Wer wird Kanzlerkandidat der Union? In dieser Frage wollen CDU und CSU am vereinbarten Zeitplan zur Entscheidung festhalten. Es bleibe dabei, dass dies zwischen Ostern und Pfingsten entschieden werde, sagte CDU-Chef Armin Laschet. Neben Laschet ist auch CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidat im Gespräch. Derweil hat Armin Laschet die Beteiligungskampagne für das Wahlprogramm für die Bundestagswahl im September eröffnet. Dabei sollen neben Parteimitgliedern auch Bürger ohne Parteibuch sowie Verbände und gesellschaftliche Gruppen mitmachen dürfen.
Die Union war zuletzt in Umfragen deutlich unter die Marke von 30 Prozent gefallen. Korruptionsvorwürfe gegen CDU- und CSU-Abgeordnete wie in der Masken-Affäre, machen der Partei zu schaffen. Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg musste sie herbe Niederlagen einstecken. Dies sorgte für erhebliche Unruhe in der CDU/CSU. Auch Armin Laschet selbst steht in der Kritik - nicht zuletzt wegen seiner Corona-Politik.
Armin Laschet werbe für einen schlankeren Staat, einen Staat, der viel mehr auf Freiheit setze, sagte Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler der Universität Duisburg-Essen, im Deutschlandfunk. Neben einem Sicherheitskonservatismus, der die Union eigentlich ausmache, setze Armin Laschet so auch darauf, "Aufbruch zu organisieren".
Für seine Kanzlerkandidatur habe Armin Laschet offenbar Unterstützung in den Parteilagern gesammelt, so Karl-Rudolf Korte weiter. Nun aber müsse Laschet führen - "die Offensive führen und vermutlich auch an Merkel vorbeiführen".
Die Akteure in der Union würden sich für den Kandidaten entscheiden, der die beste Karriereperspektive bietet: "Ich kenne im Moment keinen Ministerpräsidenten, der sich offen für Söder ausspricht", betonte Karl-Rudolf Korte.
Sabine Schulz: Was sagen Sie? Was für einen Armin Laschet haben Sie grade beim Auftakt der Beteiligungskampagne gesehen?
Karl-Rudolf Korte: Munter, angriffslustig, voller Energie – so habe ich den erlebt. Nicht so das Bild, was wir von Frau Merkel Sonntagabend hatten, wo sie doch in weiten Teilen auch erschöpft wirkte.
Schulz: Gab es inhaltliche Punkte, die Ihnen besonders aufgefallen sind, die man besonders anschauen sollte?
Laschet hat ein bisschen "das linke Lager abgestraft"
Korte: Ja! Es ist ein anderes Staatsverständnis, was die Union traditionell hat, aber was er noch mal herausgearbeitet hat. Denn alles läuft ja im Moment auf Vorsorgestaat, auf den lenkenden, schützenden Staat, der ja auch resilient sein soll, hinaus. Dem wird er sich nicht verschließen. Aber für ihn ist nicht nur das Lenkende, der Regelnde, sondern viel mehr stärker auch der auf Freiheit setzt, der mit sozialer Verantwortung umgeht. Insofern hat er hier den Wertekanon der Union ganz gut verankert und ein bisschen für den schlankeren Staat geworben, in dem jeder selbst auch ein bisschen stärker etwas gestalten kann. Das ist sein Modernisierungsverständnis, auf Kreativität zu setzen.
Schulz: Denken Sie, dass das jetzt in der Pandemie ankommt, da wo man doch schon auch im öffentlichen Bereich an Grenzen stößt, wenn man denkt an die Faxgeräte in Gesundheitsämtern?
Korte: Ja! Er muss es aber überwinden. Insofern ist es schon ein kluger Schachzug. So ein Wahlkampf ist ja erst mal begrenzte Aggressivität. Da hatte er ein bisschen das linke Lager abgestraft. Sicherheitsbotschaft, wir können das, wir haben in Krisen immer regiert und vor der Pandemie war das Land auch großartig. Das hat er herausgearbeitet. Und Zukunftskompetenzen: Da setzt er durchaus darauf, dass er mit neuen Themen auch im Blick auf Technologie und so weiter vielleicht mit Zukunftstechnologie punkten kann. Aber Sie haben vollkommen recht: Entscheidend ist für den Wähler am Ende, der Zukunft und Zuversicht wählt in einer gehen wir mal im September von einer geimpften Republik aus, welche Sachkompetenz die Partei hat und ob sie es verankern kann, dass das, was ich an neuen Themen finde, auch authentisch bei dieser Partei zu finden ist, und nicht die Rückschau, was alles schlecht gelaufen ist mit und an dieser Partei. Das ist, glaube ich, der entscheidende Drehpunkt, an dem er noch weiter arbeiten muss.
Lebenskurve der Union wieder "vitalisieren"
Schulz: Unsere Korrespondentin hat gerade dieses Wort zitiert, die CDU als schöpferische Kraft der Unruhe, in der es kein weiter so gibt oder angeblich kein weiter so gebe. Was meint er damit?
Korte: Das wäre letztlich neu, denn es ist ein elastischer Sicherheitskonservatismus, der diese Partei eigentlich ausmacht. Sie leiden leiser an sich selbst, sind auch nicht programmatisch, eigentlich unruhig, weil sie pragmatisch immer etwas machen. Aber das Schöpferische, was er hier darauf bezogen hat, bezieht sich offenbar darauf, Aufbruch zu organisieren. Es gibt ja Lebenskurven von Regierungen, auch Lebenskurven von Parteien, und da ist die Union ganz sichtbar ja im Countdown im Moment. Diese Lebenskurve wieder zu vitalisieren, kann man wahrscheinlich nur mit schöpferischer Unruhe, und darauf würde ich jetzt diesen Begriff mal beziehen.
"Kenne im Moment keinen Ministerpräsidenten, der sich offen für Söder ausspricht"
Schulz: Ist das überhaupt noch so, dass die Union leiser an sich leidet, wie Sie gerade sagen? Wenn wir denken an die ja doch erhebliche Unruhe, die jetzt in der Partei herrscht, eigentlich im Wesentlichen seit dem Rückzug von Angela Merkel, erst die Kandidatur, die Vorsitzendenwahl von Kramp-Karrenbauer, dann ein Friedrich Merz, der auch im zweiten Anlauf ein wirklich starkes Ergebnis noch mal erzielt hat gegen Armin Laschet, zwar unterlegen ist, aber doch mit vielen Stimmen. Diese Geschlossenheit, gibt es die überhaupt noch?
Korte: Ja, die gibt es schon. Ich sehe schon, dass hier, anders als bei der SPD, man unterschiedlich öffentlich miteinander umgeht, ganz offensichtlich, und das finde ich interessant jetzt auch seit der Wahl von Laschet. Es geht ja immer um Sammeln und um Führen. Beides ist für eine strategische Reformüberlegung auch wichtig. Laschet ist erst mal der Sammlertyp. Der hat gesammelt, dass ich nicht mehr heraushören kann, welche Flügel nun dominant sind. Wir hören auch nicht mehr das laute Sauerland mit Herrn Merz, sondern anders als auf dem Hamburger Parteitag hat er schon gesammelt. Jetzt muss er aber führen. Jetzt muss er die Offensive führen und vermutlich auch an Merkel vorbeiführen. Das ist ja das, was wir seit Sonntag ein bisschen stärker erleben. Bisher kann man sich hinter ihr verstecken, auch ein bisschen schützen lassen von ihr, aber man muss sich auch freischwimmen, um etwas zu erreichen. Insofern kann ich schon erkennen, dass er den Anspruch erhebt, nicht nur zu führen, sondern auch unbedingt Kanzlerkandidat zu werden.
Schulz: Wenn er das muss und wenn Sie sagen, er ist bisher eher der Sammler, wie bedient er dann die, die stärker eine Orientierung haben in Richtung Machtwort, das Gegenmodell zum Sammeln?
Korte: Ja, das kann er nicht gut bedienen. Er hat ein anderes Machtverständnis. Macht entsteht im Miteinander von Handeln und Sprechen. Das wäre sein Verständnis. Kooperativ, nicht neodirigistisch ansagen, was jetzt geht. Da, glaube ich, bleibt die Gegenfolie dann im anderen Kommunikations- und Führungstyp, wie ihn durchaus Söder verkörpert. Aber anders als damals, als es darum ging, ob Stoiber oder Merkel antreten für die Union, in dieser Auseinandersetzung hatte Stoiber damals sehr starke Unterstützer von wichtigen CDU-Leuten im Präsidium und Ministerpräsidenten. Ich kenne im Moment keinen Ministerpräsidenten, der sich offen für Söder ausspricht.
"Das Rennen ist historisch einmalig offen"
Schulz: Wir haben aber gestern erste Stimmen aus der Fraktion gehört, oder das wurde so zumindest berichtet. Sie sagen sicherlich auch zurecht, Laschet muss nach der Kanzlerkandidatur greifen. Aber ist der Union dann auch zu raten zu einem Kanzlerkandidaten Laschet?
Korte: Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Es ist ja kein Casting-Wettbewerb. Es geht nicht darum, wer am Ende bei einer Momentaufnahme der Bessere ist, sondern die Delegierten der Partei verständigen sich auf einen Kandidaten. Das ist kein festgelegtes Verfahren, aber es geht darum, einen zu haben, der für die Akteure, die darüber entscheiden, die beste Karriereperspektive bietet. Und klar: Die beste ist erst mal, dass man auch am Ende mit Kanzler wird. Aber so einfach zu sagen, wir nehmen eine Momentaufnahme einer Umfrage und starten damit durch – nein, das kann man so nicht sagen. Und es geht ja auch nachher darum, Koalitionsbildungsmechanismen auch im Blick zu haben. Haben wir als Wähler ja auch. Wir wählen letztlich auch Koalitionsmodelle, bilden uns zumindest ein, dass wir das mit strategisch befeuern können.
Schulz: Welche andere Währung haben die Parteien denn, als mit Umfragen zu arbeiten? Sie sprechen darauf an: Markus Söder hat aktuell die viel besseren, auch persönlichen Werte. Das ist ja wirklich eine Hypothek, die Armin Laschet mit sich trägt. Bei den Werten aus dem ZDF-Politbarometer in der vergangenen Woche, da ist er hinter Annalena Baerbock und auch Armin Laschet gesehen worden.
Korte: Ja. Wir haben aber auch Daten, die zeigen, dass Wähler jetzt nicht nur Orientierungsnomaden sind und wie Flugsand praktisch wählen, sondern es gibt natürlich auch stabile Einstellungen. Das was wir im Moment schwankend sehen, muss man jetzt erst auch mal schwankend weiterrechnen für die Möglichkeit, dass man sich auch profiliert vor Wählerinnen und Wählern mit einem Programm, mit einem Auftritt, wenn klar ist, wer es wird. Durch die Macht, die man einem zutraut, verändern sich auch die Blickrichtungen, die Projektionen der Macht und damit auch die Möglichkeit, sich zu stabilisieren. Dass die Serie automatisch jetzt so aussieht, dass die Union immer weniger Umfragepunkte erhält, davon kann man im Moment nicht ausgehen. Das ist selbst in der Hand der Union, das zu gestalten. Das Rennen ist historisch einmalig offen, weil kein Titelverteidiger da ist für die Parteien der Mitte. Insofern sind sie gut beraten, mit Inhalten sich voneinander zu unterscheiden, um uns auf dem Wählermarkt auch attraktiv zu begegnen.
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