Philipp May: In Sachsen regiert die CDU seit der Wende unangefochten, häufig mit absoluter Mehrheit, doch diese Zeiten sind spätestens seit der letzten Bundestagswahl vor zwei Jahren vorbei, als die AfD im Freistaat überraschend an der Union vorbeizog. Mittlerweile liegt die CDU in Umfragen wieder ein paar Prozentpunkte vor den Rechten, doch für eine Neuauflage der schwarz-roten Koalition wird es aller Voraussicht nach nicht reichen. Neue Konstellationen werden diskutiert.
Landeskorrespondent Bastian Brandau über den
Wahlkampfabschluss in Sachsen (04:04)
May: Was in Sachsen die CDU ist, ist in Brandenburg die SPD, die dort seit 1989 die dominierende Kraft ist, derzeit regiert sie in einem Bündnis mit der Linkspartei. Doch auch hier scheint eine Neuauflage von Rot-Rot, generell ein Zweierbündnis, nach allen Umfragen ausgeschlossen: Auch im Potsdamer Landtag hat die AfD zumindest Chancen, die stärkste Kraft zu werden.
Landeskorrespondentin Vanja Budde über den
Wahlkampfabschluss in Brandenburg (04:56)
May: Und das Thema vertiefen wir jetzt noch einmal mit Professor Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler an der Uni Kassel, er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Tag!
Wolfgang Schroeder: Ja, schönen guten Tag!
May: Herr Schroeder, gibt es ein Beben morgen?
Schroeder: Es wird insofern ein Beben geben, weil die Ergebnisse für die beiden Volksparteien deutlich von dem abweichen, was sie beim letzten Mal gezeigt haben. Es wird eine Stabilisierung der AfD geben, es wird aber kein Beben geben in dem Sinne, dass es jetzt Auswirkungen auf Berlin haben wird.
"Verostdeutschung des gesamtdeutschen Parteiensystems"
May: Aber CDU und SPD werden aller Voraussicht nach erstmals nicht in der Lage sein, mit ihrem Stimmanteil gemeinsam eine Koalition zu bilden – also das Ende der GroKo –, weder in Brandenburg, noch in Sachsen. Ist das eine ostdeutsche Ausnahme oder wird das jetzt der bundesdeutsche Normalfall werden?
Schroeder: Also, zur Zeit ist es noch stärker auf Ostdeutschland bezogen, nur wenn man die Entwicklung der Parteien nimmt, dass sie an Mitgliedern verlieren, dass ihre Selbstgewissheit gegenüber den klassischen Gruppen abnimmt, dann kann man davon ausgehen, dass wir zukünftig eine Verostdeutschung des gesamtdeutschen Parteiensystems haben werden: mit mittleren Parteien, also nicht mehr die Spitzenwerte, die wir aus der alten Bundesrepublik kennen, 40 plus, sondern wie wir es jetzt zum Beispiel in Berlin sehen, wie wir es in Brandenburg sehen, fünf Parteien, die im Spektrum zwischen 15 und 20 Prozent rangieren.
May: Also ziemlich bunte Koalitionen, die da auf uns zukommen, wir haben es gerade auch schon gehört von unserer Korrespondentin, mit ziemlich unterschiedlichen Parteien unter Ausschluss der AfD. Kann das gutgehen?
Schroeder: Das ist eine große Gefahr, weil man hat dann ziemlich schnell so eine Volksfrontkonstellation, alle gegen die AfD, und das führt natürlich zu einem paradoxen Parteienwettbewerb, weil damit die eklatanten Unterschiede, die zwischen den anderen Parteien bestehen, verschüttet gehen können. Und daraus kann der Akteur AfD ziemlich Honig saugen, weil sie sich so gewissermaßen als das Opfer eines nicht mehr funktionierenden Systems präsentieren können, und das lenkt davon ab, was die eigentlichen großen Herausforderungen in diesem Lande sind.
Deshalb muss man sehen, dass der Wettbewerb wieder in die Mitte platziert wird und nicht von den Rändern, wie wir es gegenwärtig haben, das sind ja die beiden Profiteure der Entwicklung der letzten fünf Jahre auf der einen Seite AfD und Grüne, wir müssen schauen, dass es wieder in der Mitte den Wettbewerb gibt um die Themen, die für die Zukunft dieses Landes stehen, also Energiewende, die Neuorientierung des Föderalismus, die Grundfrage des Klimas und diese Fragen, die nur aus der Mitte bewältigt und gelöst werden können.
Parteien in der Mitte müssen an ihrem Profil arbeiten
May: Sie sagen, wir müssen schauen, dass wir das wieder in der Mitte platzieren, doch wie macht man das?
Schroeder: Das macht man, indem die Parteien, die sich in der Mitte orientieren, an ihrem Profil arbeiten und deutlich machen, dass sie das auch mittelfristig umsetzen können. Und wenn man jetzt die Bilanz der großen Koalition nimmt, hat man ja eigentlich schon eine sehr gute Steilvorlage, weil die große Koalition in 15 Monaten 60 Prozent ihrer Regierungsversprechen abgearbeitet hat.
May: Aber die Wähler goutieren es nicht.
Schroeder: Die Wähler goutieren es nicht, weil die Wähler in einem Vertrauensverhältnis zu den Parteien leben, dass sie denen nichts mehr zutrauen, dass sie den Eindruck haben, die sind mit ihrer kleinteiligen Regierungskunst nicht auf der Höhe der Zeit und bewältigen eigentlich nicht die großen Themen, die notwendig sind.
Das ist aber nicht richtig, weil die Kunst des Möglichen als Politik bedeutet, dass man im Schrittweise-Vorgehen versuchen muss, das Große anzuvisieren. Und hier ist ein Defizit der Parteien, dass sie nämlich zu wenig in der Kommunikation an die Bürger rankommen und denen deutlich machen können, was sie da eigentlich treiben. Also es ist ein Stück weit selbst verschuldet auch, diese Krise.
May: Wie lange wird man denn die AfD, gerade im Osten, noch von der Regierungsverantwortung fernhalten können, oder muss man sie irgendwann an der Regierung sogar beteiligen?
Schroeder: Das hängt von der Entwicklung der AfD selbst ab. Die AfD ist ja eine Koalition zwischen parlamentsorientierten und bewegungsorientierten Vertretern. Die bewegungsorientierten Vertreter sehen den repräsentativen Parlamentarismus nicht als das eigentliche Ziel ihres Wirkens an, sondern sie haben eine weitergehende Vorstellung von der Transformation des politischen Systems und unserer Gesellschaft und geraten damit in Konflikt mit dem Verfassungsschutz.
Welcher Teil der AfD setzt sich durch?
Und wenn sich diese Gruppe in der AfD durchsetzen sollte, dann wird es keine Koalition mit der AfD geben. Wenn sich der pragmatische Flügel so durchsetzt, dass es keinen Zweifel mehr gibt, dass diese Partei auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, dann kann man sich durchaus vorstellen, dass es ähnlich wie in den anderen europäischen Ländern, wo wir ja bereits sieben Länder haben, in denen Rechtspopulisten an der Regierung beteiligt sind, dass dies auch in Deutschland zumindest auf Länderebene in einzelnen Fällen denkbar ist.
May: Glauben Sie denn tatsächlich daran, dass sich der pragmatische Teil in der AfD durchsetzt? Jetzt gerade in den neuen Bundesländern haben ja eben eher die Bewegungsvertreter, wie Sie sie gerade genannt haben, also der Flügel die Oberhand. Jetzt der Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz, da berichtet der "Spiegel", dem werden enge Kontakte ins rechtsradikale Milieu nachgesagt, zumindest in der Vergangenheit. Spricht das dafür, dass sich die Pragmatiker durchsetzen in der AfD?
Schroeder: Also, da haben Sie vollkommen recht, wenn man die öffentliche Debattenlage sich anschaut, da hat man den Eindruck, dass die AfD fast eins ist mit dem Flügel und die Pragmatiker eher die nützlichen Idioten, die das Handwerk des bewegungsorientierten Flügels machen. Aber diese Partei ist relativ schlau, das heißt, sie wissen sehr gut: Wenn sich dieser radikale Flügel durchsetzen sollte, dann steht diese Partei vor den Toren des Verfassungsschutzes. Und dann wird es ein ähnliches Schicksal für die AfD geben wie für ihre Vorgängerorganisation, wenn man das jetzt mal im weiteren Sinne so ideenpolitisch einordnen kann, NPD, Republikaner und DVU. Und das werden sie versuchen zu vermeiden, weil ihr Erfolg genau darauf aufbaut, dass es ihnen bisher gelungen ist, die Personen in den Vordergrund zu rücken, die eher für so einen pragmatischen Kurs stehen.
Keine Auswirkungen auf GroKo zu erwarten
May: Herr Schroeder, eine Frage, eine letzte, habe ich noch. Sie haben es eigentlich in der ersten Frage insofern schon beantwortet, dass Sie daran glauben, dass es kein Beben in Berlin geben wird verursacht durch die Landtagswahl. Dennoch: Was müsste denn passieren, damit am Sonntag die schwarz-rote Koalition in Berlin ins Wanken gerät?
Schroeder: Was müsste passieren? Also dann müssten Dinge passieren, die man sich nicht vorstellen kann, dass die CDU in Sachsen rausfällt, dass die SPD in Brandenburg rausfällt, dann hätten wir eine vollkommen neue Lage, wenn gegen diese Parteien in diesen Ländern Regierungen entwickelt werden. Ansonsten ist die Negativentwicklung der beiden Volksparteien eingepreist und die weitere Entwicklung der GroKo hängt augenblicklich betrachtet eher von der SPD ab und ob es ihr gelingt, eine Führungsfähigkeit herzustellen, die auch GroKo-fähig ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.