Martin Zagatta: Eigentlich soll in diesem Jahr der 25. Jahrestag des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages gefeiert werden. Doch die Freundschaft, die ist merklich getrübt, seit in unserem Nachbarland eine neue rechtsgerichtete Regierung im Amt ist. Vor allem deren umstrittene Justiz- und Medienreform hat zu heftiger Kritik deutscher Politiker geführt und zu entsprechenden Verstimmungen. In diesem, etwas unguten Klima ist heute die neue Ministerpräsidentin Beata Szydlo in Berlin zu Gast zu ihrem Antrittsbesuch.
Mitgehört hat Professor Stefan Garsztecki, Osteuropa- und Polen-Experte an der TU Chemnitz, der als Mitglied deutsch-polnischer Vereinigungen beste Kontakte in unser Nachbarland auch unterhält. Jetzt hat Beata Szydlo in einem Zeitungsinterview heute noch ausdrücklich eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik gefordert. Herr Garsztecki, deutet das schon darauf hin, dass es im Moment bei ihrem Gespräch mit Angela Merkel, dass es da nicht gerade freundschaftlich zugeht?
Stefan Garsztecki: Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich meine, die Unterschiede liegen auf der Hand, aber wir erinnern uns daran, dass auch in der Regierung selber ja unterschiedliche Positionen vertreten werden. Die polnische Ministerpräsidentin hat sich ja immerhin schon bewegt. Erst war man ja genau wie die Vorgängerregierung unter Eva Kopacz abgeneigt, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen. Jetzt hat man sich immerhin dahingehend bewegt, dass man einige Tausend aufnehmen möchte. Ob das nun reicht oder wenn es dazu käme, wäre das immerhin schon ein gewaltiger Schritt. Sie hat im Übrigen auch die öffentliche Meinung in Polen hinter sich. Polen ist das Land unter den EU-Mitgliedsstaaten mit der geringsten Quote an ausländischer Wohnbevölkerung. Das liegt deutlich unter einem Prozent. Und in Umfragen im letzten Jahr und zuletzt im Januar diesen Jahres hat sich mehr als die Hälfte der Polen gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Gerade bei jungen Leuten ist die Abneigung oder die Ablehnung noch größer. Wenn überhaupt, dann nur für eine Übergangszeit, und sobald die Krise im eigenen Land beziehungsweise der Bürgerkrieg in Syrien beendet ist, mögen diese Flüchtlinge doch bitte wieder zurück in ihr Land gehen.
"Die antideutsche Karte hat im Lager von PiS eine große Rolle gespielt"
Zagatta: Aber eine Annäherung beim EU-Gipfel nächste Woche, was die Flüchtlingspolitik angeht, dass Polen da irgendwie an einem Strang mit Deutschland ziehen könnte, das ist ausgeschlossen?
Garsztecki: Das halte ich für ausgeschlossen, weil natürlich auch die anderen ostmitteleuropäischen Staaten wie Tschechien, die Slowakei oder Ungarn ähnliche Positionen wie Polen vertreten, und auch unter den westlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist ja die Skepsis gegenüber der deutschen Politik in der Frage der Flüchtlinge sehr verbreitet.
Zagatta: Wie ist es dann zu bewerten, dass Frau Szydlo mit ihrem Antrittsbesuch jetzt drei Monate fast gewartet hat? Ist das ein Affront? Ist man dort sauer auf die Deutschen, oder wie bewerten Sie das?
Garsztecki: Die antideutsche Karte hat im Lager von PiS eine große Rolle gespielt. Im Wahlkampf ist es vielleicht nicht ganz so exponiert gewesen, aber in rechten konservativen Medien, Wochenzeitschriften, Blogs und so weiter spielt die antideutsche Karte nach wie vor eine Rolle. Und man ist verstimmt gewesen, weil PiS schon seit Jahren über die Politik der Vorgängerregierung, die vermeintlich zu nachgiebig gegenüber den Deutschen gewesen ist, und der Außenminister, Witold Waszczykowski, hat ja auch gesagt, dass man keine Politik auf Knien machen möchte. Ich glaube, dass es eine falsche Wahrnehmung in der Europäischen Union ist und der Art und Weise, wie Entscheidungen innerhalb der EU gefällt werden. Aber die Warnung vor einem deutschen Hegemon, vor einer Dominanz deutscher Interessen ist sehr verbreitet in konservativen Milieus in Polen und auch die Wahrnehmung der deutschen Geschichtspolitik, die als erfolgreich wahrgenommen wird, während man auf polnischer Seite betont, man müsse auch erfolgreich Geschichtspolitik betreiben. Ich glaube, dass es ein Fehler war, dass man zunächst nach Budapest gefahren ist, aber das spiegelt die innerparteiliche Lage wieder.
Zagatta: Jetzt ist man ja in Deutschland regelrecht empört über die Justiz- und die Medienreform, die die neue Regierung da sofort auf den Weg gebracht hat. Wie ist es mit der polnischen Bevölkerung? Wir sehen da immer Proteste, Straßenproteste. Hat die sich von dieser neuen Regierung schon enttäuscht abgewandt, oder steht die noch hinter ihr auch in diesen Fragen?
"Die polnische Bevölkerung ist geteilt"
Garsztecki: Die polnische Bevölkerung ist geteilt. Man sieht das in den Protesten. Es gibt ja ein Komitee zur Verteidigung der Demokratie, das Tausende seit Wochen auf die Straße bringt. Aber auch die Regierung ist in der Lage, Tausende auf die Straße zu bringen zu ihrer eigenen Unterstützung. Die neuesten Umfragen vom Februar diesen Jahres belegen, dass die Regierung, also die Partei Recht und Gerechtigkeit, nach wie vor 34 Prozent Unterstützung in der Bevölkerung hat. Sie hat ein Wahlergebnis von um die 37 Prozent gehabt. Und die anderen Parteien haben nicht aufgeschlossen. Ganz im Gegenteil: sogar noch verloren gegenüber der Regierungspartei. Die Trennlinie in Polen verläuft entlang eines unterschiedlichen Verständnisses von Liberalismus. Für Konservative ist Liberalismus westlicher Spielart vor allen Dingen eine Gefährdung eigener nationaler Identität. Für andere ist es wiederum eine Möglichkeit, Offenheit gegenüber der Welt zu demonstrieren und diesen individuellen Pursuit of Happiness auch im eigenen Lande zu realisieren.
Zagatta: Jetzt stehen ja in Berlin und in Warschau zwei Frauen an der Spitze der Regierung. Vom Typ her, gehen Sie davon aus, dass Szydlo und Merkel da heute einen gemeinsamen Draht finden, oder sind beide zu unterschiedlich und auch politisch zu weit auseinander?
Garsztecki: Politisch sind sie relativ weit auseinander. Allerdings ist Beata Szydlo jetzt keine Deutschenfresserin. Beim Außenminister bin ich mir nicht ganz so sicher. Sie ist eigentlich relativ deutschfreundlich, deutlich stärker, als man das über Jaroslaw Kaczynski sagen könnte. Ich vermute, dass sie einen Draht zueinander finden werden. Das Interview, was sie heute ja der "Bild"-Zeitung erteilt hat, zeigt ja auch schon sowohl auf der einen Seite die Unterschiede in der Wahrnehmung unterschiedlicher Politikfelder und auch in den deutsch-polnischen Beziehungen auf. Auf der anderen Seite signalisiert sie ja auch deutlich, wie wichtig die Deutschen als Partner seien und dass die Beziehungen eigentlich gut seien.
Zagatta: Professor Stefan Garsztecki von der Technischen Universität in Chemnitz. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Garsztecki: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.