vereinigten Staaten will Palästinenserpräsident Abbas offiziell die Aufnahme seines Staates Palästina in die Vereinten Nationen beantragen. Der Antrag soll gleich nach seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen eingereicht werden. Telefonisch sind wir nun verbunden mit dem Friedensforscher und Nahost-Experten Jochen Hippler. Guten Tag, Herr Hippler.

    Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Abbas wird heute den Antrag auf Vollmitgliedschaft des Palästinenserstaates stellen. Das ist ein Schachzug, Herr Hippler, der Israel ganz schön unter Druck setzt?

    Hippler: Sehr richtig, und Washington gleich mit, weil Washington ja angedeutet hat, den Antrag zu Fall bringen zu wollen, notfalls mit einem Veto. Das würde sicher die amerikanische Position im Nahen Osten nicht gerade stärken und Israel wird damit tatsächlich stärker noch in eine Isolation hineingeraten. Insofern ist das für beide Länder ein Problem. Es ist aber gleichzeitig natürlich auch für Abbas ein potenzielles Problem, weil in Palästina, in der Westbank und im Gazastreifen große Hoffnungen, große Emotionen auch geschürt worden sind. Und wenn es jetzt nicht gelingt, aufgenommen zu werden, was ja absehbar ist, dann ist auch nicht ganz klar, ob das ihn nicht auch ein bisschen noch politisch schwächen könnte.

    Breker: Inwieweit, Herr Hippler, hat eigentlich die Tatsache, dass es den Arabischen Frühling gegeben hat, das Umfeld dieses Konflikts so verändert, dass neu sortiert werden muss, dass neu gespielt werden muss?

    Hippler: Tatsächlich hat sich in einer Reihe von europäischen Hauptstädten oder auch in anderen Regionen so eine Erkenntnis durchgesetzt, dass halt man nicht unbedingt gegen einen solchen Prozess der Zweistaatlichkeit sein muss mit dem Argument, dass Araber eben zur Demokratie nicht mehr fähig seien und nicht fähig seien. Sondern diese Demonstrationen, die Umstürze in Ägypten, in Tunesien, auch in Libyen, Syrien haben gezeigt, dass viele arabische Bevölkerungen wirklich ein großes Eigeninteresse haben. Also dieses Klischee, das sind nur Leute, die an religiöse Erweckung denken, aber mit Demokratie nichts anfangen können, das ist dadurch geschwächt worden, und das ist natürlich indirekt noch mal ein Argument, endlich mit dem ernst zu machen, was ja eigentlich seit fast 20 Jahren auf der Tagesordnung steht: nämlich eine Zwei-Staaten-Lösung. Also neben dem israelischen Staat auch einen palästinensischen Staat zu gründen und die dann zur Zusammenarbeit zu bewegen. Das setzt aber natürlich voraus, dass es diesen palästinensischen Staat auch geben muss, und da scheinen mir so die politischen Rahmenbedingungen jetzt etwas freundlicher geworden zu sein.

    Breker: Herr Hippler, hat der Arabische Frühling eigentlich die Rolle Europas verändert in diesem Nahostkonflikt? Bislang war Europa ja sozusagen zweitrangig. Ist Europa jetzt durch den Arabischen Frühling bedeutsamer geworden für die Lösung des Konflikts?

    Hippler: Potenziell würde ich schon eine geänderte Rolle Europas sehen, aber noch nicht in der Realität, weil auch die Europäische Union als Organisation, aber auch eine Reihe europäischer Staaten immer noch dabei sind, sich darauf einzustellen. Wir wissen ja noch, dass zu Beginn des Arabischen Frühlings Frankreich der tunesischen Diktatur noch Waffenlieferungen angeboten hat, um die Demonstranten niederschlagen zu können, einer der Gründe dafür, dass Herr Sarkozy anschließend so besonders militant in Libyen nachweisen wollte, dass er dann jetzt doch für Demokratie im Nahen Osten ist. Da tut sich eine ganze Menge, aber die Bedeutung Europas setzt voraus, dass die Europäer sich tatsächlich auch neu sortieren und dass sie ihr Hin- und Herpendeln zwischen Demokratieförderung oder demokratischer Rhetorik einerseits und Stabilität andererseits, also Waffenlieferungen, Panzerlieferungen an Saudi-Arabien als Stichwort, dass das mal aufgelöst wird und dass die an einem Strang ziehen werden. Für den Israel-Palästina-Konflikt sehe ich da nicht ganz so rosige Zeiten voraus, weil da ist eigentlich ja seit Oslo, seit den Oslo-Prozessen in den 90ern, geklärt, dass es diese Zweistaatlichkeit geben muss, um Frieden zu schaffen. Da scheint aber in der Region und teilweise darüber hinaus eher der politische Wille zu fehlen, nicht so sehr, dass man keine Konzepte hätte, nicht so sehr, dass man nicht verhandelt hätte, oder dass man nicht wüsste, was man tun könnte. Aber solange der Siedlungsbau weitergeht, solange beide Seiten oder verschiedene Kräfte auf beiden Seiten einfach nicht bereit sind, diese eigentlich beschlossenen Abkommen nach Oslo auch umzusetzen, solange wird auch die geänderte Rolle Europas nicht viel helfen.

    Breker: Herr Hippler, in den letzten Tagen hat sich ja der türkische Ministerpräsident Erdogan von Israel abgewandt und demonstrativ die Staaten des Arabischen Frühlings besucht. Der Konflikt zwischen der Türkei und Israel hat eins gezeigt: Israel ist außenpolitisch sehr isoliert.

    Hippler: Ja, das ist richtig und das führt jetzt auch zu ersten Lockerungsübungen der israelischen Außenpolitik. Nur muss man sehen, wie weit das dann führen wird. Aber das ist tatsächlich richtig. Einerseits haben wir jetzt eine ganz neue türkische Außenpolitik, die sehr interessant ist, bezogen auf Syrien, bezogen jetzt aber natürlich auch sehr kritisch auf Israel. Andererseits ist es wirklich in der Region jetzt eine der wenigen Kräfte, mit denen Israel eng kooperieren konnte. Militärische Zusammenarbeit, Zusammenarbeit in der Wasserfrage war ja relativ weit angedacht und andere Dinge. Wenn das jetzt wegbricht, dann ist jetzt Ägypten nicht mehr als enger Ansprechpartner zur Verfügung für Israel, Jordanien ist kein besonders machtvoller regionaler Akteur und hält sich auch stärker zurück. Dann ist wirklich die Isolation in der Region fast vollständig, oder eigentlich vollständig, und dann wird es auch tatsächlich Zeit, dass Herr Netanjahu und sein Außenminister versuchen, sich stärker zu öffnen, um wirklich einen Verhandlungsprozess zu Stande zu kriegen, der zu einer Lösung führt und eben nicht nur zu weiteren Gesprächen.

    Breker: Man fragt sich ja, Herr Hippler, wie es denn weitergehen kann. Der Faktor Zeit, welche Rolle spielt der? Arbeitet die Zeit für die Palästinenser?

    Hippler: Eher im Gegenteil. Ich erinnere mich schon an Gespräche im Gazastreifen oder in Ramallah von vor zehn Jahren, wo mir palästinensische Jugendliche gesagt haben, sie könnten ja auch Selbstmordattentäter werden, weil sie sind ja eh schon tot, und der militärische Weg würde keinen Fortschritt bringen, Verhandlungen hätten keinen Fortschritt gebracht, deswegen gäbe es keine Aussicht. Diese Desillusionierung, diese Lähmung der Politik auf der palästinensischen Seite ist sicher ein sehr, sehr negativer Aspekt. Und umgekehrt: Der Siedlungsbau ist nun wirklich immer weiter ausgedehnt worden und je weiter die Siedlungen ausgedehnt werden, desto schwieriger wird es auch mal werden, einen palästinensischen Staat zu gründen, der auch lebensfähig ist. Das ist ja noch ein Flickenteppich, wo man teilweise auch die verschiedenen palästinensischen Gebiete nur noch sehr schwierig erreichen kann. Und das ist natürlich eine der entscheidenden Hürden für die palästinensische Staatsgründung, dass es nicht ein geschlossenes, wirtschaftlich halbwegs funktionierendes Siedlungsgebiet mehr gibt, sondern so einen Flickenteppich von israelischen Siedlungen und palästinensischen Siedlungsgebieten. Da wird Staatsgründung mit jedem Jahr schwieriger und deswegen ist es allerhöchste Zeit, dass diese Zweistaatlichkeit tatsächlich zu Stande kommt. Irgendwann wird es zu spät sein und nicht mehr gehen.

    Breker: Wird es für das Nahostquartett heute in New York zur entscheidenden Frage, ob sie noch eine bedeutsame Rolle spielen oder nicht? Werden sie ihren Einfluss demonstrieren können?

    Hippler: Wenn wir die Vergangenheit als Maßstab nehmen, was wir so an Erwartungsrahmen haben, würde ich tatsächlich auf einer politisch-rhetorischen Ebene einen Fortschritt erwarten, also wieder eine Kompromissformel, die versucht, es beiden Seiten recht zu machen. Aber das haben wir eigentlich 20 Jahre. Wenn wir das jetzt noch mal haben, ist das sicher besser, als wenn wir keine solche Formel bekommen. Aber die entscheidende Frage ist, dass von außen, aus Europa, vor allen Dingen aus Amerika, auf beide Konfliktparteien massiver Druck ausgeübt werden muss, auf die Palästinenser und auf Israel, endlich die bestehenden Verträge und das, was es an Grundsatzbeschlüssen ja seit 15, 20 Jahren gibt, das endlich mal umzusetzen. Ich glaube, die Erklärungen werden ihre Bedeutung nur dann haben, wenn aus der internationalen Gemeinschaft Druck auf beide Konfliktparteien ausgeübt wird. Der Wille der beiden Konfliktparteien alleine, hat sich jetzt eine Generation lang erwiesen, der ist nicht ausreichend vorhanden, deswegen muss von außen tatsächlich massiv Einfluss genommen werden und nicht nur was erklärt werden.

    Breker: Der Friedensforscher und Nahost-Experte Jochen Hippler im Deutschlandfunk. Danke für dieses Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.