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Politologe zu Anti-Corona-Demos
"Grundproblem ist ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis"

Die Corona-Beschränkungen seien nur ein Anlass für die Anti-Corona-Proteste in Deutschland, sagte der Politikwissenschaftler Tom Mannewitz im Dlf. Sie zeigten vielmehr ein Vertrauensproblem zwischen Teilen der Gesellschaft und der Politik. In Grundzügen sehe er Parallelen zu Pegida.

Tom Mannewitz im Gespräch mit Christiane Kaess |
Demonstration gegen Corona-Regeln in Bayern
Demonstration gegen Corona-Regeln in Bayern (imago/Nordphoto)
Ungeachtet zahlreicher Lockerungen der Corona-Beschränkungen wachsen in Deutschland die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. In zahlreichen Städten demonstrierten am Wochenende Tausende Menschen gegen die aus ihrer Sicht übertriebenen Einschränkungen und Grundrechtseingriffe sowie gegen eine angebliche drohende Impfpflicht gegen das Coronavirus.
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Zwar sei der der Grundtenor der Demonstrierenden schon eher rechts, doch insgesamt sei deren politischer Hintergrund noch nicht homogen, sagte Tom Mannewitz, Politikwissenschaftler und Extremismusforscher an der Technischen Universität Chemnitz. Er rechne aber damit, dass die Corona-Demonstrationen im Laufe der Zeit kleiner würden, aber auch politisch homogener und letztlich auch radikaler.
"Nicht nur Rechte oder Rechtsextreme oder Rechtspopulisten"
Christiane Kaess: Wer sind die Protestierenden?
Tom Mannewitz: Die Frage ist so kurz gestellt und so lang zu beantworten oder schwierig zu beantworten. Das liegt vor allen Dingen daran, dass momentan alles noch im Fluss ist in den Bewegungen. Ich sage bewusst Bewegungen und nicht in der Bewegung, weil es sich von Stadt zu Stadt schon massiv unterscheidet. Es ist gerade angesprochen worden: Hotspots Berlin, Stuttgart, auch München. Das sind wahrscheinlich die drei größten Städte, in denen die Demonstrationen stattfinden. Aber da einen gemeinsamen Nenner auszumachen, ist gar nicht so leicht, und zwar nicht bloß zwischen den Städten, sondern auch innerhalb der Städte der Demonstrationen.
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Das hängt nicht nur damit zusammen, dass wir politisch es schwer haben, als Wissenschaftler jetzt irgendwie einen gemeinsamen Nenner ausfindig zu machen. Klar: Verschwörungstheoretiker. Und wenn wir Verschwörungstheoretiker sehen oder daran denken, dann denken wir an Rechtspopulisten. Aber so ganz klar ist die Sache auch nicht. Das hängt auch damit zusammen, dass die Wahrnehmung von Corona durch die Demonstrierenden höchst unterschiedlich aussieht. Wir haben es mit Leuten zu tun, die Corona anerkennen, aber sagen, die Maßnahmen der Bundesregierung sind völlig überzogen, einzelne Regierungskritiker. Wir haben es aber auch mit Leuten zu tun, die glauben, dass Corona mehr oder weniger eine Erfindung ist oder alles nicht so schlimm, und die die Leute dann auch auffordern, die Masken abzunehmen.
Mit Hinblick auf Motivation und politische Stoßrichtung könnte es zwischen den Städten, aber auch innerhalb der Städte bei den Demos, ich will nicht sagen, unterschiedlicher nicht sein, aber es ist nicht so homogen, als dass man sagen könnte, es wären jetzt nur Rechte oder Rechtsextreme oder Rechtspopulisten.
"Grundtenor neigt schon eher nach rechts"
Kaess: Jetzt haben Sie gerade schon von Rechtsextremismus gesprochen. Sind denn politische Tendenzen erkennbar und wenn ja welche?
Mannewitz: Im Grunde glaube ich schon, dass der Grundtenor, der Demonstrationskorpus sozusagen, schon eher nach rechts neigt. Nun fehlen mir wie auch allen anderen Sozialwissenschaftlern jetzt Daten, wie sie beispielsweise vergleichbar zu Pegida vorlagen seinerzeit, weil einfach so was wie eine Erhebung jetzt noch nicht stattgefunden hat. Aber ich gehe stark davon aus, dass die Demonstranten sehr stark eher zum rechten Spektrum neigen. Damit meine ich nicht nur rechtsextrem, sondern eher konservativ-liberal, aber auch rechtspopulistisch, rechtsextrem.
Ob das damit zu tun hat, dass die Leute einfach vereinnahmt werden – es ist die Rede gewesen von der Demonstration in Gera, wo unter anderem auch Stephan Brantner gewesen sein soll, ein anderer Hotspot auch Pirna, wo tatsächlich ein AfD-Politiker zu den Demonstration aufgerufen hat. Da sehen wir schon ganz klare Verbindungen, oder jetzt in Düsseldorf von eindeutigen Rechtsextremen. Aber ich glaube, dass es noch einige dort gibt, die mehr oder weniger glauben, dass das politisch neutral sei oder mit Parteipolitik wenig zu tun habe, und die Frage stellt sich: Wie viele sind das? Wie viele sind das im Vergleich zu den organisierten Rechtspopulisten und Rechtsextremen?
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Kaess: Wie organisieren sich die Demonstranten denn generell?
Mannewitz: Die Organisation funktioniert wie seit einigen Jahren ganz gut und schnell und unkompliziert natürlich über die sozialen Medien. Wenn Sie an die Demonstration in Berlin denken von und mit Attila Hildmann, dann funktioniert das prototypisch sehr gut mit den sozialen Medien, in dem Fall mit Telegram, oder ob das Facebook-Gruppen sind, solange der gesamte Tenor der sozialen Medien da ist. Sie werden es selber feststellen: Wenn Sie bei YouTube ein Video anschauen über Verschwörungstheorien, dann werden Ihnen keine Videos empfohlen im Nachhinein, die versuchen, damit aufzuräumen, sondern weitere Verschwörungstheorien bringen. So ist es in den sozialen Medien natürlich nicht ganz anders.
Soziale Medien verfestigen Verschörungstheorien
Kaess: Würden Sie sagen, Herr Mannewitz, denn davor wird ja im Moment auch immer wieder gewarnt, das leistet im Moment tatsächlich Vorschub für Verschwörungstheorien?
Mannewitz: Das leistet dem vielleicht nicht unbedingt Vorschub, aber es ist ein Ausdruck davon. Verschwörungstheorien hat es immer gegeben, auch in Nicht-Krisenzeiten, und die wird es auch immer geben, einfach weil sie unwahrscheinlich attraktiv sind. Nur soziale Medien vereinfachen es denjenigen, die vielleicht früher hinter vorgehaltener Hand Verschwörungstheorien geäußert hätten oder vielleicht nach einem Bier zu viel sozusagen, jetzt auf die offene Straße zu treten und der Auffassung zu sein, es ist vielleicht doch nicht so abstrakt oder so abstrus, was ich da denke. Es gibt ja viele andere, die das auch denken. Insofern verfestigt es das vielleicht. Das glaube ich schon.
Kaess: Sie haben das selber schon angesprochen. Ähnlich angefangen hatte, was dann die extrem rechte Pegida wurde. Sehen Sie Parallelen? Kann sich das zu einer Protestbewegung verfestigen?
Mannewitz: Ich sehe gewisse Parallelen jetzt wirklich bloß in Grundzügen, weil bei Pegida das ja schon über mehrere Monate ging und hier bei Corona über wenige Wochen erst mal nur. Insofern ist der Vergleich ein kleines bisschen schief. Und der Vergleich ist auch deswegen schief, weil natürlich die Datengrundlage bei Pegida aufgrund der vielen Untersuchungen im Grunde ja exzellent war und hier eher schütter und mit einer anekdotischer Evidenz. Aber ich glaube schon, dass es gewisse Gemeinsamkeiten gibt. Wenn Sie schauen: Die frühen Pegida-Demonstrationen waren überaus heterogen politisch. Da hieß es ja immer, wenn Sie sich daran erinnern, dass dort besorgte Bürger auf die Straße gehen, und das stimmte ja auch zu einem deutlich größeren Teil als bei den späteren Pegida-Demos. Ich vermute, wenn es sich mit den Corona-Demonstrationen so verhält wie mit Pegida, dass die Demonstrationen im Laufe der Zeit kleiner werden, die Demonstrationskreise sozusagen, aber auch politisch homogener, und ich befürchte, nicht bloß homogener, sondern auch radikaler.
Kaess: Und dann hätten wir eine neue Spaltung der Gesellschaft, nämlich entlang dieser Linien, Befürworter und Gegner der Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Corona-Pandemie?
Mannewitz: Das kann gut sein. Es hängt ein kleines bisschen davon ab, wie lange uns Corona noch beschäftigen wird, aber ich bin jetzt kein Epidemiologe, aber nach dem, was ich gehört habe, wird es jetzt nicht in wenigen Monaten vorbei sein. Insofern können wir schon davon ausgehen, dass es zumindest die Spaltung, die erstmals massiv mit Pegida aufgetreten ist, oder ins öffentliche Bewusstsein getreten ist, und sich auch noch im Zuge der Antiasyl-Demonstrationen 2015/2016 noch mal stark manifestiert hat, dass es hier noch mal einen konkreten Anlass gefunden hat, um sich weiter zu verfestigen. Wir sehen hier ein Grundproblem der (deutschen) Demokratie, dass das Vertrauensverhältnis zwischen einem Teil – Sie sehen ja die Umfragen – der Gesellschaft und der Regierung beziehungsweise der Politik im Allgemeinen massiv zerrüttet ist, ein massives Glaubwürdigkeits- und Vertrauensproblem, und das schlägt hier zu Buche. Da ist Corona eher der Anlass als der Auslöser dafür.
Die Politik hat haarsträubende Kommunikationsbilanz
Kaess: Was müssten Politiker dagegen tun? Besser zuhören, besser erklären?
Mannewitz: Ja, genau. Vereinfacht gesagt ist das tatsächlich ein Kommunikationsproblem. Aber auch hier: Die Benennung des Problems ist deutlich leichter als dessen Lösung. Im Grunde hat die Bundesregierung, aber hat auch das Parlament, eine insgesamt, wenn man das mal von Corona abstrahiert, sondern über die Arbeit schaut, eine ganz gute Effektivitätsbilanz. Wo es schlecht aussieht ist die Kommunikationsbilanz, und die sieht tatsächlich haarsträubend aus. Das ist es, was es der Politik ein bisschen erschwert, den Leuten besser begreiflich zu machen, was sie tut, warum sie es tut, auch Fehler zuzulassen oder auch Kurskorrekturen zuzulassen, die häufig als erratischer Kurs zum Teil ja interpretiert werden. Wenn Sie daran denken, wie die Maßnahmen der letzten Woche ausgesehen haben.
Politiker sind aber auch nur Menschen und auch die Mediziner. Drei Mediziner, vier Meinungen, war ja der Eindruck in den letzten Wochen zum Teil – nicht überall, aber bei einzelnen Punkten. Das sorgt natürlich nicht gerade für Vertrauen, was die konkrete Umsetzung, die Regierungspolitik in Corona angeht. Auch hier: Ich bin kein Epidemiologe, aber aus meiner Sicht ist doch der Föderalismus in der Situation ein riesen Vorteil für Deutschland, weil individuell auf einzelne Problemlagen eingegangen werden kann. Und die stellen sich nun mal in Bayern oder in Nordrhein-Westfalen anders als beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Regierung hat nicht alles falsch gemacht. So kann man jetzt nicht tun. Aber es ist ein Kommunikationsproblem und das ist ein langfristiges. Das wird sich nicht von heute auf morgen lösen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.