Jörg Münchenberg: Zugehört hat nun der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden. Herr Patzelt, ich grüße Sie!
Werner Patzelt: Guten Tag, Herr Münchenberg!
Junge Leute als beste Garanten?
Münchenberg: Würden Sie denn sagen, Herr Patzelt, das war ein geschickter Schachzug von der neuen Parteichefin, jetzt mit Ziemiak auch den konservativen Flügel zumindest zu versuchen einzubinden?
Patzelt: Ja, es war ein geschickter Schachzug, denn wenn man den Worten, man wolle die Partei einen und dabei breit genug aufstellen, Taten folgen lassen will, dann ist das eine sehr klare Tat. Und zum anderen ist das zukünftige Schicksal der CDU, gerade den aufstrebenden Jungen in der Partei ein besonderes Anliegen. Und sollte es notwendig sein, die CDU noch weiter zu erneuern, dann sind junge Leute mit ihrem eigenen Interesse an einem künftigen Erfolgskurs die besten Garanten, dass man sich ernsthaft anstrengt.
Münchenberg: Ist das auch vielleicht auch ein Versuch jetzt, wenn wir mal ein bisschen weiterdenken, Richtung AfD?
Patzelt: Die AfD ist der Hauptgegner der Union, und folglich ist die einzige zielführende Strategie die gleiche wie beim Schach: Dem Gegner muss man seine Felder verstellen. Das ist das, wofür Merz gestanden hätte, auch Spahn gestanden hätte, der neue Generalsekretär steht. Es kommt alles darauf an, ob die Parteivorsitzende das zulässt, und bei denen, die glauben, dass der alte Kurs eigentlich der richtige gewesen ist, eine solche Kursveränderung auch durchsetzt. Eine Art Friedensangebot kann es natürlich nicht sein, denn wie gesagt, die AfD ist der Hauptgegner und kein künftiger Koalitionspartner der Bundes-CDU.
Diskussion in der Partei um die richtige Linie
Münchenberg: Lassen Sie uns noch mal auf diese Personalie Ziemiak ein bisschen genauer schauen. Der ist ja auch erklärter Kritiker von der Bundeskanzlerin, er hat die Flüchtlingspolitik zum Beispiel scharf kritisiert. Ist diese Personalie letztlich auch ein Signal von Annegret Kramp-Karrenbauer, sich ein Stück weit hier von Merkel auch abzugrenzen?
Patzelt: Das kann sehr wohl ein solches Signal sein, allerdings muss es erst durch Anschlusstaten der neuen Parteivorsitzenden beglaubigt werden. Es könnte nämlich auch ein Placebo sein, das der innerparteilichen Befriedung dient, und ansonsten hoffe man, mit dem bisherigen Kurs weiterzufahren. Es kann aber auch ein Signal sein, dass man sich tatsächlich von den Fehlern der Merkel'schen Migrationspolitik, der Merkel'schen Integrationspolitik, der Merkel'schen Identitätspolitik lösen will und neue Wege erkundet. Und wenn der Weg im nächsten Jahr nicht zum Erfolg führen sollte, also erhebliche Niederlagen bei den ostdeutschen Landtagswahlen für die Union drohen, dann wird die Debatte in der Partei um die richtige Linie erst so richtig anheben.
Münchenberg: Nun hat Herr Ziemiak das Amt des Generalsekretärs erst abgelehnt – das hat ja unsere Reporterin gerade berichtet –, dann doch jetzt zugestimmt gestern Abend. Na ja, es klingt so ein bisschen nach ziemlich holprigem Start.
Patzelt: Man kann es auf zweierlei Weise betrachten. Die boshafte Weise ist, dass hier jemand seinen Karrierepfad verfolgt und nun sein Mäntelchen nach dem Winde hängt – das ist die boshafte und wahrscheinlich nicht zutreffende Deutung. Die andere Deutung ist die, dass natürlich einer, der politisch, inhaltlich, auch landsmannschaftlich mit Merkel und Spahn verbunden ist, in der entscheidenden Phase, in welcher der Kampf zwischen den dreien ausgetragen wird, ja nicht auf beiden Seiten tätig sein, sozusagen auf beiden Schultern tragen kann. Sollte die Ernennung oder der Vorschlag und die Wahl des neuen Generalsekretärs tatsächlich als solches Integrationsinstrument gemeint gewesen sein, dann hätte freilich der JU-Vorsitzende sich auch völlig richtig verhalten.
Münchenberg: Trotzdem, Herr Patzelt, das Wahlergebnis ist ja nicht gerade überschäumend, knapp 63 Prozent. Ist das am Ende vielleicht auch Ausdruck eben jener Spaltung, die in der CDU gerade herrscht?
Patzelt: Das, glaube ich, ist die zutreffende Beschreibung. Es ist ja nicht so, als ob die gesamte CDU der Meinung wäre, dass der frühere Kurs richtig war, als ob die gesamte CDU der Meinung wäre, dass es jetzt eine Revision gerade in migrations-, integrations- und identitätspolitischen Fragen bräuchte, da ist die Partei gespalten. Sie wird verschiedene Dinge klugerweise erproben wollen, verschiedene Rhetoriken, verschiedene Neupositionierungen, und die Wahrheit ist wie beim Fußball sozusagen auf dem Platz, nämlich bei der Europawahl und den Landtagswahlen des nächsten Jahres. Wenn dann eine veränderte Unionsstrategie keine Früchte trägt, dann fängt die Amtszeit der neuen Parteivorsitzenden mit einer Krise an.
Jetzt müssen auf Worte Taten folgen
Münchenberg: Sie haben ja vorhin schon gesagt, Ziemiak steht ja letztlich auch dafür, dass neue junge Leute auch eine Chance bekommen in der Partei. Jetzt hatten wir diesen Dreikampf der Kandidaten auch, da war viel die Rede von neuem Wind in der CDU, Öffnung, die Fenster werden aufgemacht. Die Frage ist ja schon, was bleibt davon übrig.
Patzelt: Das müssen wir wirklich sehen. Bislang war Frau Kramp-Karrenbauer eine Frau, die sehr kompromisslos jenen Kurs immer vertreten hat, den sie für richtig hält. Es kann schon sein, dass sie neue Akzente, Veränderungen der bisherigen Politik für richtig hält, um die Union wieder, wie es die Hoffnung von vielen ist, in die Höhe von 40 Prozent bei Bundestagswahlen zu bringen. Das kann sein, und dann muss man jetzt auf jene Taten warten, die den guten Worten folgen werden oder eben auch nicht.
Münchenberg: Die spannende Frage ist ja auch, wie tief – wie ist da Ihre Einschätzung – geht letztlich der Riss nach dieser Kampfkandidatur, denn es gibt ja auch viele Kommentatoren, die sagen, das wird so schnell eben doch nicht zu kitten sein, ein Ziemiak als Generalsekretär hin oder her.
Patzelt: Der Riss geht schon ziemlich tief, er ist aber weniger ein Riss entlang von verletzter Eitelkeit bei den Vorsitzendenwahlen. Es ist ein Riss ob der Frage, was denn die erfolgreiche Strategie der Union ist. Die eine Linie in der Partei sagt, schaut, wir sind doch gut damit gefahren, dass wir uns von links als Union unangreifbar gemacht haben, dass wir im Grunde dort stehen, wo früher die sozialdemokratische Partei auf vielen Politikfeldern gestanden hat. Und indem wir mit den Grünen koalieren, sichern wir auf Dauer eine vernünftige Politik von der politischen Mitte aus. Das ist eine Position, die viel Plausibilität innerhalb der Partei für sich hat. Die anderen sagen, na ja, das Risiko dieser Strategie ist gewesen, dass rechts von der Union eine neue Partei entsteht, und dieser Kurs hat uns, die Union, dazu geführt, das gleiche strategische Dilemma zu erleben, in welchem sich die SPD befindet. Aus der zunächst unterschätzten grünen Partei, die man als Juniorpartner so zu behandeln gedachte, wie ein Koch seinen Kellner behandelt, ist es eine Partei geworden, der wir uns unterzuordnen haben, weil die Grünen stärker sind als wir. Und so vermuten es manche in Bezug auf die AfD. Es ist also eine sehr große Sorge ob der Zukunft der Union, und das ist der Riss, der die Partei in vielen Gesprächen, in vielen Debatten, bei vielen Entscheidungen in taktischen Fragen zerreißt.
Münchenberg: Und was die Wähler davon denken und halten, das werden wir im nächsten Jahr sehen. Das waren die Einschätzungen des Politologen Werner Patzelt. Herr Patzelt, besten Dank für Ihre Zeit heute Mittag!
Patzelt: Gerne geschehen!
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