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Politologe zum USA-Iran-Konflikt
"Europäer sind an einer kollektiven Sicherheit in der Region interessiert"

Europa müsse im amerikanisch-iranischen Konflikt eine eigene Position finden, sagte Cornelius Adebahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Dlf. Zudem müssten die europäischen Interessen unabhängig von der amerikanischen Politik umsetzt werden.

Cornelius Adebahr im Gespräch mit Sandra Schulz |
Die Flaggen des Iran und der EU nebeneinander.
"Die Iraner fühlen sich angegriffen in ihrer Souveränität", sagte Cornelius Adebahr im Dlf (AFP / Emmanuel Dunand)
Sandra Schulz: Nach dem Iran sieht sich jetzt auch der Irak mit massiven Drohungen von US-Präsident Donald Trump konfrontiert. Zuletzt war der Widerstand gegen die USA in Bagdad gewachsen. Seit der gezielten Tötung des iranischen Kommandeurs Soleimani, bei dem auch irakische Militärs getötet wurden, und der Tötung, die auch nicht mit Bagdad abgesprochen war, bricht sich die Unzufriedenheit mit dem Bündnispartner jetzt weiter Bahn. Das Parlament in Bagdad forderte einen Abzug der US-Truppen und US-Präsident Donald Trump antwortet mit der Drohung von Sanktionen.
Der Drohnenangriff auf den iranischen Kommandeur hatte im Iran schon am Wochenende Hunderttausende auf die Straßen gebracht. Weinende Menschen sind auf den Bildern von den Kundgebungen zu sehen, aber auch viel Wut. Klar ist: Die Staatsführung im Iran kann den US-Schlag ummünzen in neue Rückendeckung im eigenen Land. Nach Angaben iranischer Staatsmedien nehmen heute Millionen teil an der Trauerfeier in Teheran für Soleimani, und das geistliche und staatliche Oberhaupt Chamenei vergießt bei der Zeremonie Tränen.
Wir können in den kommenden Minuten mit einem Mann sprechen, der sich in der Region sehr gut auskennt und auch mit den Konflikten dieser Region. Am Telefon ist Cornelius Adebahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Schönen guten Tag!
Cornelius Adebahr: Schönen guten Tag, Frau Schulz.
Schulz: Können wir jetzt schon mal festhalten, dass Donald Trump jedenfalls dafür gesorgt hat, dass die Bevölkerung und die geistliche Führung im Iran da jetzt richtig eng zusammenrücken?
Adebahr: Das ist zumindest das, was die Bilder aus Teheran und aus anderen Landesteilen uns vermitteln. Es ist auf jeden Fall so, dass jetzt durch diesen Anschlag, durch diese Tötung von General Soleimani sich die Dynamik noch einmal verändert hat. Wir hatten ja gerade im Iran, aber auch im benachbarten Irak starke Proteste der Bevölkerung gegen die jeweiligen Regierungen gesehen – vor wirtschaftlichem Hintergrund, vor politischem Hintergrund – und durch diesen Angriff, durch diese Tötung hat sich das nun dahin verkehrt, dass ein großer Zusammenhalt stattfindet. Wie weit der geht, auch gerade in der iranischen Bevölkerung, das lässt sich von außen nur schwer absehen. Aber es sind auf jeden Fall andere Bilder als noch vor zwei Monaten, als man sehen konnte, wie die iranische Staatsführung, wie der Sicherheitsapparat auf demonstrierende Menschen geschossen hat.
"Einen Punkt getroffen, der die Iraner vereint"
Schulz: Wir haben die Schilderungen ha gerade gehört vom Auftritt Chameneis bei der Trauerzeremonie. Wir sehen eine ja ungeheure emotionale Aufladung. Ist das die größte Gefahr für die USA?
Adebahr: Es ist auf jeden Fall ein wunder Punkt, den Sie da getroffen haben. Es ist ja auch ein eigentlich ungeheuerlicher Vorgang, durch eine solche gezielte Tötung direkt die Kommandoebene, die militärische Führung eines Landes, mit dem man nicht im Krieg steht, anzugreifen. Das ist ein Schritt, mit dem wenige oder eigentlich niemand gerechnet hat, dass die USA das machen würden. Die Trauer, das Leid, was jetzt, muss man sagen, auch medial ausgeschlachtet wird, das ist tatsächlich etwas, was wiederum auch sehr stark im Iran in der schiitischen Religion verhaftet ist. Es gibt jährliche Trauerfeste für Märtyrer, Glaubensmärtyrer, die vor Hunderten von Jahren gestorben sind. Das ist nichts Ungewöhnliches. Aber es zeugt davon, dass die Amerikaner da einen Punkt getroffen haben, der die Iraner vereint und auch weit mehr vereint, als sie sich normalerweise hinter das Regime stellen würden.
Schulz: Und diese Trauer wird auch instrumentalisiert, oder ist dieser Vorwurf zynisch?
Adebahr: Ich glaube, es kommt dem Regime sehr recht und es nutzt die Gunst der Stunde. Das kann man instrumentalisieren nennen. Aber das ist eine genuine Trauer. Die Iraner fühlen sich angegriffen in ihrer Souveränität. Dieser General Soleimani, der getötet wurde, war weit über die politischen Kreise hinaus bekannt. Er wurde lange Zeit und wird jetzt als ein Nationalheld gefeiert. Er hat in den 80er-Jahren im Iran-Irak-Krieg gekämpft. Er war jetzt dafür mitverantwortlich, dass der Islamische Staat zurückgeschlagen wurde, der ja auch Iran direkt bedroht hat. Im Kampf gegen den IS hat er auch mit dem Westen, mit den USA zusammengearbeitet, soweit das ging. Er ist zuletzt in sehr hoher politischer Gunst gewesen und das ist nicht irgendeine Person, die die USA da beseitigt haben, sondern das ist jemand, dem auch politische Ambitionen nachgesagt wurden, die er immer wieder abgestritten hat. Da hat man sich ein sehr symbolträchtiges Ziel ausgesucht.
Schulz: Jetzt scheint Teheran, die neue Beinfreiheit zu genießen, ist sicherlich auch überspitzt formuliert, aber zumindest zu nutzen und kündigt jetzt an, sich noch weiter zurückzuziehen vom Atomabkommen. Ist damit jetzt offiziell, dass der Iran wieder an der Bombe bastelt?
Adebahr: Nein. Das eine ist nicht direkt mit dem anderen verbunden und man muss dazu sagen: Den Rückzug von den Verpflichtungen aus dem Atomabkommen hatte Teheran ja schon angekündigt, auch diesen Schritt. Seit dem Sommer geht Teheran sukzessive Schritte aus dem Atomabkommen. Auch in der jetzigen Erklärung hat es noch mal betont, dass diese Schritte rückgängig gemacht würden, sobald die andere Seite, die Europäer, die Amerikaner, die Russen und die Chinesen, ihre Verpflichtungen aus dem Deal umfassend einhielten. Da geht es dann vor allen Dingen um wirtschaftlichen Austausch mit Iran, was ja zum Erliegen gekommen ist. Das, was jetzt in Teheran passiert ist, war erstens vorhersehbar, hat nichts mit der Tötung des Generals zu tun, oder sehr wenig, und heißt auch nicht, dass Iran jetzt an einer Bombe baut. Iran wird weiterhin von der Internationalen Atom-Energieorganisation kontrolliert. Da darf man nicht überstürzen, von dem einen auf das andere zu schließen.
"Ein Nebeneffekt dieser Tötung"
Schulz: Es ist ja auch keine neue Entwicklung, dass das Atomabkommen totgesagt wird nach dem Rückzug der USA aus dem Abkommen. Aber Sie halten das für übertrieben?
Adebahr: Es ist jetzt schon sehr schwer von einem funktionierenden Atomabkommen zu sprechen, wenn sich Iran an die wesentlichen Bestandteile nicht hält. Der Begriff "Hirntod" ist Ende letzten Jahres in anderem Zusammenhang verwendet worden. Das JCPA wird seit längerem auf der Intensivstation gewähnt (JCPA, der Atom-Deal). Das ist nichts Neues in dem Sinne. Die Probleme liegen darin, dass vor allen Dingen die Europäer, aber auch Russen und Chinesen es nicht schaffen, Handel aufrecht zu erhalten im Angesicht der US-Sanktionen, dass sie da ihre Hände gebunden sehen. Banken wollen keine Finanztransfers machen, Unternehmen scheuen davor, iranische Partner weiterhin zu beliefern oder von ihnen zu kaufen. Das ist das Problem der Europäer, was ja eigentlich separat behandelt werden sollte von der aktuellen regionalen Eskalation.
Schulz: Jetzt müssen wir noch mal weitergucken in das Nachbarland Irak, wo sich jetzt auch diese Zuspitzung, diese Entwicklung, diese kaum für möglich gehaltene Entwicklung gestern Abend ergeben hat, dass das Parlament mehrheitlich den Abzug der US-Truppen fordert. Ist damit klar, dass jetzt auch im Irak der iranische Einfluss wächst?
Adebahr: Das stünde auf jeden Fall zu befürchten. Das ist ja ein weiterer Nebeneffekt dieser Tötung. Es war ja nicht nur der iranische General, der getroffen wurde; es war auch ein irakischer Milizenführer, es waren weitere Irakis unter den Opfern dieses Drohnenangriffs. Das darf man nicht vergessen, dass unabhängig von der Verletzung irakischer Souveränität, die hinter diesem Angriff ja steckt, auch Iraker zu beklagen sind und gestorben sind, was direkt jetzt die Iraker als Volk oder als Nation auch betrifft, oder zumindest die schiitischen Iraker.
Was die Resolution des Parlaments betrifft, ist die zunächst mal nicht bindend. Die Regierung ist aufgefordert, für den Abzug aller ausländischen Truppen zu sorgen. Es geht auch nicht nur gegen die US-Truppen, sondern es sollen alle ausländischen Truppen Irak verlassen, auch die Europäer, die im Rahmen des Kampfes gegen den IS dort stationiert sind. Da wird man mit der irakischen Regierung sprechen müssen – man heißt die Europäer als solche, aber auch mit anderen beteiligten Nationen, vor allen Dingen mit anderen Golfstaaten auch -, was man tun kann, wie man jetzt einerseits dem Wunsch des Parlaments vielleicht oberflächlich entsprechen kann, aber gleichzeitig an der gemeinsamen Bekämpfung des Islamischen Staats festhalten kann.
"Die grundsätzliche Überlegung der Europäer"
Schulz: Gibt es denn nach der Entwicklung jetzt überhaupt Gründe für die Europäer zu sagen, wir wollen aber mit unseren Truppen im Land bleiben?
Adebahr: Ich denke, dass gerade die Eskalation noch mal aufzeigt, wie wichtig es ist, dass Irak als stabiles Land, als Land, was im Wesentlichen aus drei Bevölkerungsgruppen zusammengesetzt ist, Schiiten, Sunniten und den Kurden im Norden, dass dies als ein gemeinsamer Staat erhalten bleibt. Wenn jetzt Irak alleine den Kampf gegen den jetzt wieder erstarkenden Islamischen Staat aufnehmen sollte, wäre es sicher damit überfordert. Diejenigen, die zur Hilfe kommen würden, wären die Iraner. Dann hätte man automatisch den Iranern das Nachbarland nun wirklich auf dem Silbertablett präsentiert, um da seinen Einfluss auszudehnen. Das ist ja nun das, was die Europäer bislang nicht wollen. Dann wäre Irak gewissermaßen ein Vasallenstaat des Iran, und ironischerweise haben sich ja gerade die Proteste im Irak im Herbst gegen den Einfluss Irans gerichtet. Da sind Menschen auf die Straße gegangen, sind gestorben, weil sie gegen den iranischen Einfluss protestiert haben. All das wird nun mit diesen Luftschlägen zunichte gemacht.
Schulz: Die große Frage, die diese Tage dominiert, natürlich auch heute Mittag nicht fehlen darf: Wie sähe ein Weg aus, raus aus der Eskalationsspirale?
Adebahr: Ich denke, man muss jetzt tatsächlich noch mal überlegen, was wollen die Europäer in der Region, wohin sind wir in den vergangenen Jahren gegangen. Man müsste wirklich einen Schritt zurücknehmen und der Jahreswechsel bietet ja vielleicht für uns diese Perspektive. Die Europäer haben immer von regionaler Sicherheit gesprochen. Sie haben sich zwar mit dem Iran-Deal direkt mit Iran zusammengesetzt, um ein bestimmtes Problem, nämlich das Nuklearprogramm einzuhegen, aber ansonsten sind die Europäer an einer kollektiven Sicherheit in der Region interessiert und dafür müssten sie jetzt eine Initiative starten. Das ist keine direkte Reaktion und kann jetzt nicht direkt beispielsweise mit dem Problem des Truppenabzugs angegangen werden, aber es ist die grundsätzliche Überlegung der Europäer, was sind ihre Interessen innerhalb der Region, wie können sie die am besten wahren. Es ist mein Eindruck, dass die US-Politik der vergangenen zwei, drei Jahre da überhaupt nicht hilfreich war und dass man insofern bei den Europäern überlegen muss, was wäre denn eine europäische Position, unabhängig von der amerikanischen Politik, und die dann auch umzusetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.