Jasper Barenberg: Wird es eine Revolte geben, möglicherweise Rücktritte? Befürchtet wurde ja vieles vor der Klausur des britischen Kabinetts zur Brexit-Strategie, eingetreten aber ist nichts von alledem. Dabei hat sich Theresa May offenbar durchgesetzt mit ihrem Ziel, für die Zeit nach dem EU-Austritt Großbritannien auf eine Freihandelszone mit Europa zu setzen, also auf einen weichen Brexit. Die Verfechter eines harten Schnitts scheinen sich – für den Moment jedenfalls – zu fügen.
Mein Kollege Daniel Heinrich hatte schon gestern Abend Gelegenheit, darüber mit dem Politikwissenschaftler Anthony Glees von der Buckingham University zu sprechen.
Daniel Heinrich: Herr Glees, ist das der Befreiungsschlag für Theresa May und die Anhänger des weichen Brexits?
Anthony Glees: Ha, das weiß wirklich kein Mensch heute Abend, und wir werden das erst in den nächsten Tagen und Monaten zu spüren bekommen. Was wir heute Abend anscheinend bekommen haben, ist ein Kompromiss zwischen den Verbleibern, den "remainers", und den Brexiters. Aber ob dieser Kompromiss von der konservativen Partei angenommen wird, ob dieser Kompromiss von den Abgeordneten im Unterhaus, die hauptsächlich verbleibende "remainers" sind, angenommen wird, und ob letzten Endes dieser Kompromiss von den Wählern angenommen wird, von den Zeitungen gar nicht zu reden, das ist eine ganz andere Sache.
Und ob diese Politik, diese kompromissvolle Politik, wo auf der einen Seite für die Brexiters mit Dienstleistungen, mit Freihandel gemacht wird, und auf der anderen Seite für die großen Firmen – BMW, Airbus – immer noch eine Art Zollunion bleiben wird, ob das sich halten kann, muss doch auch fragwürdig sein.
Heinrich: Ja, lassen Sie uns auf die Details gleich zu sprechen kommen. Also es ist doch kein Etappensieg für Theresa May, wie angenommen?
Glees: Theresa May wird, glaube ich, glücklich darüber, dass keiner den Rücktritt erklärt hat.
"Dann sind wir bei dem diamantharten Brexit"
Heinrich: Für das bisschen, so weit ist sie schon?
Glees: Das kann als eine Stärkung ihrer Position angesehen werden. Aber natürlich, das kann auch nachteilig für sie wirken, denn wenn die nicht zurückgetreten sind, kann das entweder bedeuten, dass die Brexiters – Johnson, Gove, die harten Leute – meinen, letzten Endes werden sie wohl ihre Politik bekommen, oder auf der anderen Seite, dass die kalkulieren, die EU27 wird Nein zu Theresa May sagen, und wenn die Nein sagt, dann sind wir bei dem diamantharten Brexit.
"Die Stärke von Theresa May ist leider auch ihre Schwäche"
Heinrich: Aber jetzt hat Theresa May ja schon angekündigt, sie würde Boris Johnson notfalls auch rausschmeißen. Ist sie stark genug dafür?
Glees: Ich glaube nicht. Ich glaube, die Stärke von Frau May ist leider ihre Schwäche. Sie ist die Frau von Kompromissen und die Frau von klugen Worten, die zwar das Kabinett offenbar zusammengehalten hat heute Abend, aber ob das ein überzeugender Zusammenhalt sein kann, das ist eine ganz andere Frage. Und Theresa May weiß doch ganz genau, das, was auch heute Abend gesagt worden ist, ihre Stelle, sobald wir März im nächsten Jahr erreicht haben, bestimmt offen sein wird. Ich glaube nicht, dass die Tories nochmals Theresa May sie in einen Wahlgang führen lassen werden.
Also sie hat vielleicht etwas wie Neville Chamberlain in München 1938 erzählt, ein Vertrag ist da, ein Stück Papier mit Unterschriften drauf, aber ob das den Bruch mit der Europäischen Union verhindern kann, ob das die Arbeitslosigkeit in Großbritannien verhindern kann, das sieht ganz anders aus.
Heinrich: Lassen Sie uns mal auf die Ergebnisse oder was da heute beschlossen wurde blicken, Herr Glees. Die Briten wollen eigene Handelsabkommen mit anderen Ländern abschließen dürfen. Andere EU-Staaten dürfen das nicht. Ist das nicht ein bisschen zu "obvious", zu offensichtlich das Beste aus beiden Welten wollen?
Glees: Das kann man bestimmt so sehen, wie man im Englischen sagt: Den Kuchen haben und auch den Kuchen essen zugleich. Das war ja die große Politik von Boris Johnson, zu sagen, letzten Endes können wir das Beste beider Welten haben. Nun wissen wir, dem wird die EU27 einfach nicht zustimmen können.
"Die Dienstleistungen profitieren vom Binnenmarkt"
Heinrich: Ja, Herr Glees, aber wie kommt denn dann Theresa May darauf zu sagen, diese Vorschläge seien auch gut für die EU?
Glees: Sie sagt das, weil das auch eigentlich ein Brexit-Gedanke ist, dass Großbritannien so groß ist als Absatzmarkt, besonders für deutsche Waren, besonders für deutsche Wagen, dass letzten Endes die EU27 Ja zu dem sagen wird. Besonders weil, was Waren angeht, es eine Art Freihandelszone geben soll ohne Zölle und ohne Grenzen. Und das haben ja die großen Autohersteller, Airbus auch, gesagt, das müsste sein.
Aber wenn man von Dienstleistungen spricht, 85 Prozent von dem, was die Briten verkaufen, auch in die Europäische Union, das sind Dienstleistungen. Und da gerade frei herumzugehen wird die Dienstleistungen bestimmt zerstören, denn die Dienstleistungen gerade profitieren vom Binnenmarkt, damit man die Qualifikationen zum Beispiel, die in der Europäischen Union überall anerkannt werden. Wenn das nicht mehr der Fall ist, können die Briten nicht mehr im Binnenmarkt verhandeln. Also das sind große Probleme, die noch zu lösen sind.
Heinrich: Also hat Tom Enders recht, wenn er sagt, die britische Regierung habe keine Ahnung und keine Einigkeit, wie sie den Brexit ohne Schaden überstehen kann?
Glees: Ich glaube, das ist so, keine Ahnung. Und wir sehen auch, dass - das Kabinett hat wirklich Mitglieder, die wirklich nicht verstanden haben, was der Binnenmarkt bedeutet, was eine Zollunion ist. Das wissen wir, dass führende Leute, Beamte dem einzelnen Minister erklären müssten, wie das alles seit 40 Jahren funktioniert hat. Also eine Unwissenheit. Aber hinter dem allen steht die große Angst der Regierung vor Nigel Farage, vor den 52 Prozent, die den Brexit gewählt haben. Das wollte ja Theresa May die ganze Zeit, die war ja gegen den Brexit, das wissen wir, besonders aus Sicherheitsgründen, aber letzten Endes wollte sie etwas haben, sie könnte es den Brexit nennen, und hoffte damit, den Schaden, der dem britischen Volk zugefügt würde, so milde zu halten wie nur möglich. Das wird für sie in den kommenden Wochen und Monaten ein schwerer Kampf sein.
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