Christiane Kaess: Herr Oberreuter, ist das ein Krisenparteitag der CSU?
Heinrich Oberreuter: Es ist natürlich ein Krisenparteitag, wenn ich Ihren Begriff richtig verstanden habe. Die Atmosphäre ist hier ein bisschen sehr problematisch für Telefoninterviews. Die CSU ist seit Jahrzehnten nicht mehr so herausgefordert. Sie ist im Vorfeld dieser Landtagswahl durch Personalquerelen und durch auch Intrigen zur Ablösung des Ministerpräsidenten gespalten. Sie ist gegenwärtig gespalten durch die Kluft zwischen Landesinteressen und Bundesinteressen. Und sie hat diese Umfragewerte, wie allgemein bekannt, und was wir hier erleben, ist der Versuch, Optimismus, bayerische Eigenstaatlichkeit, Verdienste der CSU um Wohlstand und Zukunftsfähigkeit des Freistaats, parteiliche Geschlossenheit zu zelebrieren und damit ein Desaster, das auf sie zukommt, vielleicht noch aufzuhalten oder zumindest so erträglich wie möglich zu gestalten.
"Lob von Seehofer für Söder nicht enthusiastisch"
Kaess: Und wie soll denn dieser Schulterschluss, der jetzt vor allem durch Seehofer und Söder gezeigt werden soll, wie soll denn der gelingen, wenn die beiden so lange Konkurrenten waren, und bei diesen ganzen Querelen, die Sie gerade eben angesprochen haben?
Oberreuter: Man hat gesehen, dass Seehofer das Seine tat bei dieser Rede, Söder zu loben für seinen Einsatz, für die Kontinuität, für die Zukunftsfähigkeit. Aber man eigentlich auch spüren können, zumindest, wenn man die beiden ein bisschen kennt, dass dieses Lob von Seehofer für Söder also sicher nicht enthusiastisch vorgetragen worden ist. Man hätte sich auf einem Parteitag sozusagen theatralischere Gesten und Worte erwarten können. Und ein Händedruck danach sagt dann relativ wenig aus. Aber es bleibt nichts anderes übrig, als dass beide aufeinander zu gehen. Und was beide voneinander halten, das weiß man ja im Grunde auch, und in Journalistenkreisen in Berlin kursiert ja auch eine treffliche Lageeinschätzung für die Vorbehalte, die Seehofer gegen Söder und Söder gegen Seehofer hat. Man muss dies im Augenblick einfach sozusagen opportunistisch übertünchen. Und man muss dann schauen, wie es nach einem komplizierten Wahlergebnis weitergeht.
Die Bayern haben sich verändert
Kaess: Wer ist denn schuld an den schlechten Umfragewerten?
Oberreuter: An den schlechten Umfragewerten ist aus meiner Perspektive schuld, dass man in einer komfortablen Situation, die ja auch durch Leistungen erzielt worden ist, die die CSU in Bayern geradezu alternativlos gemacht hat, wenn man den Abstand zu den anderen Parteien sich anguckt, dass man in dieser komfortablen Situation den Blick auf wirkliche, reale gesellschaftliche Entwicklungen verloren hat. Die Gesellschaft pluralisiert sich. Die Bayern von heute sind nicht mehr die Bayern von vor 20 Jahren oder vor zehn oder 15. Die einzelnen Gruppierungen in der Gesellschaft formieren sich nicht mehr nach katholisch/evangelisch, Arbeiter/Angestellte, sondern sie gruppieren sich nach Interessen, nach Konfliktlagen, nach Akzenten, die man gern sehen würde. Man will mit seiner Position in der Politik vertreten sein, und damit gerät das überkommene und eigentlich vorzügliche Volksparteienkonzept in die Erosion.
"Oft nicht sehr geschmackssichere Positionierung"
Kaess: Gehen wir mal davon aus, Herr Oberreuter, dass auch die Spitzen der Partei eine Mitschuld haben, dann frage ich Sie mal, wer ist denn mehr schuld, Markus Söder als Ministerpräsident oder der CSU-Chef Seehofer?
Oberreuter: Ja, natürlich kommt zu diesen strukturellen Erwägungen, die ich für ganz wesentlich halte, dazu, dass die Parteiführung der Vergangenheit diese Entwicklungen nicht gesehen hat, nicht sehen wollte, auch nicht gehört hat, wenn man es ihnen gesagt hat. Und was dann in der Aktualität dazugekommen ist, das ist natürlich eine strikte und in der verbalen Inszenierung durchaus oft nicht sehr geschmackssichere Positionierung der CSU im deutschlandweiten Politikfeld. Die Kontroversen in Berlin, die ja fast schon die Fraktionspartnerschaft zur CDU in Zweifel gezogen hätten, die überzogene Kritik an Angela Merkel – was willst du eigentlich mit deiner Richtlinienkompetenz ?
Kaess: Ja, das war ja offenbar die Strategie von Horst Seehofer, sich abzugrenzen von der CDU.
Oberreuter: Ich hab Sie jetzt überhaupt nicht verstehen können.
"Die Verlässlichkeit der CSU ist in Zweifel geraten"
Kaess: Ich wiederhole es noch mal. Ich sage, das war ja offenbar Horst Seehofers Strategie, sich abzugrenzen von der CDU, vor allem von Angela Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik, und die spielt auch für die Wähler in Bayern, das weiß man aus den Umfragen, immer noch eine große Rolle. Warum ist diese Strategie trotzdem nicht aufgegangen?
Oberreuter: Die Strategie ist ja nicht aufgegangen. Die Strategie war zunächst "hart gegen Merkel", dann im Vorfeld der Bundestagswahl hat man mit ihr wieder die Union gesucht. Das ist bei vielen Wählern nicht angekommen, die Verlässlichkeit der CSU, für etwas zu stehen, ist in Zweifel geraten. Und das, was ich vorhin geschildert habe, die harte Positionierung, hat dann nicht die rechts Orientierten ins Lager der AfD getrieben allein, sondern hat die liberaler Denkenden von der CSU weggetrieben. Und ich vermute, und die Demoskopie sagt das ja auch, dass die Grünen und die Freien Wähler davon im Wesentlichen, die FDP vielleicht auch, profitieren werden. Also, es ist keine Strategie, wenn die demoskopischen Werte uns signalisieren, dass wir in einer falschen Position sind, dann ändern wir die Position um 180 Grad. Dann bin ich in einer Glaubwürdigkeitsfalle, und das ist das, was die Leitung und Führung der Partei sich gegenwärtig deutlich ankreiden lassen muss, dass sie selbstverschuldet in diese Bredouille geraten ist.
"Scharfe Positionsbestimmung gegenüber der AFD"
Kaess: Das heißt, Herr Oberreuter, auch zuletzt diese Attacken von Söder von Seehofer gegen die AfD, die kommen letztendlich zu spät?
Oberreuter: Was ich gegenwärtig sehe, wenn ich Ihre Frage überhaupt verstanden habe, was ich gegenwärtig sehe, ist, dass die frühere Politik einfach durch inhaltliche Positionierung in der Migrationsfrage Brandmauern gegen die AfD zu bauen, die ist nicht aufgegangen durch diesen Wackelkurs vor der Bundestagswahl. Und jetzt sehen wir sehr deutlich eine scharfe, polemische Auseinandersetzung kontra AfD, deren Bürgerlichkeit verleugnet wird, deren Schulterschluss mit Pegida und Rechtsextremen kritisiert wird. Im Grunde kann man im Augenblick sagen, was hier passiert, ist eine Art verbaler Krieg in die Rechtsaußen-Richtung, und die Beschwörung der Position, dass man mit solchen Rechten, auch wenn man der Meinung ist von Franz-Josef Strauß, rechts von uns darf es keine angemessen liberale politische Partei geben, das ist von der AfD verbraucht. Die AfD wird als solche nicht akzeptiert, wird als rechtsradikal und rechtsextrem eingestuft. Und damit setzt man sich hier und eigentlich seit Tagen schon auseinander in einer ganz scharfen Positionsbestimmung.
Keine Alternativen für Söder - für Seehofer schon
Kaess: Ganz zum Schluss, über eine Sache müssen wir noch sprechen: Nach der Wahl, wer übernimmt die Verantwortung? Horst Seehofer tritt als CSU-Chef zurück, vielleicht als Bundesinnenminister, und Markus Söder als Ministerpräsident – ist das realistisch?
Oberreuter: Die Situation nach der Wahl wird für Söder nicht schädlich sein, weil es keine Alternativen gibt, die sich positioniert hätten. Die Situation nach der Wahl könnte gefährlich werden für Horst Seehofer, wenn die Gefährdung aus dem Inneren der Partei heraus kommt. Und wenn man hier mit Delegierten spricht und auch mit Mandatsträgern speziell aus der Landtagsfraktion, die ja ohnehin immer einen Anti-Kurs und gegen Seehofer und pro Söder gefahren ist, dann hört man sehr deutlich, dass die Berliner Attitüden und die Berliner Strategie von Seehofer, die Flüchtlingspolitik sozusagen von Woche zu Woche neu auf die Tagesordnung zu stellen, dass die als schädlich empfunden wird, und dass die also bei einem schlechten Wahlergebnis als mit ursächlich eingeschätzt wird. Und wenn aus dieser Position heraus eine Anti-Seehofer-Welle und Ablösungswelle existiert, dann würde wahrscheinlich die Koalition in ihrer Stabilität erhalten bleiben, aber die CSU würde einen neuen Innenminister brauchen und letztendlich auch einen neuen Parteivorsitzenden, weil es undenkbar ist, dass Seehofer ohne Amt, ohne Regierungsamt die Partei führen kann. Er wäre beschädigt. Und wenn Merkel ihn gegen den Willen der CSU entlassen sollte, dann hat Merkel ein Problem.
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