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Politologe zur Syrien-Konferenz
"Kein diplomatischer Durchbruch"

Auf der Syrien-Konferenz in Wien habe es diplomatische Annäherungen gegeben, sagte der Politologe Markus Kaim im DLF, aber keinen diplomatischen Durchbruch. Der Konflikt in Syrien habe sich über vier Jahre entwickelt und der Weg heraus wird laut Kaim mindestens so lange dauern.

Markus Kaim im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Zerstörung in der syrischen Stadt Homs
    Zerstörung in der syrischen Stadt Homs (dpa / picture-alliance / Mikhail Voskresenskiy)
    Jochen Spengler: Nun also doch: amerikanische Soldaten auf dem Boden des syrischen Kriegsgebiets. Die USA kündigten an, sie wollten in den nächsten Tagen eine kleine Einheit von bewaffneten Spezialkräften in den kurdisch kontrollierten Norden Syriens entsenden. Sie soll im Kampf den sogenannten Islamischen Staat helfen.
    Washington verstärkt also den militärischen Druck, zugleich berieten gestern 17 Staaten in Wien über eine politische Lösung für Syrien. Erstmals dabei war auch der Iran. Die Konferenz sollte, so wünschte es sich US-Außenminister John Kerry vorher, einen Weg aus der Hölle weisen. Markus Kaim ist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik Experte für Sicherheitspolitik – guten Morgen, Herr Kaim!
    Markus Kaim: Guten Morgen, Herr Spengler, ich grüße Sie!
    Spengler: Hat die Konferenz gestern einen ersten Schritt aus der Hölle gemacht oder hat sie ihn wenigstens gewiesen?
    Kaim: Also, ich würde sagen, wir haben diplomatische Bewegung gesehen, aber noch keinen diplomatischen Durchbruch. Diplomatische Bewegungen, was die Formalia betrifft, Sie haben es ja angedeutet, zum ersten Mal haben 17 Parteien zusammengesessen, die die gesamte internationale Gemeinschaft, aber vor allen Dingen die regionalen Akteure repräsentiert, die ja quasi einen Stellvertreterkrieg in Syrien ausführen. Die Einzigen, die gefehlt haben, aus nachvollziehbaren Gründen, waren die Konfliktparteien selbst, nämlich die syrische Regierung und die Rebellengruppierungen, und zumindest, dass es gelungen ist, einen Rahmen abzustecken, der jetzt in den nächsten Wochen ausgefüllt werden soll und eine Art Fahrplan zu entwickeln, wie jetzt weiter vorgegangen werden soll. Aber vor allen Dingen der größte Punkt des Dissenses ist noch einmal deutlich geworden, vor allen Dingen zwischen Russland und den USA, wie es nämlich weitergeht mit der Person des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, ob er eine Rolle spielen kann und soll in der politischen Zukunft Syriens.
    Verhandlungen ohne Konfliktparteien
    Spengler: Dass die Konfliktparteien selbst nicht mit am Tisch waren, ist das eher von Nachteil oder war das ein Vorteil?
    Kaim: Ich glaube, es war unabweisbar, weil es hat ja bereits in den vergangenen Jahren zwei größere Versuche gegeben, in Genf beziehungsweise Lausanne, unter Vermittlung der Vereinten Nationen die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Damals hat Kofi Annan vermittelt, der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, beziehungsweise der Sonderbeauftragte Lakhdar Brahimi. Diese Versuche sind alle ergebnislos abgebrochen worden, und der neue Sonderbeauftragte, Staffan de Mistura, er hatte den Auftrag bekommen oder war gebeten worden von allen Konfliktparteien in Syrien selbst, erst einmal den internationalen beziehungsweise den regionalen Rahmen abzustecken. Weil es war, glaube ich, relativ klar geworden in den letzten Monaten im Rahmen seiner Verhandlungsbemühungen, ohne eine gemeinsame Art Plattform zwischen den externen Akteuren wäre eine Regelung zwischen den Konfliktparteien selber in Syrien völlig unmöglich. Und zumindest das ist ansatzweise gestern gelungen.
    Spengler: Ja, diese Plattform haben wir, und man hat sogar tatsächlich sich auf ein paar Punkte verständigt, unter anderem, dass man in 14 Tagen sich wiedersieht. Und dann wurde zum Beispiel auch als erster Schritt, notwendiger Schritt ein Waffenstillstand benannt. Das ist jetzt nicht das erste Mal passiert, ist auch keine große Überraschung, aber wie wahrscheinlich ist denn so ein Waffenstillstand?
    Kaim: Also - in der Tat genauso, wie Sie es ansprechen - dieser Vorschlag liegt schon seit Monaten auf dem Tisch. Die Idee ist sozusagen, kleinere lokale Waffenstillstände zwischen den Konfliktparteien zu vereinbaren und diese sukzessive auszuweiten, damit letztlich für diesen politischen Prozess erst einmal zu vertagen und zugleich zu unterfüttern, indem man die Chance hat, wieder Vertrauen aufzubauen und auch im alltäglichen Leben sozusagen wieder humanitäre Lieferungen an die syrische Bevölkerung zulässt. Ob das in Zukunft besser funktionieren wird als in der Vergangenheit, bleibt einmal abzuwarten, weil wir haben zu konstatieren, die wenigen Versuche, wo diese Waffenstillstände vereinbart worden sind, vor allen Dingen wo die Rebellen zugestimmt haben, sich selber zu entwaffnen, ihre Waffen abzugeben, sind dann häufig von Muslimen dazu genutzt worden für militärische Offensiven. Und angesichts dieses Vertrauensverlustes zwischen den beiden Konfliktparteien bin ich an dieser Stelle besonders skeptisch.
    "Syrien ist viergeteilt"
    Spengler: Nun war sich die Konferenz auch einig, dass Syrien nicht geteilt werden solle. Angesichts der faktischen Teilung, die wir ja sehen in Einflusszonen, wie realistisch ist denn so ein Konzept?
    Kaim: In der Tat, das ist, glaube ich, eher im Moment noch ein Wunsch als eine realpolitische Vorstellung. Sie haben es angesprochen, Syrien ist viergeteilt zwischen dem IS, zwischen Kurden, zwischen Rebellengruppierungen und dem Assad-Regime, und wir sehen, dass diese Fronten sich im Moment gegenwärtig wenig bewegen. Also wir stellen fest, aufgrund auch nicht zuletzt des russischen militärischen Engagements, dass die existierende politische und territoriale Teilung des Landes eher noch vertieft wird. Und hinzu kommt ja noch etwas ganz anderes: Knapp zwölf Millionen Menschen haben das Land entweder verlassen oder sind im Lande auf der Flucht, wir haben fürchterliche Menschenrechtsverletzungen zu registrieren gehabt in den letzten vier Jahren.
    Selbst angesichts eines Waffenstillstandes und einer möglichen Rückkehr von vielen Tausenden von Syrern und Syrerinnen in das Land bleibt noch einmal abzuwarten, ob so etwas wie eine innere Versöhnung, wie ein Prozess der nationalen Einheit angesichts dieser Gräueltaten überhaupt vorstellbar ist. Und wenn man sich mit Syrern unterhält, dann stellt man ja fest, dass viele tatsächlich eine Übergangsregierung unter Beteiligung von Präsident Assad gerade angesichts der letzten vier Jahre ablehnen. Also tatsächlich, wie diese territoriale und politische Einheit erhalten werden soll, das bleibt, glaube ich, noch im Dunkeln.
    Spengler: Deswegen hat man wahrscheinlich auch die Zukunft Assads auf der Konferenz selbst ausgeklammert. Zu Recht?
    Kaim: Ich glaube, in dieser Frage war kein Kompromiss möglich. Viele westliche Regierungen haben sich in den letzten Jahren ja, wie ich finde, etwas sehr vorschnell exponiert, indem sie immer gesagt haben, seine Zeit sei vorbei, er müsse das Amt verlassen, was gerade auf russischer Seite den Verdacht immer weiter befördert hat, es ginge hier um einen weiteren Fall von Regimewechsel, der vom Westen initiiert worden sei, sozusagen diesen prinzipiellen K-Wert der russischen Politik, so etwas dürfe es nicht mehr geben. Und Russland hat sich, zumindest was die Rhetorik betrifft, gestern etwas flexibel gezeigt. Außenminister Lawrow hat betont, er habe keine Position zu vertreten zugunsten oder gegen Präsident Assad, es sei die Aufgabe der syrischen Bevölkerung, darüber zu entscheiden. Nur angesichts der Situation, die ich eben angesprochen habe, wir haben einen Bürgerkrieg, wir haben Millionen Flüchtlinge, ob die syrische Bevölkerung in der Lage ist, in freien und fairen Wahlen wirklich ihren Willen in dieser Frage zu artikulieren, das sei einmal dahingestellt.
    "Der Weg aus der Hölle heraus wird mindestens so lange dauern"
    Spengler: Herr Kaim, Sie haben noch Zeit für eine kurze Prognose: Müssen wir uns, was die Lösung der Syrienkrise angeht, auf Monate, auf Jahre oder auf Jahrzehnte einstellen?
    Kaim: Das ist aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen. Ich glaube, der Konflikt, die Konfliktentwicklung hat viereinhalb Jahre gedauert, und wir sind, um Außenminister Kerry noch einmal zu zitieren, in der Hölle angekommen, und ich glaube, der Weg aus der Hölle heraus wird mindestens so lange dauern.
    Spengler: Das war Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, uns am frühen Morgen zur Verfügung zu stehen!
    Kaim: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.