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Politologe zu Sondierungsergebnis
"Der Traum vom Aufbruch in eine neue Ära sieht anders aus"

Nach den Sondierungsgesprächen hätten CDU, CSU und SPD mit ihrem 28-seitigen Eckpunkte-Papier eine "politikbuchhalterische Fleißarbeit" vorgelegt, sagte der Politologe Werner Weidenfeld im Dlf. Verlierer erkenne er nicht, aber auch keinen politischen Aufbruch.

Werner Weidenfeld im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz (r) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geben sich am 12.01.2018 im Willy-Brandt-Haus in Berlin nach einer Pressekonferenz die Hand.
    Auf 28 Seiten haben die Sondierer sich geeinigt. Werner Weidenfeld meint, damit könne man weiterarbeiten, aber eine Vision, die begeistert, erkennt der Politikwissenschaftler darin nicht. (dpa-Bildfunk / Maurizio Gambarini)
    Stefan Heinlein: Mal gemeinsam, mal getrennt, mal in kleiner, mal in großer Runde – bis in die frühen Morgenstunden saßen die Sondierer zusammen. Dann vor rund zwei Stunden die Meldung: Man hat sich geeinigt auf die Eckpunkte einer Neuauflage der Großen Koalition. Gemeinsam ging man anschließend vor die Presse.
    Mitgehört hat der Münchener Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Guten Tag, Herr Professor.
    Werner Weidenfeld: Guten Tag.
    "Politikbuchhalterische Fleißarbeit"
    Heinlein: Was haben wir da heute Nacht erlebt und heute Morgen, den Durchbruch im Morgengrauen? War das eine politische Show-Veranstaltung für das Publikum und auch für die Genossen, oder war das tatsächlich ein ernsthaftes Ringen um Inhalte bis zur letzten Minute?
    Weidenfeld: Sowohl als auch. Politik ist ja dialektisch. Da können Sie beides tun. Es ist auf der einen Seite natürlich die Inszenierung eines Dramas, eine Machtarchitektur aufzubauen, und da müssen Sie viele Adressaten treffen, die dann zustimmen sollen, und auf der anderen Seite haben Sie natürlich dann am Ende auch ernsthaft zu beraten.
    Die Bilanz, die man inhaltlich ziehen kann, ist: Wenn Sie dieses 28-seitige Papier mal sorgfältig durchlesen, dann kommen Sie auf der einen Seite zu dem Ergebnis, das ist eine politikbuchhalterische Fleißarbeit. Da finden Sie zu allen Teilbereichen und zu vielen sozialen Wohltaten, die dann auch die SPD ihren Anhängern verkaufen kann. Da finden Sie große Kataloge dazu. Der Traum vom Aufbruch in eine neue Ära sieht auch intellektuell anders aus. Das muss man nüchtern zu einer solchen Bilanz sagen.
    Heinlein: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Professor Weidenfeld, ist das ein munteres politisches Potpourri, aber kein großer Wurf, zumindest vielleicht ein Handlungsfaden für eine erfolgreiche Regierungsarbeit in den kommenden vier Jahren?
    Weidenfeld: Ja, die kann man da abarbeiten. Diese 28 Seiten mit allen Details, wo Sie was wie finanziell investieren, erhöhen, Kindergelderhöhung, dann aber auch einzelne, sagen wir, Neuerungen im politischen System, man will einen nationalen Bildungsrat schaffen. Man betont diese verschiedenen Bildungsinitiativen, die man wohl braucht, und will so etwas machen. Dann ganz interessant: Irgendwo nimmt diese Art politische Führung dann doch auf, was an Frustrationen auch geäußert wird, beispielsweise dass man sagt, diese Politik leidet unter einem Orientierungsdefizit. Die Menschen wollen wissen, wo es eigentlich hingeht.
    Was bedeutet das? Auf der letzten Seite des Papiers der Koalition wird angekündigt, dass man nun im Bundestag Orientierungsdebatten führen will, jenseits dieser Befragung der Bundeskanzlerin dann auch noch Orientierungsdebatten. Wie das am Ende inhaltlich wirklich dann aussieht und ob dies das auch liefert, ist im Grunde genommen noch offen.
    "Die Populisten werden da wieder Ernte einfahren"
    Was in der Vereinbarung wirklich auffällt, was Sie vorhin auch in dem Gespräch mit Ihrem Kollegen gesagt haben, ist dieser europapolitische Aufbruch. Der steht nun ganz prominent am Anfang und auch ganz ausführlich. Da ist natürlich der mögliche Dissens zwischen den Koalitionspartnern auch mehr oder weniger gleich null, wenn Sie mal von ein paar verbalen Fassetten wie Vereinigte Staaten von Europa absehen. Da wollen ja alle drei das gleiche, dass dieses Europa handlungsfähig ist, dort wo es Kompetenz hat handlungsfähig, und das wird da auch sehr ausführlich beschrieben und ganz prominent und ganz am Anfang.
    Heinlein: Herr Professor Weidenfeld, ich höre aus Ihren Worten, aus Ihrem Statement wenig Begeisterung für dieses Sondierungspapier, für dieses Ergebnis. Fehlen Ihnen die Visionen? Ist das Ihnen alles zu trocken?
    Weidenfeld: Ja. Nicht zu trocken – ich bin Politikwissenschaftler. Wir arbeiten ja auch trocken. Aber im Grunde genommen ein Zukunftsbild der Gesellschaft – danach besteht ja regelrecht eine Sehnsucht in dieser Gesellschaft. Deshalb werden auch Populisten stärker, weil sie dann immer mal wieder so vereinfachende Antworten bieten. Eine Zukunftsstrategie für diese Gesellschaft, die in sich stimmig ist. Wissen Sie, ein Willy Brandt hat in damaligen Zeiten, als man sagte, jetzt brauchen wir was Neues, damit angefangen zu beschreiben, Demokratie fängt jetzt erst an, Entspannungspolitik und so weiter. Das war ein konkretes Gesellschaftsbild, wo Sie auch in Pro und Contra sich einbringen konnten.
    Heinlein: Ich höre aus Ihren Worten, dass diese wenig ambitionierte Fortführung der Großen Koalition am Ende vielleicht tatsächlich die Befürchtung bewahrheitet, dass die politischen Ränder gerade von rechts gestärkt werden?
    Weidenfeld: Ja! Die Populisten, ob von rechts oder links, werden da wieder Ernte einfahren. Das liegt doch auf der Hand, wenn Sie hier so eine Art buchhalterische Fleißarbeitspolitik leisten.
    "Verlierer ist da in dem Sinne keiner"
    Heinlein: Können Sie denn schon erkennen, wenn Sie diese 28 Seiten durchblättern, wer am Ende hier Gewinner oder Verlierer ist, die Union oder die SPD? Oder kann man das zu gleichen Teilen sagen?
    Weidenfeld: Sie sind alle Gewinner. Verlierer ist da in dem Sinne keiner. So was können die, solche Kompromisspapiere aushandeln. Es ist völlig klar, in diesem Papier muss vielfach auftauchen eine soziale Wohltat, die auch verteilt wird, so wie Erhöhung Kindergeld oder andere Geschichten, Steuerreduzierung für Niedriglöhne, Gesundheitsförderung, Pflege und so weiter, Bekenntnis zur Rentensicherheit. Alles das sind Dinge, die Sie brauchen und die in besonderer Weise die SPD braucht.
    Heinlein: Hat die SPD am Ende eigentlich mehr erreicht, als das Wahlergebnis, diese 20 Prozent es hergeben?
    Weidenfeld: Ja. Ich würde da jetzt nicht jeden einzelnen Prozentpunkt berechnen. Aber die SPD kann im Grunde genommen entspannt , froh und gelassen sein, denn es gibt keine Konstellation, in der man sich überlegen könnte, wo die SPD mehr durchsetzen würde. Ich stelle mir das mal vor, dass die Führung der SPD den Anhängern Ergebnisse vermitteln muss. Wo hätte die SPD-Führung bessere Ergebnisse vermitteln können als in dieser Konstellation, in der sie jetzt ist.
    Heinlein: Entspannt, froh und gelassen – gilt das auch für Martin Schulz? Der muss ja dieses Ergebnispapier in den kommenden Tagen seinen Genossen verkaufen.
    Weidenfeld: Na ja. Das würde selbst ein drittrangiger Politiker können, hier so ein Papier als SPD-Erfolg zu verkaufen gegenüber den eigenen Anhängern. Das wird auch Schulz schaffen.
    "Begeisterungsfähgikeit für Gesellschaftsbild vermitteln"
    Heinlein: Auf dem Parteitag, aber auch bei der Urabstimmung, die dann ja im Anschluss nach den Koalitionsverhandlungen kommen wird?
    Weidenfeld: Das hängt nun davon ab, wie die politische Führung dies auch vermittelt. Wenn die politische Führung nicht mehr vermittelt als so einen kleinen Katalog von statistischen Daten, das begeistert natürlich nicht. Die politische Führung der SPD muss die Begeisterungsfähigkeit für ein Gesellschaftsbild, das in diesem Papier steckt, vermitteln können. Das muss sie herauskitzeln. Und wenn sie das kann, dann bestehen keine Bedenken, dass sie auch auf den verschiedenen Ebenen die Zustimmung findet.
    Heinlein: Als Ergebnis dieser Nacht, dieses Morgens können wir einen Knopf an diese Große Koalition machen?
    Weidenfeld: Ja.
    Heinlein: Das war der Münchener Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld live aus München. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Weidenfeld: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.