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Politologe zu GroKo-Sondierung
"Verfahren ganz gut geeignet, Verhandlungen voranzubringen"

CDU, CSU und SPD sprechen in Kleingruppen über einzelne Themen einer möglichen gemeinsamen Regierung – der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer räumte diesem Verfahren im Dlf Chancen auf Erfolg ein. Für manche der Sondierer gehe es um viel, wenn nicht um alles.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Japser Barenberg |
    Politologe Gero Neugebauer
    Politologe Gero Neugebauer (picture alliance / dpa / Freie Universität Berlin)
    Jasper Barenberg: Bis Donnerstag soll klar sein, ob Union und SPD genug Gemeinsamkeiten für Verhandlungen über eine weitere Koalition finden können. Bei CDU und CSU wirkt der Wille zum Erfolg ein wenig ausgeprägter als bei der SPD. Kein Wunder: Die Sozialdemokraten müssen vor allem ihren eigenen Anhängern gute Gründe präsentieren, um von ihrem kategorischen Nein nach der Wahl abzurücken. Viel auf dem Spiel steht allerdings für alle Beteiligten, für Angela Merkel ebenso wie für Horst Seehofer und ganz besonders natürlich für SPD-Chef Martin Schulz, der bei einem Nein der Basis um sein Amt fürchten müsste.
    Mitgehört hat der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Schönen guten Tag!
    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Barenberg.
    Barenberg: Herr Neugebauer, schnelle, effiziente und vertrauliche Sondierungsgespräche, weitgehend hinter verschlossenen Türen, das ist der Plan. Ist das nach dem Jamaika-Desaster eine kluge Selbstbeschränkung der Beteiligten?
    Neugebauer: Na ja. Auf der einen Seite sagen wir immer, Transparenz ist eine notwendige Voraussetzung für demokratische Prozesse, um sie nachvollziehbar zu machen. Aber andererseits war ja die Jamaika-Veranstaltung eher so weit auf Öffentlichkeit schon getrimmt, dass man in der Tat Misstrauen hegen kann. Man wird es von den Ergebnissen abhängig machen können und müssen. Insofern bin ich hier ganz cool und sage, na ja, warten wir mal ab, was rauskommt. Aber allein schon an den Zwischenmeldungen weiß man, jeder hält sich doch nicht daran.
    "Zumindest geeignet, um Störfeuer zu vermeiden"
    Barenberg: Ja, so ist das dann immer. – Jetzt haben wir ein bisschen gehört über den Fahrplan im Beitrag gleich bis Donnerstag. Es gibt einen Wechsel von kleinen und großen Runden, es gibt parallel tagende Arbeitsgruppen zu Detailfragen. Ist das zunächst einmal ein Erfolg versprechendes Verfahren, wie das jetzt aufgezogen wird?
    Neugebauer: 15 Arbeitsgruppen, 39 Teilnehmer, das heißt, da sitzen ja manchmal vielleicht auch nur zwei Menschen sich gegenüber. Das ist zumindest, um Störfeuer zu vermeiden, ein geeignetes Verfahren. Und wenn man die Themen, über die man sich relativ schnell einig werden kann, an den Anfang setzt, dann schafft das auch eine Atmosphäre, die dazu führen kann, dass man sagt, nun wollen wir uns die Erfolge aus den ersten Stunden und Tagen nicht zerreden, machen wir mal erfolgsorientiert weiter. Insofern halte ich das Verfahren für ganz gut geeignet, die Verhandlungen voranzubringen.
    Barenberg: Mit Blick auf die beteiligten Spitzenleute, also vor allem auf Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz, sprechen die Kollegen von "Spiegel Online" heute von einem Endspiel. Ist da etwas dran, oder ist das zu dramatisch formuliert?
    Neugebauer: Na ja, wir müssen sehen. Die Interessenlagen der Parteien und der einzelnen Akteure sind natürlich unterschiedlich. CDU und CSU haben angesichts des Misserfolgs mit der Bildung der Jamaika-Koalition nach eigenem Bekunden ja eigentlich nur noch einen Schuss frei, obwohl einige, allerdings bisher nicht maßgebliche Individualakteure in beiden Parteien sagen, wir könnten auch eine Minderheitsregierung bilden. Bei der SPD sollte man besser bei den Personen bleiben, bei Frau Merkel und Herrn Seehofer. Nun gut, Frau Merkel weiß: Schafft sie es nicht, schafft sie sich schneller ab, als sie es selbst wünscht und es auch angesichts der Lage der CDU es für diese wünschen darf. Und Herr Seehofer will einen Erfolg haben, denn als Bundesminister kann er seine Position als Parteivorsitzender der CSU stärken und er kann der CSU eine bessere Ausgangsposition für die Landtagswahl 2018 verschaffen und natürlich auch einen besseren Zugriff auf Mittel des Bundes für bayerische Investitionen.
    "SPD ist sich hinsichtlich des Ziels nicht einig"
    Bei der SPD bin ich mir nicht ganz so sicher. Die ist sich ja hinsichtlich des Ziels nicht einig. Aber es ist ein doppeltes Dilemma. Angesichts der Rolle in den beiden vergangenen Koalitionen, in denen sie sich gegenüber der Union nicht als Alternative darstellen und zudem keine Machtperspektive entwickeln konnte, muss sie es jetzt vermeiden, nur als Stützrad der Union zu fungieren und deren politische Position zu stärken. Und Schulz wiederum, der denkt an die Schwächen der eigenen Partei. Die Schwächen will er so weit wie möglich beseitigen, und das ist sein zentrales Anliegen, aber nicht jedoch die Bildung der Großen Koalition. Natürlich wird er, wenn die Erfolge ausbleiben, in Argumentationsschwierigkeiten geraten, aber er hat sich ja seine Position insofern offen gehalten, dass es ihm, glaube ich, leichter gelingen wird, da rauszukommen, als es Frau Merkel oder Herrn Seehofer gelingen könnte.
    Barenberg: Um noch einen Augenblick bei der SPD zu bleiben. Wie sehr ist Schulz denn jetzt unter Druck, die widerspenstige Basis einzufangen und die Partei zu überzeugen, dass es sich lohnt, noch mal in eine Große Koalition zu gehen? Heißt das, für ihn geht es eigentlich tatsächlich um alles?
    Neugebauer: Nein, da geht es nicht um alles. Einerseits war es ganz klug zu sagen, Andrea Nahles macht den Fraktionsvorsitz und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf die politische Arbeit der SPD im Bundestag, nicht auf ihn, sondern auf sie, und er kümmert sich um die Partei, die angesichts der Defizite, die sie in den Großen Koalitionen hatte, und angesichts der Schwäche auch, die sie hat, eher daran interessiert sein muss, einen Vorsitzenden zu haben, der ihr jetzt aufs Fahrrad hilft. Das heißt, wir haben hier eine Situation, wo Schulz sagen kann, es ist eine Arbeitsteilung, ich bin für die Partei verantwortlich, das ist jetzt Parteisache, diese Verhandlungen und diese Gespräche, und auch das Ergebnis werde ich zu vertreten haben, aber ich konnte mich während der ganzen Periode, seitdem ich ununterbrochen als Parteivorsitzender tätig bin, nämlich nach dem Ende der Niedersachsen-Wahl, ausschließlich auf diese Sache konzentrieren, und insofern, denke ich, kommt er besser dabei heraus, wenn er sagt, Partei ist immer noch wichtig, denn wir brauchen auch eine andere Machtperspektive, wir brauchen eine neue programmatische Orientierung. Und vielleicht eher scherzhaft gemeint: Er bleibt erst mal zwei Jahre Parteivorsitzender. In zwei Jahren, vielleicht wenn eine Neuwahl kommt, muss er nicht der Kanzlerkandidat sein. Es gibt ja auch noch andere Jobs wie den des europäischen Ratsvorsitzenden beispielsweise, also die Nachfolge von Tusk.
    Seehofer als Sozialpolitiker anerkannt
    Barenberg: Sie haben eben über Horst Seehofer gesprochen, der wiederum Platz gemacht hat für Markus Söder als Ministerpräsident von Bayern. Ich habe Sie richtig verstanden, Sie halten das für gesetzt, dass Horst Seehofer dann als möglichst starker Minister für die eigene Klientel ins Kabinett geht?
    Neugebauer: Ja, das halte ich auch deshalb für gesetzt, weil die politische Qualifikation von Herrn Seehofer ist eine, die er auf Bundesebene auch sehr gut realisieren kann. Er ist immer bekannt gewesen als ein Sozialpolitiker. Und wenn Sie die bayerische Verbände- und Parteienlandschaft angucken, dort, auch wo er nicht Zustimmung erfährt, erfährt er dann doch immer Zustimmung, wenn es um sozialpolitische Fragen geht. Da ist man relativ einig zu sagen, das kann er sehr gut. Er könnte auch in einer Minderheitsregierung Vizekanzler werden, aber da wäre er nicht so einflussreich möglicherweise. Aber er ist auf der Bundesebene auch jemand, der die Verhältnisse in Berlin sehr gut kennt und der mit seinem Gewicht als Parteivorsitzender auch eine Rolle spielen kann. Frau Merkel ist dafür bekannt, dass sie in den Koalitionen ja eigentlich auch nur Parteivorsitzende als Partner respektiert. Müntefering hat das erfahren und später Steinmeier auch. Insofern wäre das auch günstig. Es ist natürlich ein gewisser Druck dann wiederum auf Schulz, aber für Seehofer ist es notwendig, Minister zu werden, einfach um zu sagen, ich kann jetzt die Interessen Bayerns im Bund vertreten und ich bin auch politisch stark und erfahren genug, um glaubwürdig zu arbeiten.
    Barenberg: Nun haben wir alle in den letzten Wochen und Monaten, muss man sagen, von den Abnutzungserscheinungen zwischen Union und SPD gehört. Wir haben das gewachsene Misstrauen in der SPD zur Kenntnis genommen, das Widerstreben in der Partei, in vielen Teilen der Partei. Kann das ein gutes Bündnis, mal im neutralen objektiven Sinne gemeint, überhaupt werden?
    Neugebauer: Man sagt ja allgemein immer, Koalitionen funktionieren dann gut, wenn man sich auf Themen geeinigt hat, die man erledigen möchte, auch darüber sich verständigt hat, welche Themen man nicht erledigen möchte, wenn die Chemie zwischen den Personen stimmt und wenn man sich darüber auch im Klaren ist, dass es so eine Art Zweck- oder manchmal auch nur Bedarfsgemeinschaft ist. Wenn ich Akteure sehe, wie sie in der Vergangenheit miteinander umgegangen sind, Worte benutzt haben, die von anderen eher als Schmähungen denn als Komplimente begriffen und verstanden werden sollten, habe ich manchmal meine Zweifel.
    SPD will "nicht nur wieder Dienstleister für andere sein"
    Und wenn ich die SPD betrachte, die in einer Situation ist, die eher jemandem ähnelt, der – wenn ich jetzt etwas flapsig werde, bitte ich das zu entschuldigen – sich am Rollator durch die Gegend bewegt und dem man nun von manchen Seiten zumutet, jetzt spring doch mal endlich aufs Skateboard, und der dann sagt, ich bin gar nicht stark genug dazu, und dann sagt man, Du hast ja noch die Beine; ja, sie hat sie noch. Aber die Erfahrungen der SPD aus den Großen Koalitionen heißen immer, wenn sie nicht ihre Stammwähler befriedigen kann, wenn sie nicht eine Machtperspektive entwickeln kann, wenn sie sich nicht als Alternative darstellen kann, selbst wenn sie, wie in der letzten Koalition, immer eigentlich daran interessiert ist, selbst begrenzte Konflikte zu vermeiden, dann verliert sie weiter an Wählerschaft, dann verliert sie weiter an Zustimmung. Und sie hat einige Themen, Bildung, Europa, soziale Fragen, auf die Tagesordnung gesetzt, wo nicht nur ihre Anhänger viel von ihr erwarten. Das heißt, der Druck ist ziemlich groß, und insofern, na ja, ich bin nicht so sicher, ob dann wirklich diese Koalition kommt.
    Die SPD könnte auch sich auf die wechselnde Stimmung berufen: Erst war man für Jamaika, dann war man eher für eine Große Koalition, jetzt ist man bei den Umfragen eher schon wieder bei Neuwahlen angelangt. Nur es wird nicht reichen, die Partei zu stabilisieren, und ich denke, aus Parteieninteresse gedacht ist die SPD eher gut beraten, wenn sie sagt, ich muss wirklich etwas bringen, was meine Anhänger überzeugt, in diese Koalition einzugehen, und nicht nur wieder Dienstleister für andere zu sein. Staatspolitische Erwägungen – ich meine, das Land existiert, die Länder werden regiert, der Bund wird verwaltet, die Institutionen arbeiten und insofern sind wir nicht in der Notlage, die behauptet wird. Die Wirtschaft floriert. Aber unter der Oberfläche ist die Gesellschaft natürlich – aber das war sie auch schon vor der Wahl – immer noch ein bisschen labil. Insofern kann man wahrscheinlich schon sagen, es wird Zeit für eine Regierung, aber es muss nicht notwendigerweise eine Große Koalition sein.
    Barenberg: Die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Neugebauer: Gern geschehen, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.