Archiv

Politologe zur Lage in der Union
"CDU vor offener Machtauseinandersetzung"

Nach der Wahlschlappe in Thüringen zeige sich die Destabilisierung und der Richtungsstreit innerhalb der CDU, sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Dlf. Ob CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch den notwendigen Rückhalt in der Partei habe, sei noch einmal unklarer geworden.

Wolfgang Schroeder im Gespräch mit Martin Zagatta |
Mike Mohring, Landesvorsitzender der CDU in Thüringen, steht mit seinem Blumenstrauß zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer (l.), Bundesvorsitzende der CDU und Verteidigungsministerin, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
CDU-Bundesvorsitzende Kramp-Karrenbauer, Thüringens Spitzenkandidat Mohring, Bundeskanzlerin Merkel spüren die Nachwirkungen der Thüringen-Wahl (dpa / Michael Kappeler)
Martin Zagatta: Die heftigen Verluste bei der Landtagswahl in Thüringen haben in den Reihen der CDU nicht nur eine heftige Debatte darüber ausgelöst, ob man sich aus staatspolitischer Verantwortung - so heißt es - auf eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei von Bodo Ramelow einlassen sollte. Dieser Richtungsstreit wird nun auch von einem handfesten Machtkampf begleitet.
Mitgehört hat Professor Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler, derzeit an der Uni Kassel, ansonsten auch am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin. Hallo, Herr Schroeder!
Wolfgang Schroeder: Hallo!
Zagatta: Herr Schroeder, so heftigen innerparteilichen Streit, so heftige Kritik an der eigenen Führung, das kennen wir ja sonst eher von der SPD. Ist die CDU jetzt auf einem ähnlichen Weg?
Schroeder: Ja, sie ist auf dem gleichen Weg. Sie hat die gleichen Probleme. Es geht um Richtungsstreit, es geht um Profilbildung, es geht um eine Ablösung von den alten Feindbildern, und da steht ja Thüringen nicht nur wie ein weißer Elefant im Raum, sondern das ist der Streitpunkt, der zumindest für die ostdeutsche Konstellation in den nächsten Wochen maßgeblich sein wird.
Sorge um eine Destabilisierung der Republik
Zagatta: Wenn Friedrich Merz jetzt aber öffentlich sagt, das Erscheinungsbild der gesamten Bundesregierung, das sei grottenschlecht, und ausdrücklich - wir haben das eben gehört - die Kanzlerin auch noch angreift, was sagt das jetzt aus? Angela Merkel ist doch eigentlich sakrosankt.
Schroeder: Ja, das sagt aus, dass Merz die Frage, wer die Partei in Zukunft führt, noch nicht entschieden sieht. Dass er den Kampf aufnehmen will und dass er durchaus eine Chance sieht, vielleicht auf dem nächsten Parteitag - das hängt ja auch ein Stück weit davon ab, wie die SPD sich jetzt Anfang Dezember positionieren wird zur Weiterführung der Großen Koalition. Da ist alles offen, da ist alles in Bewegung. Und dass er die Kanzlerin angreift, ist natürlich besonders geschickt, weil er damit auch ein Fenster aufmacht, was bereits längst geöffnet ist, ob man nicht jetzt auch die Chance nutzen soll, tabula rasa zu machen und eine neue Entwicklung in Gang setzt. Da wird Thüringen in dieser Weise interpretiert, dass Thüringen der Beweis dafür sei, dass man in dieser Profillosigkeit nicht weitermachen kann, und da wird gewissermaßen die Kanzlerin auch für das Ergebnis in Thüringen verantwortlich gemacht, und das ist natürlich ein Stück weit auch eine volontaristische Politik, die da gegenwärtig gespielt wird, die für eine Destabilisierung dieser Republik auch Sorge tragen kann. Das muss man auch sehen.
Zagatta: Und wenn Merz jetzt sagt, Angela Merkel, dann meint er Annegret Kramp-Karrenbauer?
Schroeder: Dann meint er das gesamte Regime der Führung der CDU in dieser Einheit von Kramp-Karrenbauer und Merkel - und damit die Große Koalition und damit eine Ansage an ein einfach 'Weiter so'. Das ist auch ein Signal an die in der SPD, die gleiches wollen - und das halte ich für eine ziemliche Gefährdung, weil wir haben es hier nicht mit Thüringen zu tun, wenn ich das jetzt zum dritten Mal erwähnen darf, sondern wir haben es mit der Bundesrepublik Deutschland, der wichtigsten Nation in der Europäischen Union zu tun. Wenn die jetzt auch anfängt, solche Spielchen zu machen, wie es in den anderen Ländern schon länger gang und gäbe ist, dann wird sich das negativ nicht nur auf die Bundesrepublik auswirken, sondern auch auf die europäische Konstellation.
Zweifel an Rückhalt für Kramp-Karrenbauer
Zagatta: Wie kann die CDU das jetzt regeln? Annegret Kramp-Karrenbauer steht ja dort erheblich in der Kritik. Sie hat miserable Umfragewerte. Jetzt mit dieser Diskussion, mit diesem Machtkampf, der dort offen angesprochen wird, kann sie überhaupt noch Kanzlerkandidatin bleiben oder werden?
Schroeder: Sie muss kämpfen. Sie muss Allianzen herstellen. Das Kräfteverhältnis war ja schon beim Hamburger Parteitag nur ganz knapp zu ihren Gunsten. Insofern ist die Destabilisierung in der Union nicht erst gestern erkennbar, sondern bereits vorgestern, und das ist sehr offen, das Feld. Aber um eine offene Machtauseinandersetzung wird es wohl keinen Weg drum herum geben.
Wenn man jetzt wiederum in die Landesverbände schaut, dann hat man Nordrhein-Westfalen als starke Bank, die zwar auch möglicherweise ein Interesse haben, die Spitze zu übernehmen, aber ob sie ein Interesse haben an einer Destabilisierung, die zu Neuwahlen führt, weiß man nicht.
Zagatta: Unser Korrespondent hat eben von einem Showdown gesprochen, den er beim Parteitag in wenigen Wochen erwartet. Sehen Sie das genauso?
Schroeder: Der Showdown wird vermutlich kommen. Aber man muss dann einen Blick in die Landesverbände werfen, weil das ist nicht nur eine Frage der schnellen Positionierung durch drei Persönlichkeiten, die selbst eigene Machtansprüche hegen, sondern da muss man schauen, welche Allianzen sich zwischen den Bundesländern jetzt bilden und inwiefern sie Kramp-Karrenbauer noch zutrauen, dass sie hinreichend stark ist, um die Kanzlerschaft in Nachfolge von Merkel anzustreben. Bislang hat man den Eindruck, sie kämpft. Sie wird auch offensiver. Aber ob sie den Rückhalt in der Partei erreicht, der notwendig ist, das ist unklar und nach dieser verlorenen Wahl noch einmal mehr.
Die CDU und das Feindbild Linkspartei
Zagatta: Entzündet hat sich der ganze Streit - Sie haben das jetzt, glaube ich, dreimal angesprochen - an dem Urnengang in Thüringen, an dem Umgang mit der Linkspartei. Wie sehen Sie das? Muss sich die CDU einer demokratischen Partei gegenüber öffnen, die über 30 Prozent in Thüringen erreicht, oder wäre das ihr Untergang?
Schroeder: Einerseits pflegt sie das alte Feindbild weiter, was ja auch Sinn macht, um die Stabilität nach innen hin anzugehen. Auf der anderen Seite ist diese Linkspartei in Thüringen komplett mittig, und indem die Linkspartei in Thüringen gewissermaßen die sozialdemokratische Agenda übernommen hat und keinerlei Zweifel daran zulässt, dass es sich hier um eine demokratische, um eine rationale, um eine wirtschaftsfreundliche Partei handelt, ist das natürlich komplett anachronistisch. Und das zeigt natürlich auch, dass die beiden Volksparteien hinter der Realität in unserer Gesellschaft und hinter dem Wandel im Parteiensystem herhinken, weil es ist nicht mehr möglich, dass durch diese beiden Parteien definiert wird, was Mitte ist, sondern die Mitte hat sich umgruppiert. Innerhalb der Mitte ist ein intensivierter Wettbewerb in Gang gekommen und gleichzeitig gibt es eine Polarisierung in die Ränder hinein. Die beiden Volksparteien sind eher Getriebene in diesem neuen Wettbewerb, als dass sie selbst diesen Wettbewerb noch strukturieren können, und es ist ja auch nicht von Ungefähr, dass die Machtkämpfe innerhalb der Sozialdemokratie und innerhalb der Union parallel verlaufen.
Neuvermessung des politischen Geländes - ohne die Volksparteien
Zagatta: Wenn offenbar die Ränder davon profitieren, die AfD mit starken Zugewinnen, die Linkspartei jetzt in Thüringen, im Westen haben die Volksparteien das Problem mit den so starken Zugewinnen der Grünen, sind die Volksparteien vom Zeitgeist irgendwie überholt?
Schroeder: Sie sind überholt ein wenig und sie haben nicht die Integrationsfähigkeit und das Personal, was dieser neuen Bewegung, dieser neuen Polarisierung Rechnung trägt. Weil das, was da jetzt stattfindet, ist ja eine Neuvermessung des politischen Geländes, und die beiden Volksparteien schauen immer noch sehr stark zurück. Sie suchen im Konservativen, im Nationalstaat oder in der Frage der sozialen Gerechtigkeit alleine das Heil. Aber wir haben mittlerweile durch die Flüchtlingsfrage, durch die Klimafrage eine Überlagerung von Konflikten, die durch diese beiden Volksparteien nicht mehr angemessen abgebildet werden.
Deutschland wird schwerer regierbar
Zagatta: Was heißt das für die Zukunft? Wird Deutschland nicht unregierbar, aber nur noch ganz schwer regierbar?
Schroeder: Deutschland wird schwerer regierbar. Das heißt, die Vorstellung, dass man mit zwei Parteien dieses Land regieren wird, ist eher unwahrscheinlich. Wir werden mittelgroße Parteien bekommen, drei, vier Parteien, die um die 20 Prozent sind. Das heißt, die Zahl der Regierungsparteien wird größer. Es kann auch selbst auf der Ebene des Zentralstaates zu Minderheitsregierungen kommen. Da ist alles im Fluss zurzeit. Umso wichtiger ist es, dass die Personalentscheidungen in beiden Parteien bald fallen und dass sie getragen werden, weil diese permanente innere Unruhe, die wird nicht dazu beitragen, dass die Volksparteien wieder zurück ins Spielfeld kommen.
Zagatta: Das heißt, eine Personalentscheidung auch bei der CDU steht aus Ihrer Sicht sehr schnell an. Da kann man nicht die eineinhalb Jahre warten, die da im Gespräch waren?
Schroeder: Das wird sich jetzt zeigen. Ich halte es nicht für zwingend, dass es so sein muss, weil das sind jetzt nur einige Schlaglichter, die wir da erlebt haben. Die Matadoren aus dem Westen haben sich noch nicht so festgelegt. Insofern ist das eine offene Frage. Aber das Feld ist bestellt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.